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Kompetenz, Einsatzbereitschaft oder Lernfähigkeit sind keine Frage des Alters | © 1shot Production/Getty Images

Altersdiskriminierung im Job: Warum sind Tattoos selbstverständlich, aber Falten nicht?

Die bittere Realität des Arbeitsmarktes zeigt: Die Aussage „Man ist so alt, wie man sich fühlt“ trifft leider nicht zu. Jeder vierte Beschäftigte über 50 wurde schon einmal wegen seines Alters benachteiligt. Doch es gibt Wege, dieser Diskriminierung ein Ende zu setzen.

Europa ist bei der Wahl im Juni fast überall ein Stück weiter nach rechts gerückt, und die Themen Ausgrenzung und Diskriminierung werden im Moment zu Recht viel diskutiert. Für mich ist klar: Für Diskriminierung auf Basis ethnischer Herkunft, sexueller Identität, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung darf es keinen Raum geben.

Auch unsere Arbeitswelt ist leider noch kein leuchtendes Beispiel für einen diskriminierungsfreien Raum. Diskriminierung ist und bleibt ein Thema. Dabei spielen häufig Vorbehalte eine große Rolle, die sich Führungskräfte und Recruiter noch nicht einmal bewusst machen.

Wir bei XING haben in unserer jüngst durchgeführten Studie gezeigt, wie groß die Stolpersteine auch für Ältere sein können: Mehr als jeder vierte Beschäftigte über 50 wurde schon einmal wegen seines Alters diskriminiert.

Das für mich Beunruhigende daran: In der Mehrheit der Fälle ging diese Benachteiligung von der direkten Führungskraft aus. Rund ein Drittel (28 Prozent) der Befragten hat darüber hinaus aufgrund des Alters auch Benachteiligungen bei Bewerbungsprozessen erlebt. Auch ich persönlich kenne einige gut ausgebildete, erfahrene, schlaue und engagierte Menschen in meinem Alter, die Lust auf eine neue Herausforderung haben, aber mit ihren Bewerbungen ins Leere laufen.

Und wer heute mit Anfang oder Mitte 50 arbeitslos wird, hat es vielfach immer noch schwer, einen neuen Job zu finden, trotz des Fachkräftemangels. Manchmal liegt es an einer vermeintlichen oder existierenden Überqualifikation, manchmal daran, dass ältere Beschäftigte für gewöhnlich ein höheres Gehalt bekommen als Berufsanfänger.

Ist Alter ist eine Frage der Einstellung – oder die Einstellung eine Frage des Alters?

Oft aber – und natürlich wird das nicht ausgesprochen – fallen die Generationen Ü50, zu denen die Babyboomer (1955–1964) und Teile der Generation X (1965–1980) gehören, schlicht und einfach wegen ihres Alters und der damit verbundenen Vorurteile durchs Raster. „Boomer“ ist von einer Bezeichnung für eine Generation zu einem abwertenden Begriff geworden.

Die Altersdiskriminierung fängt zwar beim Recruiting an, hört dort aber leider nicht auf. In den meisten Fällen (52 Prozent) haben die Betroffenen in unserer Studie eine Mischung aus emotionaler und struktureller Diskriminierung erlebt. Bei der strukturellen Diskriminierung ging es in den meisten Fällen um die Zuteilung von Aufgaben, die unter dem Anforderungsprofil lagen. Und das ist erschreckend: Denn mit fast 15,8 Millionen Erwerbstätigen stellen die über 50-Jährigen (Quelle: Destatis) nach den 30- bis 49-Jährigen immer noch die zweitgrößte Gruppe von Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt.

Es geht nicht nur darum, für Jüngere ein attraktiver Arbeitgeber zu werden – sondern auch darum, für die Älteren einer zu sein.
Petra von Strombeck, CEO, New Work SE

Während Unternehmen mit immer neuen Angeboten versuchen, die Generation Z (die bislang nur einen kleinen Teil der Erwerbstätigen ausmacht) an sich zu binden, werden die Bedürfnisse der Generationen, die derzeit für einen Großteil der deutschen Wirtschaftsleistung verantwortlich sind, zu oft übersehen. Es geht nicht nur darum, für Jüngere ein attraktiver Arbeitgeber zu werden – sondern auch darum, für die Älteren einer zu sein.

Zu Unrecht gelten sie in manchen HR-Abteilungen als zu wenig dynamisch, überfordert von der Digitalisierung, gesundheitlich eingeschränkt oder mental schon im Ruhestand. Dabei verfügen sie über einen enormen Erfahrungs- und Wissensschatz – nicht nur fachlich, sondern auch was die emotionale Intelligenz angeht. Das macht sie zu einem Gewinn für jede Unternehmenskultur.

Zudem sind ältere Beschäftigte durchaus bereit, sich noch einmal richtig ins Zeug zu legen und sich neue Fähigkeiten anzueignen – wenn man sie denn lässt. Fun-Fact: Die älteren Generationen haben das Thema Digitalisierung von Anfang an miterlebt und langjährigere Erfahrung damit als Jüngere. Und sie sind oft bereit, für den Rest ihres Arbeitslebens bei einem Unternehmen zu bleiben, wenn die Bedingungen stimmen, während die GenZ extrem wechselwillig ist.

Auf der Suche nach Sinn

Die Bedürfnisse der ältesten Gruppe auf dem Arbeitsmarkt unterscheiden sich von denen anderer Altersgruppen – manchmal auf überraschende Weise. In unserer diesjährigen Studie zur Wechselbereitschaft deutscher Beschäftigter zeigte sich, dass der Wunsch nach einem neuen Job je nach Alter aus verschiedenen Gründen getriggert wird.

Gutes Führungsverhalten ist für die Babyboomer bei einem neuen Arbeitgeber von allen Generationen am wichtigsten (75 Prozent). Sie legen auch mehr Wert auf nachhaltiges Handeln des Unternehmens (30 Prozent) und einen sinnerfüllenden Job (63 Prozent) als die jüngeren Generationen.

Arbeitsmodelle wie Workation oder Remote-Arbeit sind für sie dagegen weit weniger interessant als für die nachrückenden Generationen, und auch ihre Wechselbereitschaft ist insgesamt geringer. All diese Faktoren machen sie zu einem Zugewinn nicht nur für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen, sondern auch für deren Kultur.

Unternehmen leben von Diversity

Die Zahlen zur Altersdiskriminierung in der Arbeitswelt sind für mich aber auch immer ein Anlass zur Selbstreflexion. Ich bin CEO eines Unternehmens, in dem das Durchschnittsalter sehr deutlich unter meinem liegt – das wird mir jedes Mal klar, wenn ich über die Flure laufe. Sind auch wir hier in die Altersdiskriminierungsfalle getappt? Biete ich Älteren in meinem Unternehmen, was ich für mich selbst in Anspruch nehme? Anders gefragt: Warum sind Tattoos auf der Haut selbstverständlich, Falten in der Haut aber nicht?

Diversity heißt nicht nur, Menschen aus verschiedenen Kulturen an Bord zu haben, sondern auch, von unterschiedlichen Erfahrungen profitieren zu können.
Petra von Strombeck, CEO, New Work SE

Diversity heißt nicht nur, Menschen aus verschiedenen Kulturen an Bord zu haben, sondern auch, von unterschiedlichen Erfahrungen profitieren zu können. Und da haben die Älteren durchaus etwas vorzuweisen: Sie bringen oft langjährige Netzwerke mit und auch die aus ihrer Erfahrung resultierenden Perspektiven, die sie mit einbringen. So haben Sie einen positiven Einfluss auf das Miteinander. Nicht zuletzt können Ältere zu wertvollen Mentoren werden.

Wenn wir die Bedürfnisse der über 50-Jährigen vernachlässigen, vernachlässigen wir am Ende auch unsere eigenen. Denn wir brauchen diese Arbeitskräfte, mittelfristig sogar mehr, als sie uns brauchen. Für manche Berufe – wir alle kennen den Pflegenotstand – gibt es viel zu wenig Nachwuchs.

Und was spricht eigentlich dagegen, diejenigen, die bald in Rente gehen oder schon in Frührente sind, weiterhin in Teilzeit oder auf Projektbasis zu beschäftigen, wenn sie Lust darauf haben und es ihnen gesundheitlich möglich ist? Auch wenn wir gerade in einer Rezession stecken und der Arbeitskräftemangel sich ein wenig abgeschwächt hat, müssen wir uns trotzdem fragen, ob wir es uns erlauben können, diese leistungsstarken Generationen außen vor zu lassen.

Was für Erfahrungen haben Sie mit dem Thema gemacht – positiv oder negativ? Ich freue mich auf den Austausch!

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Petra von Strombeck schreibt über Führungskultur + NEW WORK

Petra von Strombeck leitet als Vorstandsvorsitzende das börsennotierte Unternehmen NEW WORK SE mit 1.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie liebt es, Teams und Menschen zu entwickeln. Sie berichtet als Insiderin über Ihre Erfahrungen als CEO in einer sich stetig wandelnden Branche.

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