Amorelie Gründerin Lea-Sophie Cramer: "Im Kontext von New Work ist Selbstreflektion unfassbar wichtig."
Lea-Sophie Cramer ist eine der erfolgreichsten Gründerinnen Deutschlands: 2013 rief sie das Sextoy-Start-up Amorelie ins Leben und wurde dafür 3 Jahre später vom „Forbes Magazine“ zu einer der Top 30 führenden Unternehmerinnen unter 30 in Europa gewählt. Und nicht nur als aufstrebende Gründerin hat sie sich einen Namen gemacht: Aktuell bewertet sie als Jury-Mitglied in der Show „Das Ding des Jahres“ neue Erfindungen bei ProSieben. Um Neues geht's bei ihr auch im Sommer: Bei der NEW WORK EXPERIENCE am 10. Juni ist sie eine unserer hochkarätigen Speakerinnen. Im Interview erzählt sie uns, welchen Stellenwert Innovationen haben und was Diversität für sie ausmacht.
Lea-Sophie Cramer: Die ehrliche Antwort: Es war einfach an der Zeit – sowohl für mich, als auch für das Unternehmen. Diese Entscheidung musste natürlich erst einmal reifen und ich habe auch viel damit gehadert. Aber ich hatte immer das Bedürfnis, zu gehen, wenn es am Schönsten ist. Dieser Entscheidungsprozess hat eineinhalb Jahre gedauert. In jener Phase habe gemerkt, dass ich das Bedürfnis habe nach neuen, anderen Themen, nach einem freieren Arbeiten, statt jeden Tag im selben Büro. Auch wollte ich mal wieder etwas runterfahren, zur Ruhe kommen, mehr Zeit mit meinen Kindern haben – und auch wieder mehr Zeit für mich. Ich möchte meinen Horizont erweitern, Neues lernen. Das nenne ich mein „Year of Learning“: In diesem Jahr möchte ich mir vorrangig Zeit nehmen, zu lernen. Marshall Goldsmith beschreibt das schön in seinem Buch „What you got here won’t get you there“. Genauso fühle ich mich.
Lea-Sophie Cramer: Ich habe einen Werkzeugkoffer an Erfahrungen und Fähigkeiten. Dieser Werkzeugkoffer hat mich hierhergebracht. Und jetzt ist es Zeit, ihm ein Upgrade zu verpassen – und aus dem Schraubenzieher einen Akkuschrauber zu machen (lacht). Also zu schauen: Was für Werkzeuge gibt es noch, die meinen Lebenswegerleichtern können?
Lea-Sophie Cramer: Ich bleibe weiterhin im Beirat und bin auch noch Minderheitsgesellschafterin. Ich bin eng mit dem Unternehmen verbunden und liebe die Firma. Aber in die Rolle als CEO komme ich nicht zurück.
Lea-Sophie Cramer: Ja, die Coaching-Ausbildung ist schon gebucht, aber Coach möchte ich nicht werden. Das haben viele Leute falsch verstanden. Ich bekomme jetzt schon Anfragen, was denn ein Coaching bei mir kostet. Die Ausbildung ist für mich Selbsterfahrung. Sie findet in München statt und ist ein Mix aus Seminaren und Workshops. Da nehmen zur Hälfte Leute dran teil, die anschließend auch wirklich Coaches sein möchten – und zur anderen Hälfte Führungspersönlichkeiten, die sich einfach selbst weiterentwickeln möchten.
Lea-Sophie Cramer: Ich habe vor etwa zwei Jahren angefangen, mit einer Business-Coach zusammenzuarbeiten und muss aus vollem Herzen sagen: Diese Person hat mein Leben verändert, und das ist nicht übertrieben. Zum einen hat sie mir in einer sehr wichtigen Situation den richtigen Rat gegeben. Nämlich zu einem Zeitpunkt, an dem ich sehr erschöpft war. Sie hat das gesehen und mir gesagt: „Lea, klink dich mal für sechs Wochen aus“. Das habe ich gemacht und es war ein großer Erkenntnisgewinn, der mir wahnsinnig geholfen hat. Im Businesskontext treffe ich Entscheidungen anders, habe einen neuen Blick auf meine Leute, gebe besser Feedback und gebe mehr Verantwortungen ab. Und diese Coaching-Techniken dahinter interessieren mich einfach.
Lea-Sophie Cramer: Ich glaube, viele haben es vor einigen Jahren noch eher als Schwäche angesehen, mit einem Coach zu arbeiten. Aber das ändert sich auch zunehmend. Viele Leute aus meinem Umfeld, die ein Coaching machen, sind extrem erfolgreich und merken durch das Coaching, dass sie noch besser werden können, wenn sie an dem einen oder anderen Rädchen drehen.
Lea-Sophie Cramer: Das ist ein abendfüllendes Thema. Wir haben insgesamt zu wenig Investitionen in Deutschland und die Politik unterstützt die Gründerszene zu wenig. Ein Beispiel ist die Gewinnung von Top-Talenten: Startups können die nicht bezahlen, weil gerade am Anfang das Budget nicht da ist. Ein alternativer Anreiz: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Anteilen an der Firma beteiligen. Das ist in Deutschland aber unattraktiv, weil diese Anteile genauso versteuert werden, wie das normale Einkommen. Solche Regeln, die de facto Standortnachteil sind, muss die Politik ändern. Ich glaube außerdem, dass wir als Investoren und Unternehmer in Deutschland nicht groß genug denken und uns schnell auf Profitabilität fokussieren, statt auf Wachstum. Das machen die Amerikaner ganz anders.
Eine Gesellschaft, die neue Ideen und Veränderungen will, die muss Gründer stärker fördern.Lea-Sophie Cramer
Lea-Sophie Cramer: Ja, auf jeden Fall. In der Risikobereitschaft und in der Unternehmensbewertung sind die Deutschen viel zurückhaltender.
Lea-Sophie Cramer: Ich finde schon. Zum einen hat ja jeder hoffentlich einen gesunden Lokalpatriotismus. Zum anderen ist auch genug Investitionsgeld in Deutschland vorhanden. Zwar nicht staatlich gefördert, aber es gibt genug private Fonds. Was Gründer in der Anfangsphase benötigen, ist „Smart Money“, also die intelligente Unterstützung, das heißt nicht nur Geld sondern auch Beratung. Und da ist es für alle Seiten einfacher, wenn man sich im selben Wirtschaftsraum bewegt.
Lea-Sophie Cramer: Erstens fängt das schon bei der Ausbildung an. Wir haben zu wenig Frauen in den technischen Studiengängen. Das ist ein strukturelles Problem. Wir müssen dafür sorgen, dass Ingenieurs- oder Informatikstudiengänge für Frauen attraktiver werden. Wir müssen aber auch Umdenken und klar machen, dass man nicht BWL oder technische Fächer studiert haben MUSS, um erfolgreich zu gründen. Gründen muss als Karriereoption für alle sichtbarer werden. Zweitens sind Investments ein wichtiger Faktor: Frauen kriegen immer noch deutlich weniger Kapital als Männer und damit weniger Chancen, große Firmen zu bauen. Und drittens kommt dazu, dass es in Deutschland auch noch nicht genügend weibliche Vorbilder gibt, die dem Thema mit einer gewissen Leichtigkeit begegnen.
Lea-Sophie Cramer: Da ist noch viel Luft nach oben. Es gibt zwar Bewegung, aber nur sehr langsam. Das ist auch typisch Deutsch. Wir gehen nicht „All in“. Dabei zeigen zahlreich Studien: Mehr Frauen in Führungspositionen bedeutet mehr BIP-Wachstum. Diverse Teams sind produktiver. Frauengeführte Unternehmen haben im Schnitt einen höheren ROI als männergeführte. Warum ziehen deutsche Unternehmen daraus nicht die Konsequenz und sagen: Wir gehen das voll und ganz an? Wir haben das bei Amorelie gemacht: Wir haben drei Geschäftsführer, zwei Frauen, ein Mann. Die Führungsebene darunter besteht zu 70 Prozent aus Frauen. Ich würde mir keine 20, 15 oder 30 Prozent Frauen in den Vorstand holen, sondern mindestens 50 Prozent. Oder ich gehe sogar „All in“ und schaue, was dabei herauskommt, wenn der Vorstand nur aus Frauen besteht – was ich noch nie gesehen habe. So ein Mindset fehlt uns total. In Deutschland machen wir machen immer nur so viel, wie wir müssen.
Lea-Sophie Cramer: Absolutes Vertrauen, eine starke, ehrliche und konstruktive Feedback-Kultur und die Einstellung: Wir gemeinsam gegen das Problem. Ein starkes Team arbeitet für- und miteinander, nicht gegeneinander. In einem starken Team übernimmt jeder Verantwortung – bei Fehlern wird aber nicht nach einem Schuldigen gesucht, sondern nach der Problem- oder Fehlerlösung. Und was starke Teams auch haben: nimmersatten Erfolgshunger und einen klaren Fokus auf das gemeinsame Ziel.
Lea-Sophie Cramer: Eine sehr große Rolle. Ich glaube extrem an das Arbeitsumfeld. Zu Beginn hatten wir bei Amorelie ein kleines, enges Büro, in dem wir fast wie im Hühnerstall gearbeitet haben. Viele haben sich darüber beschwert. Dann sind wir in ein wesentlich größeres Büro gezogen, riesige Fenster, jeder hatte zehn Quadratmeter Platz. Und was ist passiert? Wir alle hatten schätzungsweise 40 Prozent weniger Output, 60 Prozent weniger Energie und Happiness. Eine extreme Veränderung und dieses unangenehme Gefühl: Jetzt sind wir vom wuseligen Start-up zum schwerfälligen Unternehmen geworden. Das war mein Lernerlebnis, durch das ich gemerkt habe: Das will ich nicht. Ich glaube an kleinere Räume, lieber überfüllt als gähnend leer. Ich glaube an agile Räume, die sich gut verändern lassen: wo du Wände wegschieben kannst, wo du Glaswände in den Einzelbüros hast, an Gemeinschaftsräume mit Wohnzimmeratmosphäre oder eine Küche, in der man gemeinsam essen kann. In meinen Augen ist das Zusammenkommen im Büro wichtig. Von daher sehe ich die Zukunft der Arbeit nicht in „Remote Teams“, wo jeder in seinem Home-Office sitzt. Gelegentliches Homeoffice ist selbstverständlich wichtig für flexible Lebensgestaltung und Elternförderung, klar. Aber kontinuierliche Fernarbeit verhindert die Kulturentwicklung im Unternehmen. Und Kultur ist mit das wichtigste am Unternehmenserfolg.
Lea-Sophie Cramer: Prinzipiell vier Dinge: Klarheit, Motivation, die Fähigkeit, mit wenigen Ressourcen umgehen zu können. Mehr Team, mehr Budget kann jeder. Aber mit wenig viel zu machen, können nur die Besten. Und zuletzt erwarte ich Selbstreflektion. Ich glaube, dass das für die heutige Führungskraft unfassbar wichtig ist. Denn im Kontext von New Work definieren sich Chefs nicht mehr über ihre Position, sondern über Ihr Verständnis, Leute zu führen. Es ist wichtig, dass das hinterfragt wird.
Lea-Sophie Cramer: Arbeit gehört für viele zum Leben dazu – und zwar nicht nur im Sinne von Geld verdienen. Sondern viele Menschen ziehen aus ihrer Tätigkeit auch ihr Selbstbewusstsein. Ich glaube, Arbeit ist extrem wichtig für uns. Wir wären unglücklich, wenn wir nichts zu tun hätten, keine Ziele hätten, keinen Pfad, den wir einschlagen möchten. In meinen Augen braucht eine funktionierende Gesellschaft Menschen, die jeden Tag aufstehen, etwas bewegen und unternehmen. Für mich ist Arbeit ein großer Bestandteil meines Lebens, aber eben auch nur einer unter vielen.
Event-Info: Du möchtest Lea-Sophie Cramer live sehen? Dann sicher Dir gleich ein Ticket: Bei der NEW WORK EXPERIENCE (NWX20) am 10. Juni 2020 wird sie als als eine der zahlreichen hochkarätigen Speaker von ihren New Work Erfahrungen sprechen. Das von XING initiierte Event ist die größte Austauschplattform zur Zukunft der Arbeit im deutschsprachigen Raum und baut der New Work Bewegung die große Bühne, damit sich immer mehr Menschen und Unternehmen auf den Weg machen. Sicher Dir jetzt ein Ticket – und werde Teil der New Work Bewegung.
Du hast selbst eine spannende Geschichte zu erzählen und sorgst dafür, dass New Work kein Buzzword bleibt? Alle sind eingeladen, die Arbeitswelt der Zukunft mitzugestalten. Denn New Work ist nur dann der Schlüssel für eine bessere Arbeitswelt, wenn es Ideen, Veränderungen und Tools mit sich bringt, die tatsächlich helfen, funktionieren und angewendet werden können. New Work – make it work! Auf der NWX20.