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Es braucht nicht immer Top-Noten, um Eindruck zu machen!

Bewerbungen: Warum ein guter Uni-Abschluss manchmal wertlos ist

Wer Karriere machen will, braucht einen Top-Abschluss, heißt es oft. Warum Zeugnisse aber leider nur wenig über Bewerber aussagen und wieso mir Mitarbeiter mit schlechten Noten manchmal sogar lieber sind.

Ich hätte gern studiert, wenn ich ehrlich bin. In der Praxis und bei Kundenabschlüssen macht mir keiner was vor, aber wenn es um theoretische Kenntnisse geht, um steuerliche Angelegenheit zum Beispiel, wäre mir eine gewisse Grundkenntnis einfach lieb. Leider, oder besser zum Glück, kam mein Vater damals direkt nach meinem Schulabschluss auf mich zu und fragte, ob ich nicht lieber seine Firma übernehmen wolle, statt zu studieren. Ohne zu zögern sagte ich zu und bereue es auch bis heute nicht. Nur in den kleinen Momenten der Theorie, da sehne ich mich danach.

Heute führe ich meine Firma mit 26 Mitarbeitern. Ich entscheide selbst darüber, wer in unser Unternehmen passt oder wo ein Bewerber richtig und gut eingesetzt werden kann. Mitunter sitzen dann auch studierte Bewerber vor mir, Leute mit sehr guten Abschlüssen, die alle Firmen so händeringend suchen und nicht voreilig abweisen würden. Kompetent in der Theorie sind sie alle, das bestreitet keiner. Aber wenn ich einen Vergleich ziehe, zwischen Bewerbern mit guten Abschlüssen und denen ohne, kommt es nicht selten vor, dass ich eine Überraschung erlebe.

Allrounder gesucht

Bevor ich erkläre, was ich meine, muss ich kurz differenzieren: Ich führe einen mittelständischen Betrieb, keinen Konzern und auch kein Unternehmen mit Tausenden Mitarbeitern. Die Hierarchien bei uns sind flach, wenn auch eindeutig verteilt, und jeder hilft dem anderen, wo er kann. Konkurrenzdenken innerhalb der Teams gibt es nicht, da packen alle mit an und jeder kann irgendwie alles, zumindest ein bisschen. Und genau da, so sieht es zumindest aus, liegt bei einigen Studierten das Problem.

In einem Umfeld wie unserem fangen Überflieger auf dem Papier nämlich häufig an, sich einzuigeln. Da wird sturr und starr nach Auftragsklärung gearbeitet, erst der eine Prozess abgearbeitet, bevor der nächste beginnt und mit Scheuklappen auf den Augen weder nach rechts noch nach links geschaut, weil sie es im Studium nicht anders gelernt haben. Vor allem mit Mitarbeitern aus der Industrie bin ich damit schon häufig auf die Nase gefallen. Das sind oft gute Spezialisten in Ihrem Bereich, die sich mit dem Blick über den Tellerrand allerdings schwer tun, da sie mit dieser nicht abteilungsgetriebenen, agile Arbeitsweise fremdeln. Wir aber brauchen nunmal Allrounder.

Der Fehler liegt im System

Die vermeintlich unqualifizierten Bewerber mausern sich hingegen oft zu großartigen Kollegen. Schüler, die mit der Theorie in der Schule gar nicht klarkommen, bei uns aber tatkräftig anpacken, Mütter, die endlich wieder arbeiten wollen und ambitionierter sind denn je, oder Quereinsteiger, die ihre wahre Berufung erst spät entdeckt haben und sich dann doppelt so stark reinhängen in den Job. Wider den ersten Eindruck, können solche Menschen Leistungen freisetzen, die man bei anderen bereits voraussetzt, aber dann oft enttäuscht wird. Bewerber mit schlechten Noten sind mir damit mindestens genauso lieb wie gut ausgebildete. Im Zweifel werde ich immer (positiv) überrascht.

Ich will damit nicht sagen, dass Uni-Abschlüsse kein Qualitätsmerkmal sind. Im Gegenteil: Zeugnisse und Zertifikate helfen mir als Führungskraft im ersten Moment sogar sehr, einen (wenn auch flüchtigen) Eindruck vom Bewerber zu bekommen. Leider haben die Lehren der Universitäten nur wenig zu tun mit dem, was in der Wirtschaft und damit im Berufsleben tatsächlich erforderlich ist. Da unterrichten Dozenten, die selbst nie die universitäre Landschaft verlassen haben und predigen Dinge, die in der Theorie sicherlich ihre Berechtigung haben, auf dem freien Markt allerdings untauglich sind.

Diese Schieflage entsteht leider oft schon in den Schulen. Wenn ich dort Seminare gebe oder Vorträge halte über die Inhalte der Zukunft, sehe ich oft in verzweifelte Lehrer-Augen, die mir signalisieren, dass sie von den Themen, die sie den Kindern beibringen sollen, eigentlich keine Ahnung haben. In Bayern schreibt das Kultusministerium neuerdings „E-Commerce“ in die Lehrpläne, doch bis auf die Tatsache, dass der ein oder andere Lehrer selbst mal was im Internet bestellt hat, ist nicht viel übrig vom Wissen um das Einkaufen im Netz. Wie denn auch, stand es zu ihren Studienzeiten doch noch gar nicht zur Debatte.

Noten können nicht mit anpacken

Ich will damit nicht alles schlecht reden am System. Ich bin der Meinung, dass es größtenteils großartige Absolventen hervorbringt, die ihre theoretischen Kenntnisse bestens um praxisnahe Learnings ergänzen können. Vor allem an Fachhochschulen, wo neben reinen Hochschulmitarbeitern auch Vertreter aus der Wirtschaft dozieren, wächst vielversprechender Nachwuchs heran, der sowohl auf dem Papier glänzt, als auch im Umsetzen der gelernten Inhalte.

Am Ende müssen sich Bewerber nur eins klarmachen: dass es nicht essentiell ist, wo man studiert hat, oder welchen Abschluss man hat, sondern, wo man hin will. In großen Unternehmen und oder gar börsennotierten Konzernen ist es in der Tat wichtig, eine gute theoretische Ausbildung vorweisen zu können, allein schon, weil sie das Einfallstor zu Personalabteilung bildet. Zeugnisse und Abschlüsse sind demnach das A und O und sollten gut sein. Praktiker allerdings, Leute mit Transfer-Fähigkeiten, sind auch im Mittelstand mehr als willkommen und haben gute, wenn nicht sogar bessere, Chancen als reine Uni-Absolventen.

Bei der Bewertung und Auswahl von Bewerbern sind Noten dabei eher zweitrangig. Wichtiger ist mir, dass jemand brennt, für das was er tut und Einsatz zeigt. Und das tun Menschen mit schlechten schulischen/universitären Noten manchmal sogar besser als gute Absolventen. Weil sie endlich die Möglichkeit bekommen, Gas zu geben und ihre praktische Ader, die in der Ausbildung zu kurz gekommen ist, auszuleben. Hochstudierte Menschen hingegen oder Fachidioten verstehen zwar oft sehr viel von ihrer Materie, hadern aber im Zwischenmenschlichen oder einer manchmal chaotischen Arbeitsweise eines Mittelständlers, in der viel nach Bauchgefühl und weniger nach klar definierten Regeln gespielt wird. Am besten wäre natürlich ein Mix aus beidem, mit viel Glück erhascht man auch so jemanden! Was ich mit dem Beitrag zum Ausdruck brignen will: Sorgt Euch nicht!

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Vanessa Weber schreibt über Unternehmertum, Marketing, Nachfolge, Führung

Vanessa Weber ist Geschäftsführerin und Unternehmerin aus Leidenschaft. Heute ist sie neben ihrer Tätigkeit für ihre Firma als Vortragsrednerin tätig und vermittelt ihr Fachwissen sowie ihren Erfahrungsschatz an andere Unternehmer. Sie ist eine Frau aus der Praxis für die Praxis.

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