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Christina Hecke/privat

Blick hinter unser Leben: Das Weltbild der Schauspielerin Christina Hecke

Wer sich gern an den Rändern bewegt, möchte das Leben von allen Seiten spüren, aber sich auch nicht festlegen lassen. Wer sich selbst gehört, ist eben oft auch eigensinnig und wählerisch. Viele grenzgängerische Momente und Erlebnisse haben in der Schauspielerin Christina Hecke ein Weltbild reifen lassen, „das keine Handlungen oder Gedanken ohne Verantwortung mehr zulässt.“ Sei es nur die Eigenverantwortung oder auch die damit verbundene Verantwortung des Einzelnen im Verhältnis zu und mit anderen. „Wenn wir Verantwortung ablehnen, werden wir blind für die Wahrheit eines größeren Zusammenhangs.“

Das ist der ursprüngliche Hintergrund der Frage in der Bibel: Zuerst haben Adam und Eva Freiheit erfahren, aber dann verstecken sie sich und fürchten sich davor, für ihr Handeln einzustehen. Gott fragt: „Wo bist du? Wo seid ihr?“ Es gibt keine befriedigende Antwort, denn jeder schiebt die Verantwortung zunächst dem anderen zu. Der deutsche Begriff „Verantwortung“ lässt sich seit dem 15. Jahrhundert nachweisen. Er stammt aus dem Rechtswesen und wurde im Sinne von „beantworten“ (der Angeklagten) verwendet. Verantworten bedeutete vor diesem Hintergrund, „sich vor Gericht verteidigen“. Daran angebunden ist die Frage, wem Antwort gegeben wird. Persönlich Verantwortung übernehmen bedeutet vor diesem Hintergrund auch, in der Lage zu sein, Lebensfragen zu beantworten („Wer bist Du?“) und bereit zu sein für die Erfüllung der Aufgaben, die das Leben jedem Menschen stellt.

Soziale Verantwortung beruht auf der Erkenntnis von Gemeinsamkeiten und des Zusammenhangs zwischen dem eigenen Leben und dem der Mitmenschen. Verantwortung beginnt also bei einem selbst - mit Eigenverantwortung, die wiederum zu einer nachhaltigen und reflektierten Wirtschaftsweise führt, die nicht nur dem Eigennutz und der rücksichtslosen Gewinnmaximierung dient, sondern auch den Sinn der geschäftlichen Tätigkeit für das Gemeinwohl berücksichtigt.

In ihrem Buch „Mal ehrlich“ erzählt Christina Hecke, wie die Erkenntnis in ihr gereift ist, dass alles mit allem verbunden ist. Beschrieben wird sie entlang biografischer Stationen. So liegt, als sie im Kreissaal in Stuttgart auf die Welt kommt, „Schrecken in der Luft. Eine ganze Reihe an Informationen, vor allem aber: Lebensgefahr.“ Das drohende Ableben ihrer Mutter. Es ist jedoch das Gefühl von Urvertrauen, das sie trägt: „Es ist gut so, wie es ist. Und auch sie spürt das.“ Ihr Buch ist ein Plädoyer, an das Vertrauen zu unserem Ursprung wieder anzuknüpfen, dem, „was die Welt im Innersten“ zusammenhält. Dieses Netz ist nicht erst seit Goethes Faust bewusst - es ist ein uraltes Wissen, das sie in ihrem Buch verknüpft. Dazu gehört „alterslose Weisheit“, die nicht mit dem Alter kommt, sondern mit Sein zu tun hat. Die Messlatte Leistung legte sie jahrelang nicht nur an mich, sondern auch an andere an: „Funktionieren war Status und Erwartungshaltung meines alten Lebens.“

Im Zeitalter der Hyperkommunikation ist Mitteilen oft wichtiger als das echte Erleben. Selten lässt sich wirklich jemand konzentriert auf jemand anderen ein – ohne Ablenkung oder Unterbrechung. Doch ein reines Ohr erfordert Feingefühl, Offenheit und ein tiefes Empfinden - eine Innigkeit, die aus der Seele geschöpft wird. Deshalb ist Zuhören die Devise von Christina Hecke: „Mir selbst, meinem Körper, meinem Gegenüber. Mit dieser Lebenshaltung kommt mehr Achtsamkeit in mein Leben. Mehr Vitalität, mehr Weitsicht. Ich bin schlicht wacher, mehr da.“

Ihr Buch ist keine Autobiographie, die einer Chronologie der Ereignisse folgt. Viele Autoren verwickeln sich darin, wenn ihre Eitelkeit sehr ausgeprägt ist oder ihre Kreativität dünner wird, und sie sich selbst neu inszenieren müssen. Nicht so Christina Hecke, die kein Namedropping betreibt und auch nicht die Schauspielerei herausstellt. Wo sich andere auch in ihren Büchern verkleiden, ist sie nackt, ehrlich und nahbar. So fand auch das Thema Tattoo nach einem jahrelangen, schmerzvollen Prozess mittels Laserbehandlung einen Abschluss. Nach über 20 Jahren versuchte sie, „dieses schwarze Unding entfernen zu lassen. Jede Sitzung hat mich daran erinnert, wie sehr ich damals von mir abgeschnitten war, dass ich das einfach so habe machen lassen.“

Heute geht sie mit Rückgrat durch die Spiele dieser Welt, nimmt ihr Leben selbst in die Hand und geht an die Arbeit. Mit den wachsenden Erfahrungen steigt auch ihre Qualität: „Ich bin präsent, wach, habe mehr Ausdauer. Mein gesamtes Leben erfährt ein neues Qualitätsniveau. Alkohol, lange Nächte und Motorradfahren lege ich ins Archiv. Brauche ich nicht mehr. Schließlich lerne ich meine Grenzen besser kennen, weil ich auf mich höre.“ Stets ist sie auch ein handwerklich geschickter Mensch gewesen - vielleicht spielt dieser Aspekt auch mit hinein, wenn es darum geht, für andere (be)greifbar zu sein.

Für Christina Hecke gibt es nur einen Weg – die Wahrheit ihrer Sensibilität, die kein Talent ist, sondern eine Grundausstattung.

„Mal ehrlich!“ Dieser Buchtitel suggeriert etwas Beiläufiges, Alltägliches, das mit jedem von uns zu tun hat. Vielleicht wählte sie auch deshalb den Untertitel „Mein Blick hinter unser Leben“: unser aller Leben und ihr Leben mit der Fotografin Steffi Henn. Hinter das gemeinsame Leben zu sehen, bedeutet auch, Heimat zu finden, Anbindung an die eigene Seele. Sie macht aber auch sichtbar, wie sehr alle und alles miteinander verwoben ist, und dass fehlende Nachhaltigkeit immer mit Entwurzelung zu tun hat. "Home is where your heart is".

Christina Hecke sieht sich als Weltbürgerin: „Ich bekenne mich zum Planeten Erde.“ Mit weltweiten Fridays-for-Future-Bewegung wurde der Klimawandel vom abstrakten Phänomen und zerfaserten, schwer greifbaren Problem zur akuten Sorge vieler. „Faktisch protestieren wir damit gegen die Folgen unseres eigenen Verhaltens. Suchen Schuldige und bestimmen die Opfer. Tatsächliche Verursacher der Klimasituation: wir selbst. Der CO2-Ausstoß und andere Ursachen unseres Handelns sind messbar. Wer in welchem Maß dazu beigetragen hat, ist eigentlich fast egal: Es ist nur ein Spiegel dafür, dass uns überhaupt die anderen, und im Vorangegangen wir selbst, gleichgültig sind. Wir erleben die Folgen des Ich-Horizonts.“

Christina Hecke schärft unser Bewusstsein für Nachhaltigkeit und zeigt in ihrem Buch, wo es heute Vertiefung braucht. Wo sie fehlt, fehlt es auch an inneren Ressourcen und Reserven, die wir benötigen, weil sie uns resilient und immun gegenüber Verführungen machen und uns emotional nicht abstumpfen lassen.

Zur Person:

Christina Hecke, Jahrgang 1979, ist eine vielfach ausgezeichnete Theater- und Filmschauspielerin. Nach mehreren erfolgreichen Bühnenjahren wechselt sie 2009 vor die Kamera. Seitdem prägen ihre charakterstarken Frauenfiguren hochkarätige TV-Spielfilme, Serien und Kinoproduktionen. 2017 erweitert sich ihr Repertoire um die Saarländer Kriminalhauptkommissarin Judith Mohn in der ZDF-arte-Reihe „In Wahrheit". Auch für die erste deutsche Netflix-Produktion wurde sie gecastet und spielt in "Isi & Ossi" Isis Mutter. Weiterführende Informationen: www.christina-hecke.de

Weiterführende Literatur:

Christina Hecke: Mal ehrlich. Mein Blick hinter unser Leben. Patmos Verlag, Ostfildern 2020.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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