Arbeitszeugnis anfordern: So vermeiden Sie den Verdacht, sich wegzubewerben
Timing, Form, geheime Codes: Eine Fachanwältin und ein Bewerbungsexperte sagen, worauf es für Fach- und Führungskräfte beim Anfordern eines Arbeitszeugnisses ankommt.
Düsseldorf. In Deutschland wechseln jedes Jahr Millionen Beschäftigte den Arbeitgeber. Und es gilt: Jeder Angestellte hat das Recht auf ein Arbeitszeugnis – egal, ob ihm oder ihr gekündigt wurde oder er oder sie selbst gekündigt hat.
Der Arbeitgeber kann die Ausfertigung der entsprechenden Führungskraft oder der Personalabteilung überlassen. Nur: Am letzten Arbeitstag sollte das Zeugnis vorliegen. In Papierform, neuerdings geht es auch digital.
Häufig kommt es über dieses wichtige Dokument für die Bewerbung auf die nächste Stelle zu Streit: Das Zeugnis kommt zu spät, fehlerhaft, unvollständig oder benotet die erbrachte Leistung zu schlecht.
Das kostet Zeit, Nerven – und am Ende womöglich Karrierechancen. Timing, Form, geheime Codes: Wie Sie beim Arbeitszeugnis das Optimum herausholen, erklären Livia Merla, Fachanwältin für Arbeitsrecht und geschäftsführende Partnerin der Berliner Kanzlei MGP, sowie der Bewerbungsexperte Jochen Mai.
Wie fordert man ein Arbeitszeugnis am besten an?
Die erste Frage enthält auch ein Wo. Experte Jochen Mai empfiehlt: „Der direkte Vorgesetzte kennt die Aufgaben und Leistungen des Mitarbeiters meist am besten, daher sollte man diese Führungskraft um ein Zeugnis bitten.“ Vorzugsweise schriftlich, sagt der Gründer und Geschäftsführer des Job- und Karriereportals Karrierebibel.de.
Dazu genüge ein Zweizeiler nach diesem Format:
„Sehr geehrte Frau X, hiermit bitte ich höflich um die Ausstellung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses für meine Beschäftigung vom TT.MM.JJJJ bis TT.MM.JJJJ. Mit freundlichen Grüßen, Unterschrift“
Das qualifizierte Zeugnis ist aussagekräftiger als das sogenannte einfache Zeugnis, was in der Regel für Aushilfen erstellt wird: Es enthält nicht nur Details zu Art, Inhalt und Dauer der Beschäftigung, es bewertet auch die Leistung und das Verhalten des Mitarbeiters gegenüber Vorgesetzten und Kollegen.
Dadurch wird es deutlich länger als die Basisversion, für die eine DIN-A4-Seite reicht, üblich sind bis zu drei Seiten.
Wichtig: „Ohne entsprechenden Antrag des Angestellten muss der Arbeitgeber nur ein einfaches Zeugnis ausstellen“, sagt Juristin Livia Merla.
Arbeitszeugnis anfordern: Wann ist der günstigste Zeitpunkt?
Experte Mai rät: „Personaler erwarten bei der Bewerbung ein qualifiziertes Zeugnis, entsprechend sollten Sie es gleich zusammen mit Ihrer Kündigung anfordern, wenn Sie von sich aus gehen.“ Spätestens jedoch mit einem Vorlauf von drei bis vier Wochen, bevor das Arbeitsverhältnis endet.
Anders sieht es aus, wenn man sich bewerben möchte, um den Markt zu sondieren, aber keine konkrete Kündigungsabsicht hat. Dazu reicht ein sogenanntes Zwischenzeugnis.
Mai rät, alle zwei Jahre ein Zwischenzeugnis anzufordern, insbesondere aber vor Elternzeit oder Sabbatical. Der Vorteil: Es hat Bindungswirkung. „Neue Vorgesetzte können nur schwer von der ursprünglichen Bewertung abweichen, es sei denn, sie haben triftige Gründe“, erklärt Mai.
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Wie vermeidet man Verdacht, sich wegbewerben zu wollen?
Mai empfiehlt auch hier Regelmäßigkeit: „Bitten Sie immer wieder mal um ein Zwischenzeugnis.“ Dafür böten sich allerlei Gelegenheiten: wenn der Vorgesetzte wechselt, man eine Aufgabe zusätzlich übernommen hat oder ein größeres Projekt unter der eigenen Leitung erfolgreich abgeschlossen wurde. „So wird Ihr Vorgesetzter nicht gleich vermuten, dass Sie sich wegbewerben wollen, nur weil Sie mal wieder ein Zwischenzeugnis wünschen“, sagt der Experte.
Wie überzeugt man seinen Chef, das Zeugnis selbst schreiben zu dürfen?
Am besten verbindet man seinen Zeugniswunsch gleich mit dem Vorschlag: „Ich kann gern einen ersten Entwurf anfertigen. Sie haben ja viel zu tun und vielleicht nicht alle meine Projekte en détail auf dem Schirm“, rät Mai. „Chefs werden auf diese zeitsparende Vorarbeit nur selten verzichten.“
Wie legal ist der eigene Zeugnisentwurf, und lohnt er sich?
Stimmen Chef oder Chefin einem Entwurf des Angestellten zu, ist alles in Ordnung. „Das Zeugnis muss aber immer vom Arbeitgeber freigegeben und unterschrieben werden, um gültig zu sein“, sagt Juristin Livia Merla.
Selbst schreiben lohnt sich, ist Berater Mai überzeugt: „Es ist die Chance, das Beste für sich rauszuholen - wenn man es kann.“ Musterzeugnisse und Formulierungshilfen gibt es online. Mai rät, im Zweifelsfall einen professionellen Zeugnis-Autor hinzuziehen. Die Kosten liegen zwischen 100 und 150 Euro.
Was sind typische Fehler beim Selbst-Schreiben?
Die drei Hauptfehler, die Angestellten beim Selbst-Verfassen unterlaufen:
Sie übersetzen Schulnoten mangelhaft in Zeugnissprache.Sie beachten die Formalien nicht, die für einen tadellosen Text unerlässlich sind.Sie kennen die geheimen Formulierungscodes der Personaler nicht.
„Unbeabsichtigt ein falsches Signal zu geben, ist die größte Gefahr, wenn das Zeugnis selbst verfasst wird“, sagt Mai. Denn: Offene Kritik ist im Arbeitszeugnis verboten. Geheime Codes verraten dem Personaler des nächsten Arbeitgebers allerdings, was offiziell nicht geschrieben werden darf.
Insgesamt muss das Zeugnis wohlwollend formuliert sein. Juristin Merla sagt: „Ein Arbeitszeugnis muss laut Bundesarbeitsgericht mindestens ,befriedigend' ausfallen.“ Allerdings werden die klassischen Schulnoten von Eins bis Sechs für die Leistung eines Arbeitnehmers in der Zeugnissprache verklausuliert.
Die Note Eins zum Beispiel wird durch die Worte „jederzeit“, „immer“, „stets zur vollsten Zufriedenheit“ ausgedrückt.
Wie leicht aus dem Urteil „sehr gut“ ein „gut“ wird, verdeutlicht folgende Formulierung. Es sind zwar nur Nuancen geändert, aber werden folgende Worte verwendet, entspricht das der Note Zwei: „zur vollsten/stets zur vollen Zufriedenheit“.
Wer also naiv rangehe, so Mai, und einfach tippe: „Hat im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit gearbeitet“, erteile sich unabsichtlich die Note Fünf.
Andererseits bestehe aber auch die Gefahr von verdächtiger Lobhudelei: Wer seinen Einsatz etwa als „über die Maßen gut“ beschreibe, wecke den Argwohn des versierten Lesers.
Mais Tipp für Zeugnisautoren in spe: „Bei den Formulierungen nicht die Gesamtnote „Eins mit Sternchen“ anstreben. Das glaubt einem keiner. Lieber die Note „Eins minus“ oder „Zwei plus“ vermitteln. Das sorgt für Glaubwürdigkeit.“
Neben dem offiziellen Notencode haben sich geheime Codes etabliert, auf die Personaler achten und daraus Rückschlüsse über Bewerber ziehen.
Wer also in Eigenregie drauflos textet, kann sich schaden. Auch das verdeutlicht Mai an einem Beispiel: „Sie erledigte alle Aufgaben pflichtbewusst und ordnungsgemäß“ klingt durchaus solide. Ein Personaler dagegen würde es so interpretieren: „Sie machte nur, was man ihr sagt.“
Noch schlimmer wären passive Formulierung wie diese: „Sie wurde für folgende Arbeiten eingesetzt“ statt: „Sie erledigte folgende Aufgaben.“ Die passive Satzkonstruktion würde den Leser darauf hinweisen, dass es der betreffenden Person an Eigeninitiative fehle.
Schon scheinbar unbedeutende Kleinigkeiten können verhängnisvoll sein. Die Formulierung „Das Verhalten gegenüber Kollegen, Vorgesetzten und Kunden war stets einwandfrei“ entspricht nicht der üblichen Formulierung, die Vorgesetzte an erster Stelle nennt. Mai: „So gibt man ungewollt einen versteckten Hinweis darauf, dass man nicht gut mit Vorgesetzten zurechtkam.
Und dann sind da noch die Formalia. „Wer nicht weiß, welche Elemente im Arbeitszeugnis unbedingt vorhanden sein müssen, läuft Gefahr, Kritik an der eigenen Leistung einzubauen“, sagt Mai. Paradebeispiel dafür sei die sogenannte Schlussformel.
Sie besteht idealerweise aus Trennungsgrund, Dank, Bedauern über das Ausscheiden und Wünschen für eine erfolgreiche berufliche Zukunft. Mai: „Dieses Element kann der Arbeitgeber freiwillig einbauen.“ Sei es unvollständig oder fehle es komplett, sei das ein sehr schlechtes Signal an den künftigen Chef.
In welchem Fall kann man Nachbesserung verlangen, wenn man das Zeugnis nicht selbst entwerfen durfte?
Ob Schreibfehler oder falsche Daten, ein Zeugnis muss inhaltlich richtig und vollständig sein – sonst muss der Arbeitgeber es korrigieren. „Und zwar so oft, bis es seine Richtigkeit hat“, sagt Fachanwältin Livia Merla.
Gründe für die Nachbesserung können vielfältig sein: zum Beispiel, weil wesentliche Aufgaben fehlen, die vom jeweiligen Mitarbeiter bearbeitet wurden, oder weil das Zeugnis nicht auf Firmenpapier ausgestellt wurde.
Generell verboten sind im Arbeitszeugnis Aussagen über Krankheiten, Schwangerschaft, Elternzeit oder das Gehalt.
Auch bei einer schlechteren Bewertung als der Schulnote „befriedigend“ kann der Arbeitnehmer unabhängig von seiner tatsächlichen Leistung eine Korrektur des Zeugnisses verlangen.
Merla: „Ist ein Arbeitnehmer der Ansicht, dass seine Leistung überdurchschnittlich war, muss er dafür allerdings entsprechende Beweise erbringen.“
Was ist zu tun, wenn der Chef die Nachbesserung verweigert?
In diesem Fall rät Juristin Merla dazu, die Zeugniskorrektur zunächst schriftlich mit einer Frist zu fordern. Zwei bis drei Wochen seien dafür angemessen. Fruchte dies nicht, müssten die Ansprüche mit einer Zeugnisberichtigungsklage beim zuständigen Arbeitsgericht geltend gemacht werden.
Wann lohnt es sich, einen Anwalt einzuschalten?
Weigert sich der Chef, ein Zeugnis auszustellen oder es zu korrigieren, hilft oftmals ein Schreiben vom Fachanwalt. „Arbeitgeber sind spätestens jetzt häufig bereit, die gewünschten Änderungen vorzunehmen, um einen langwierigen Rechtsstreit zu vermeiden“, weiß Merla aus ihrer Praxis.
Arbeitszeugnis: Wie viel kostet die juristische Prüfung oder Unterstützung?
Die Kosten für eine Zeugnisprüfung oder -korrektur können unterschiedlich ausfallen. Dies hänge laut Juristin Merla zum Beispiel davon ab, ob der jeweilige Rechtsanwalt nach den gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren (RVG) oder einem vereinbaren Honorar abrechne.
Die gesetzlichen Gebühren richteten sich dann wiederum nach dem jeweiligen Streitwert, hingen also von der Höhe des Gehalts des betroffenen Mitarbeiters ab. Es empfiehlt sich, zunächst zu klären, welche Variante günstiger kommt.
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