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„Am Ende steht der Aufbruch!“ Eine Reise zur eigentlichen Natur des Menschen

Wir leben erstmals in einer Epoche der Weltgeschichte, in dem der Mensch als Spezies die geologischen Zusammenhänge für die Zukunft kausal bestimmt. In der 1979 erschienenen Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ setzt sich Max Frisch bereits literarisch mit der Stellung des Menschen im geologischen Zeitmaß der Natur auseinander und wirft dabei anthropologisch-existenzielle Fragen auf, die heute unter dem Begriff „Anthropozän“ diskutiert werden: Was ist der Mensch? Was macht das Verhältnis der Menschheits- und der Naturgeschichte aus? Wie schlagen die Folgen des menschlichen Tuns in der Natur auf ihn selbst zurück? Im Jahre 2000 prägte der niederländische Chemiker und Atmosphärenforscher Paul Crutzen dafür den Begriff Anthropozän. Er soll den Zeitabschnitt der ca. letzten 60 Jahre in der Erdgeschichte umfassen, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. Dieser menschliche Eingriff wird über viele Generationen hinweg eine Veränderung in der geo-ökologischen Zusammensetzung der Erde hinterlassen, welcher für die Erde selbst und für den Menschen als Gattung erhebliche Auswirkungen hat.

Doch wie wirken sich unser Mindset, unsere Lebenseinstellung und unser Menschenbild auf unser Verhalten aus? Und welche Auswirkungen hat das in der Gesellschaft verbreitete Menschenbild auf unser Verhalten? Mit diesen Fragen beschäftigen sich Andreas von Westphalen und Georg von Westphalen in ihrem Buch „Hilfe, ich bin ein Mensch!“. Andreas von Westphalen ist als Theater- und Hörspielregisseur und Journalist tätig und studierte Komparatistik, neuere Germanistik und Philosophie. Georg von Westphalen, der Humanmedizin studierte, arbeitet als Medical Concept Developer bei DocCheck. Freiberuflich zeichnet er Comics und Cartoons, gestaltet Spiele und entwickelt Character Designs (u. a. „Bernd das Brot“). In ihrem gemeinsamen Buch trifft aktuelle Wissenschaft auf surreale Comics.

Das Buch beschäftigt sich ebenfalls mit der Frage 'Was ist der Mensch?' und nähern sich dabei dem u.a. dem Denken von Jean-Jaques Rousseau, Thomas Hobbes, Sigmund Freud und Carl Gustav Jung an. Andreas von Westphalen versteht seine Beschäftigung mit einer von ihm erkannten Wiederentdeckung des heutigen Menschen(-Bildes) als eine Reise, deren Ziel die Entdeckung der menschlichen Natur ist. Im Fokus steht Protopia und die „Menschenbilder-Inseln“: Fragen und Antworten sowie Exkurse zur Natur des Menschen, auch QR-Codes für Internet-Ausflüge mit Videos sind enthalten sowie praktische Alltagsübungen, um das eigene Menschenbild zu hinterfragen. Ziel ist die Wiederentdeckung eines Menschen, der von Natur aus anders ist, als es unser gängiges heutiges Bild vom Menschen vorzugeben scheint. Westphalen weist nach, dass das Menschenbild im Kapitalismus nichts weiter als eine von der Wirtschaft verbreitete Mär ist. Das kapitalistische Menschenbild ist von der Überzeugung geprägt, dass Eigennutz, Konkurrenz und Misstrauen unsere Triebfedern sind.

Dass der Mensch erst zum Guten erzogen und zivilisiert werden müsste, durchzieht die Ideengeschichte seit Jahrhunderten. So ging Thomas Hobbes davon aus, dass jeder Mensch nur auf sein eigenes Wohlergehen bedacht sei und im ständigen Krieg mit anderen lebe. Auch Niccolò Machiavelli, Sigmund Freud, Richard Dawkins, Ayn Rand und Milton Friedman waren vom Egoismus des Menschen überzeugt. Wissenschaftszweige wie Evolutionsbiologie, Psychologie, Pädagogik und Wirtschaftswissenschaft“ sind in weiten Teilen von der Vorstellung des egoistischen Menschen bestimmt. Der Kapitalismus erscheint hierbei als die Wirtschaftsform, die das menschliche Streben nach Eigennutz und Nutzenmaximierung zum Wohle der Gemeinschaft zu formen vermag.“ Mediale Berichterstattungen und Hollywood-Inszenierungen stützen dieses Bild vielfach. Das negative, gängige Menschenbild wurde vor allem von Adam Smith geprägt. Aufgrund seines wirtschaftswissenschaftlich orientierten Denkens glaubte er, dass dieses Bild der Natur des Menschen entsprechen würde. Auch der Glaube an die Evolution als Überlebenskampf (Charles Darwin), der mit Egoismus und Konkurrenz verbunden ist, gehört für den Autor zum kapitalistischen Menschenbild.

Nachgewiesen wird auch, dass das Menschenbild wie eine soziale Norm wirkt. Solche Fehlwahrnehmungen können dazu führen, „dass Menschen eigene altruistische Taten durch egoistische Motive meinen rechtfertigen zu müssen.“ Das Menschenbild bzw. die verzerrte Vorstellung über die Natur des Menschen kann deshalb zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Auch wenn uns Egoismus in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft vielfach begegnet, ist von Westphalen dennoch davon überzeugt, dass dies nicht zwingend etwas über die eigentliche Natur des Menschen aussagt. Es geht ihm vielmehr um den Nachweis, wie die menschliche Natur „wirklich“ beschaffen ist.

Altruismus ist ansteckend wie ein Lächeln und kann einen „menschlichen Schneeballeffekt“ auslösen.

Dankbarkeit stärkt das Immunsystem, macht uns weniger anfällig für toxische Emotionen, schützt uns so vor Selbstüberschätzung, gibt uns ein Gefühl von Urvertrauen, hilft uns, Krisen besser zu meistern, führt zu einer kooperative Arbeitshaltung und freundlichen, wertschätzenden und angenehmeren Atmosphäre. Macht gedeiht für Dacher Keltner dort, wo Solidarität und Begeisterung spürbar sind, wo positive Einflussnahme durch Freundlichkeit, Gemeinsinn und Gerechtigkeit wächst. Das Aufrechterhalten von Macht ist nach seiner Ansicht des Psychologen davon abhängig, wie wir die innere Erfahrung der Dankbarkeit nach außen umsetzen: „Das ist möglich, indem wir teilen, ermutigen, loben, wertschätzen“ und die guten Anlagen der anderen fördern.

Der Mensch ist von Natur aus ein Gruppenwesen und kein Einzelkämpfer. Ungewollte Einsamkeit stellt deshalb eine massive Gesundheitsgefahr dar.

Es bedarf eines Auslösers (z.B. durch Ausgrenzung und Zurückweisung aus einer Gruppe oder eines sozialen Umfelds bedarf), damit es zu aggressiven Handlungen kommt. Auch spiele Gewalt dann eine besondere Rolle, wenn man von einem (angeblich) angeborenen Aggressionstrieb des Menschen ausgehe.

Wir können nicht denken, ohne zu fühlen: Die Intuition kommt an erster Stelle, danach erst das strategische Denken. Moralische Fragestellungen entscheiden Menschen von Natur aus mit ihrer Intuition. „Der Verstand braucht zwingend das Gefühl, um überhaupt funktionieren zu können.“ (Andreas von Westphalen)

Kooperationen sind als treibende Kräfte in der Natur genauso stark wie der Wettbewerb. Der Molekularbiologe, Neurobiologe und Arzt Joachim Bauer hat nachgewiesen, dass nicht Konkurrenz, sondern Kooperation das Erfolgsgeheimnis der Evolution ist. Die Mehrheit der Menschen ist auf Kooperation bedacht, „solange sie nicht von einer Minderheit das Konkurrenzverhalten aufgezwungen bekommt“ (Andreas von Westphalen in "Die Wiederentdeckung des Menschen"). Kooperation ist auch der Grund, weshalb Menschen im Laufe der Evolution in den unterschiedlichsten klimatischen Bedingungen überleben konnten.

Von Natur aus sind Menschen darauf eingerichtet, Mitgefühl zu empfinden. Der Hintergrund hierfür sind unter anderem die Spiegelneuronen. So stellt die Biologie des menschlichen Gehirns sicher, dass wir zum Beispiel selber einen leichten Schmerz verspüren, wenn wir nur sehen, wie jemand sich aus Versehen schneidet.

Motivation ist zentrales Thema des menschlichen Lebens. Auf welche Anreize als Motivator gesetzt wird, hängt aber vom Menschenbild ab. „Der stärkste Motivator der Welt ist unsere Verbindung zu anderen.“ (Dan Ariely)

Menschen sind per se nicht charakterlich schlecht, sondern haben eine „gute Natur“. Spiegelneuronen, Belohnungszentrum und Oxytocin weisen darauf hin, dass der Mensch von Natur aus kein Einzelkämpfer, sondern ein zutiefst soziales Wesen ist (schon Aristoteles hat diese Deklaration vorgenommen). Jahrtausendelang lebten Jäger und Sammler friedlich zusammen; kriegerische Auseinandersetzungen traten wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge erst im Zuge der Sesshaftigkeit und des Anhäufens von Besitz auf. Menschen sollten über ihre eigentliche Natur aufgeklärt werden, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu verändern und eine nachhaltige Wirtschaft anzustreben.

Auch wenn unsere heutigen Probleme und Herausforderungen durch kleine Schritte und Einzelmaßnahmen nicht gelöst werden können, so sind sie dennoch unverzichtbar, um die Welt zum Positiven zu verändern. Es kommt nur darauf an, klein anzufangen und seine Sache gut zu machen.

Egoistisches Verhalten ist erlernt und deshalb auch veränderbar.

Das „natürliche“ Ziel sind soziale Gemeinschaften und gelingende Beziehungen.

Verzerrte Vorstellungen des menschlichen Verhaltens können auch zu falschen Entscheidungen führen. Die Überzeugung, dass der Mensch in Katastrophensituationen egoistisch, panisch und ohnmächtig sei, bestimmt nicht nur die Filmwelt, „sondern auch die Gestaltung von Notfallplänen.“ Von Westphalen verweist auf eine Untersuchung in den USA sowie in Großbritannien, die zu dem Schluss kam, dass die meisten Notfallpläne bis zu einem gewissen Grad auf den genannten Mythen basieren. Dabei belegt eine Vielzahl von Studien, dass Menschen spontan selbst Gruppen bilden, die sich gemeinsame Regeln geben und Aufgaben verteilen, um so möglichst viele Menschenleben zu retten. Nachweislich werden bei einer Katastrophe die meisten Menschen von Überlebenden gerettet.

  • Andreas von Westphalen, Georg von Westphalen: Hilfe, ich bin ein Mensch! Westend Verlag, Neu-Isenburg 2024.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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