Krise für die Psyche: Wie stark stresst Corona die mentale Gesundheit?

Existenzängste, Sorgen um die eigene Gesundheit und die der Familie: Die Corona-Pandemie wirkt sich massiv auf unser Wohlempfinden aus. Wie kommt man raus aus dem Motivationstief?

Prof. Dr. David Daniel Ebert
  • Die Coronakrise führt bei vielen Beschäftigten zu massiven Sorgen und Ängsten
  • Doch es gibt Strategien, mit denen Sie sich aus dem Tief herausarbeiten können
  • Eine bundesweite Initiative gibt dazu online psychologische Hilfestellungen

8.260 Reaktionen

Es ist ausgerechnet das chinesische Schriftzeichen für Krise, das aus zwei Teilen besteht, die einzeln gelesen „Gefahr“ und „Chance“ bedeuten. Die Coronakrise eine Gelegenheit für psychisches Wachstum? Das mag den meisten Arbeitnehmern im Angesicht von Kurzarbeit, finanziellen Sorgen, Homeoffice mit Kindern und der Perspektive auf einen Büroalltag mit Maske wahrscheinlich übel aufstoßen. Doch gerade den Umgang mit diesen unangenehmen Gefühlen können wir genau jetzt am besten lernen. Die Frage ist nur: wie?

Die Sorgen der Arbeitnehmer

Existenzängste können die Lebensfreude erheblich beeinträchtigen, und Geld ist einer unserer Hauptstressfaktoren – schon vor der Coronakrise. Für viele Arbeitnehmer gibt es momentan außerdem keine Trennung zwischen Berufs- und Privatleben mehr. Sich nach Feierabend gedanklich vom Job zu lösen fällt schwer, weil keine räumliche Distanz mehr da ist. Zudem fallen diverse Freizeitbeschäftigungen, die wir sonst gern zur Erholung unternommen haben, aufgrund öffentlicher Einschränkungen weg.

Dass die derzeitige Ausnahmesituation sich auf zahlreiche Arbeitnehmer gleichzeitig auswirkt, macht die Sache nicht besser, im Gegenteil: Nicht nur das Virus, sondern auch Frust, Unzufriedenheit und Ängste sind nämlich ansteckend. Wenn wir die Sorgen und Probleme, die aus unserer Arbeitnehmerposition resultieren, konstruktiv lösen und uns nicht von der spannungsgeladenen und ängstlichen Stimmung anstecken lassen wollen, müssen wir unsere psychische Widerstandskraft stärken.

Die Entscheidung für eine positive Zukunft

Es hilft alles nichts: Wir sind gezwungen anzuerkennen, dass das Coronavirus nicht morgen oder übermorgen aus der Welt sein wird. Der erste Schritt, um die derzeitigen Beeinträchtigungen als Möglichkeit für unsere persönliche Entwicklung zu begreifen, ist, unsere Wahlmöglichkeit zu erkennen: Wir können unsere Sorgen und Ängste verstärken, indem wir zum Beispiel mehrmals täglich Nachrichten konsumieren und unsere Lage als aussichtslos wahrnehmen. Oder wir fragen uns, was wir unternehmen können, um unsere Probleme bestmöglich zu lösen und etwas Neues zu lernen, das uns sogar langfristig im Berufs- und Privatleben weiterhelfen wird.

Probleme sind nicht immer lösbar

Wenn wir uns dafür entscheiden, selbstbestimmt etwas zu verändern, stellt sich natürlich die Frage, wie wir unsere Probleme am besten lösen können. Eine Frage, der Psychologen seit Jahrzehnten in Forschung und Praxis nachgehen. Es gibt inzwischen evidenzbasierte Antworten in Form von Problemlösestrategien, die – einmal erlernt – unseren Alltag und unsere Lebensführung erheblich erleichtern können. Dazu gehört, das Problem ganz genau zu definieren, anschließend möglichst viele (auch abwegige und kreative) Lösungsmöglichkeiten zu generieren, sich für einen dieser Wege zu entscheiden und daraus ein realistisches Ziel abzuleiten, das wir innerhalb einer selbst gesetzten Deadline erreichen können.

Aber was ist mit den Problemen, die wir nicht lösen können? Haben wir einen Arbeitsvertrag unterschrieben, der Kurzarbeit einschließt, müssen wir für ein geringeres Gehalt weniger arbeiten. Ist die Kita auf Anordnung vom Senat geschlossen, müssen wir unsere Kinder zu Hause betreuen und gleichzeitig im Homeoffice arbeiten. Ohne Frage: Mit diesen Situationen gehen viele unangenehme Gefühle einher. Wir erleben Frustration, Wut, Angst, Ärger und Hilflosigkeit.

Was in diesem Fall hilft: Wir können nicht die Belastungen selbst, aber den Umgang mit ihnen und unseren Gefühlen verändern. Schritt für Schritt. Und die psychologischen Strategien, die wir dafür einsetzen können, werden uns auch über die Coronakrise hinaus nützlich sein. Ein gutes Beispiel hierfür wäre die Methode der Achtsamkeit, die wir einsetzen können, um eine neutrale Perspektive auf unser Erleben – auch auf unsere unangenehmen Gefühle – zu gewinnen. So schaffen wir gedanklichen Abstand und Handlungsspielräume.

Das funktioniert, indem wir bewusst wahrnehmen, dass beispielsweise Ängste ab- und zunehmen und wir Vertrauen in den „Beobachter“ in uns gewinnen. Dadurch entsteht psychische Stabilität. Um das zu testen, können Sie das nächste Mal, wenn Sie eine unangenehme Emotion in sich wahrnehmen, innerlich einen Schritt zurücktreten. Beobachten Sie einfach und versuchen Sie, sich eher mit dem „Beobachter“ zu identifizieren als mit dem, was von Ihnen beobachtet wird.

Händewaschen für die Seele – stark durch die Krise

Von heute auf morgen nicht nur das körperliche, sondern auch das psychische Wohl zur Priorität zu machen bedarf Übung und Know-how. Auch kommt die Schwierigkeit hinzu, dass der Face-to-Face-Kontakt zu Psychologen, Psychotherapeuten und Coaches gerade nicht möglich ist.

HelloBetter bietet psychologische Onlinetrainings an, die von Psychologen, Psychotherapeuten, Wissenschaftlern und Betroffenen entwickelt wurden und deren Wirksamkeit in zahlreichen klinischen Studien nachgewiesen werden konnte. Während der Coronakrise hat das Start-up mit mehr als 25 Partnern die bundesweite Initiative www.starkdurchdiekrise.de gestartet, die Unternehmen und Einzelpersonen dabei unterstützt, die psychischen Herausforderungen der Coronapandemie zu bewältigen. Teil dessen ist beispielsweise ein kostenloses Onlinetraining speziell zum Thema „Stress und psychische Beanspruchung in der Coronakrise“, das gezielt Strategien zum Problemlösen, zum Umgang mit unangenehmen Gefühlen und zur Förderung positiver Erlebnisse vermittelt. Dieses Training schließt speziell den Arbeitskontext mit ein und begleitet die Teilnehmenden über einen Zeitraum von acht Wochen. Bei Gesprächsbedarf können auch unsere Psychologen und Psychotherapeuten weiterhelfen, die über die kostenlose Hotline 0800/0003345 erreichbar sind.

Ein wichtiger Schlüssel, um stark durch die Krise zu kommen, besteht darin, nicht mit unseren unangenehmen Gefühlen zu kämpfen und sie dadurch zu verstärken. Stattdessen können wir lernen, sie anzunehmen, zu integrieren und an ihnen zu wachsen – eine Fähigkeit, die jeder von uns besitzt und die wir insbesondere jetzt entdecken können.

Veröffentlicht:

Prof. Dr. David Daniel Ebert
© David D. Ebert
Prof. Dr. David Daniel Ebert

Professor für Psychologie, Freie Universität Amsterdam

Prof. Dr. David Daniel Ebert (Jg. 1979) ist seit 2018 Professor für Klinische Psychologie an der Freien Universität Amsterdam. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er koordiniert das EU-Projekt „Gesundheitstrainings.online“ an der Leuphana-Universität in Lüneburg.

Mehr anzeigen

Werd kostenlos XING Mitglied, um regelmäßig Klartext-Debatten zu aktuellen Themen zu lesen.

Als XING Mitglied gehörst Du zu einer Gemeinschaft von über 21 Mio. Berufstätigen allein im deutschsprachigen Raum. Du bekommst außerdem ein kostenloses Profil, spannende Fach-News und passende Job-Vorschläge.

Mehr erfahren