Beruf als Berufung: Vom Glück, für andere da zu sein
Seit Jahren hat die Pflege ein Imageproblem. Die meisten verbinden damit Überlastung und Dauerstress, Personal- und Zeitmangel, schlechte Arbeitsbedingungen oder Schichtbetrieb. Das Beispiel von Rashid Hamid, der einen eigenen Pflegedienst führt, zeigt die anderen Seiten des Pflegealltags - und warum er sich immer wieder für diesen Beruf entscheiden würde.
Ein Herz und eine Pflege
Immer weniger Menschen wollen im Pflegedienst arbeiten. Auf 100 gemeldete Stellen für Altenpfleger bewerben sich derzeit nur 22 Menschen. Etwa die Hälfte der offenen Stellen werden nicht gemeldet. Durchschnittlich bleibt dabei eine offene Pflegestelle 240 Tage unbesetzt. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) könnten zum Jahr 2035 in Deutschland etwa 307.000 Pflegekräfte fehlen. Für den Pflegebereich insgesamt sieht die Situation sogar noch dramatischer aus: Hier könnten es bis zu 500.000 Pflegekräfte sein, die zusätzlich benötigt werden, um die Versorgung der Patienten zu garantieren. Das Problem wird sich noch verschärfen, weil auch in der nahen Zukunft immer mehr Menschen gepflegt und versorgt werden müssen. Um dies gewährleisten zu können, muss die Zahl der Pflegefachkräfte deutschlandweit stark ansteigen.
Deshalb braucht es Menschen, die soziale Berufe ergreifen und ihr Tun nicht nur als Beruf, sondern auch als Berufung verstehen. So wie Rashid Hamid, der Pflegerinnen und Pflegern in Deutschland eine Stimme gibt. Geboren wurde er 1992 in Hamburg. Seine Eltern stammen aus Afghanistan. Als Teenager war er „faul und schüchtern“, spielte den ganzen Tag an seinem Game Boy und aß Fast Food. Mit 16 machte er seinen Realschulabschluss. Mit einem Durchschnitt von 4,2 hatte er kaum Chancen, einen Ausbildungsplatz zu finden. Doch er probierte sich aus: vom Kfz-Mechatroniker über Gastronomie bis hin zur Hotelbranche. Doch all diese Tätigkeitsfelder haben ihn nicht wirklich berührt. Ein Nachbar, der als Krankenpfleger arbeitete, empfahl ihm schließlich, ein Praktikum im Krankenhaus zu machen. Dort spürte Rashid Hamid die Freude, Patienten zu betreuen und sich mit ihnen auszutauschen.
Allerdings war für einen Job als Pfleger in einer Klinik sein Schulabschluss nicht gut genug. Er stellte fest, dass die Altenpflege dieser Arbeit sehr ähnlich ist – er bewarb sich als Auszubildender und erhielt einen Ausbildungsplatz. Hier zählten andere Dinge als gute Zensuren. Nachdem er 2013 seine Ausbildung als Altenpfleger abgeschlossen hat, gründete er 2021 seinen eigenen ambulanten Pflegedienst Smile und teilte erste Videos von sich und seinen Klienten unter @pflege.smile bei Tiktok und Instagram, wo er inzwischen zu einer „Berühmtheit“ geworden ist und regelmäßig Einblicke in den Pflegealltag zeigt, der auch viele positive Seiten hat. Dazu gehören ein hochspezialisiertes und differenziertes Aufgabenspektrum sowie vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten.
Um den Pflegeberuf attraktiver zu machen (die Abbruchquote im Pflegebereich gehört mit 30 Prozent zu den höchsten überhaupt), berichten in ihren Videos auf TikTok und Instagram auch Mitarbeitende und Pflege-Influencer von consil med über ihre Arbeit in den Krankenhäusern und Altenheimen. Das Unternehmen (das allerdings nichts mit Rashid Hamid zu tun hat) bietet das komplette Spektrum der Personaldienstleistung an und bringt medizinisches Fachpersonal sowie Ärztinnen und Ärzte mit Top-Arbeitgebern aus dem Gesundheitsbereich zusammen. Es gehört zur NEUMÜLLER Unternehmensgruppe (NEUMÜLLER Ingenieurbüro GmbH, die NEUMÜLLER Personalberatung Regina Neumüller e.K.). Was das Unternehmen mit Rashid Hamid verbindet, sind große gesellschaftliche Themen wie Vereinsamung im Alter, Empathie und menschliche Zuwendung. Beide kommunizieren auch neben dem Kerngeschäft der Pflege die Bedeutung dessen, was eine Gesellschaft im Innersten zusammenhält.
Unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben müssen deshalb fürsorglicher und partnerschaftlicher werden.
Wichtige Quellen dafür sind Familie, Freundschaften, Nachbarschaft und Kommunen – lokale und kleine Bezüge, aus denen bei guter Pflege eine nachhaltige Zukunft „wachsen“ kann. Social Media kann dazu ebenfalls nachhaltig beitragen. Rashid Hamids Social-Media-Aktivitäten entstanden allerdings zunächst aus einer Notlage: Bis vor eineinhalb Jahren hatte er kein Instagram, kein TikTok und kein Facebook. Da es ihm an Anfragen von Patienten und Mitarbeitenden fehlte, und er kein Geld für Stellenanzeigen hatte, riet ihm seine Frau zu Social Media, da dies kostenlos sei. Zu Beginn folgten ihm zunächst nur Menschen aus dem Pflegebereich, heute kommen seine Follower aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Seine hohe Reichweite möchte er auch weiterhin sinnvoll nutzen und sich damit für ein besseres Image des Berufes und der damit verbunden Anerkennung einsetzen. Das ist auch ein wichtiges Anliegen seiner Autobiografie "Ein Herz und eine Pflege", in der er auch Patienten zu Wort kommen lässt, von denen er lernt. „Gerade, wenn sie das Leben schon fast hinter sich haben, kommt immer mal ein Spruch, der mich zum Nachdenken bringt oder mich mein Leben wieder mehr genießen lässt.“
Sein Buch zeigt nicht nur die verschiedenen Facetten der Pflege und die unterschiedlichen Patienten- und Pflegertypen – vor allem lehrt es etwas über „Nachhaltigkeit“. Dazu gehören hier vor allem die Gespräche der Generationen. Bereits in seiner Ausbildung haben ihn die älteren Menschen motiviert, offener zu sein. Sie haben immer direkt gefragt, wer er ist und was er tut. Durch die Arbeit in der Pflege kommt er heute besser mit Menschen klar. „Ich realisiere durch meine Patient:innen, wie gut wir es heutzutage haben. Von Oma Lotti habe ich erfahren, wie es früher war, ohne Kühlschrank aufzuwachsen und ohne Strom, der immer verfügbar ist.“ In seinem Buch berichten die älteren Patienten über Kriegs- und Krisenzeiten, dass das Leben ohne Smartphones besser und Menschen aufmerksamer waren. Sie schrieben Briefe, konnten vertiefend denken, besser improvisieren und Dinge reparieren. Die junge Generation heute ist dagegen vor zu viele Entscheidungen und Wahlmöglichkeiten gestellt. Oft nutzt sie die Finger nur, um über das Smartphone zu wischen, aber nicht mehr praktisch anzupacken und die Wirklichkeit buchstäblich zu begreifen.
Dieses Buch führt uns alle ins Leben zurück und zeigt, worauf es ankommt.
Dazu gehört auch das Bewusstsein für Abschiednehmen und Altwerden und der Fokus auf das, was wirklich wichtig ist, was wir (statt Vorurteilen) lieber „pflegen“ sollten: Liebe, Freundschaft, Dankbarkeit, Pflanzen, gute Unterhaltung und gute Manieren. Rashid Hamid zeigt, dass Vorteile von Diversität nur abgebaut werden können, wenn alle Menschen Verständnis füreinander haben und Beziehungen zueinander aufbauen. So verfügen Ältere über eine gelassene Distanz zu Herausforderungen, äußeren Zwängen und Abhängigkeiten. Sie haben ein stabiles Bewusstsein vom persönlichen Eigenwert und können auf einen enormen Erfahrungsschatz zurückgreifen.
Ernste Themen müssen allerdings nicht immer ernst vermittelt werden. „Wer sagt denn überhaupt, dass Krankheit, Tod und Alter immer mit einer ganz schlimmen Stimmung verbunden sein müssen?“, fragt Rashid Hamid. Humor ist für ihn auch in der Pflege unverzichtbar. Das bedeutet nicht, über schwierige Dinge hinzuwegzusehen oder sie schön zu reden, sondern auch in Krisenzeiten einen klaren Blick für den Ernst der Lage zu behalten und dennoch Hoffnung und Zuversicht nicht zu verlieren. Mit seinem „Dasein“ für andere rettet er manchmal Leben. Und oft rettet seine Aufgabe sein Leben, weil sie größer ist als er selbst und über ihn hinausgeht. Seine Autobiografie zu schreiben hatte auch mit dem Wunsch zu tun, Genaueres darüber zu erfahren, was ein erfülltes Leben sein könnte. Selbstverwirklichung bedeutet auch, das eigene Können und Tun, das, was man am besten kann, auch für andere nutzbar zu machen. Ein Mensch, der den Wert, sich verantwortlich zu fühlen, erkennt und verinnerlicht, dem ist es leicht möglich, sich in unserer komplexen Welt zurecht zu finden und ein guter Mensch zu sein.
Das Buch:
Rashid Hamid: Ein Herz und eine Pflege. Vom Glück, für andere da zu sein. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024.
Weiterführende Informationen:
Hinter den Zahlen des Pflegenotstands: Einblicke in den Klinikalltag
Demografischer Wandel: Pflegekräfte brauchen mehr als eine faire Bezahlung
„Ihr Pflägerlein kommet“: Wie können Menschen für den Pflegedienst begeistert werden?
Welche Zukunftsaussichten haben Pflegehelfende und Pflegefachkräfte?
Alte Wunden: Was die „Beschäftigung“ von Menschen in Pflege- und Altenheimen mit uns zu tun hat
Was die Pflegekatastrophe mit der Klimakatastrophe verbindet
Saskia Aleythe und Paulina Würminghausen: Früh raus? Kein Bock! In: Süddeutsche Zeitung (3./4.2.2024), S. 30.
Werner Neumüller: Ehrlich weiter: Auf der Suche nach den Menschen. In: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018, S. 145-158.
Werner Neumüller: Die Grenzen der Rationalität. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.