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Fallen dir Signale für chronischen Stress bei Mitarbeitenden auf, kann ein Gespräch helfen. Und das sollte gut vorbereitet werden. ( Foto: pexels, Andrea Piacquadi)

Burnout-Signale: Was Führungskräfte für ihre Mitarbeiter tun können

Chronisch gestresste Mitarbeiter fühlen sich oft nicht mehr wie sie selbst. Wenn Veränderungen in ihrem Verhalten oder Wesen auffallen, kann das ein Alarmzeichen sein. Tipps: Signale für dauerhaften Stress bei Mitarbeitern erkennen und wie Führungskräfte aktiv werden können.

Direkt unter die Haut gehen selbst die ganz normalen, täglichen Geräusche. Der Straßenverkehr vor dem Fenster, das Gespräch unter Kollegen, selbst Musik im Hintergrund. Was normalerweise ausgefiltert und kaum wahrgenommen wird, dringt bis ins Mark. Und das den ganzen Tag lang. Die Nerven liegen blank. Seit vielen Monaten. Dabei immer ein Gedanke im Kopf: Ich muss, ich muss, ich muss …

Für chronisch gestresste Menschen bedeutet fast jeder Tag ein ständiges Feuerlöschen und Hinterherrennen. Atemlos. Wenn Kollegen, Freunde oder der Partner guten Rat geben, sind Betroffene überzeugt: Die anderen verstehen nicht, dass die Situation ausweglos ist. Schließlich werden noch die letzten sozialen Brücken abgebrochen. Und die Spirale aus Druck, Angst, Hoffnungslosigkeit und dieser bleischweren Erschöpfung dreht sich immer weiter. Bis eines Tages gar nichts mehr geht.

Die Gefühle sind dramatisch – nicht dramatisiert.

So kann sich chronisches Ausgebranntsein anfühlen. So ähnlich habe ich es selbst erlebt. Und in einigen Varianten beschreiben es regelmäßig Teilnehmer meiner Stressmanagement- und Resilienztrainings. Die Gefühle, die emotional, geistig und körperlich erschöpfte Menschen erleben, klingen extrem. Dramatisch. Und genau das sind sie ja auch: dramatisch, nicht dramatisiert. 

Wie erkenne ich überhaupt, dass Mitarbeitende chronisch gestresst sind?

Oft wollen Führungskräfte in meinen Trainings wissen: Wie erkenne ich denn überhaupt, dass ein Mitarbeiter möglicherweise unter chronischem Stress leidet, auf einen Burnout zusteuert? Und Mitarbeiter fragen: Wie merke ich, wenn ich meine Grenzen dauerhaft überschreite? Die Frage der Mitarbeitenden lässt sich zumindest in Teilen mit der Schilderung dieser Gefühle beschreiben. Vielleicht besser, als es Listen von psychosomatischen Symptomen können: so wie Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Migränen, Magen-Darm-Probleme wie etwa der enorm häufige chronische Reizdarm mit Dutzenden von Durchfallattacken täglich, der oft stressbedingt ist.

Du möchtest mehr zu Themen wie diesem erfahren? Dann sei dabei in meinem nächsten offenen Training für mehr seelische Widerstandskraft (Resilienz) für Mitarbeiter und Führungskräfte vom 14.10.2024 – 15.10.2024 im Beach Motel St. Peter Ording. Für Infos zu diesem und weiteren Trainings zu den Themen „Stressmanagement“, „Resilienzorientierte Führung“ oder „Mehr Gelassenheit entwickeln“ sende mir gern hier eine Nachricht oder eine Mail an drkaikaufmann@icloud.com oder besuche meine Homepage mit meinem Blog.

Wie sich das Verhalten von Mitarbeitenden ändern kann

Doch kann die Schilderung der Innenwelt eines chronisch gestressten Menschen auch Führungskräften helfen, Alarmsignale zu erkennen. Denn die Gefühle der Betroffenen haben Auswirkungen. Sie werden zu sichtbarem Verhalten. Betroffene haben schlichtweg keine Energie mehr, sich so einzubringen, wie es vielleicht jahrelang der Fall war. Sie sind dann nicht mehr der offene, kommunikative Mitarbeitende, der gern in Grüppchen in der Kaffeeküche plauscht, Witze macht und im Zoom-Call locker drauf ist.  

Immer öfter: Zynismus und ständiges Klagen.

Stattdessen fallen immer häufiger seine zynischen Kommentare auf. Vielleicht klagt er auch ständig: über die viele Arbeit, die zeitfressenden Calls, den Unsinn der neuen Projekte, fehlende Wertschätzung … Die Fehler häufen sich, Deadlines werden gekippt. In der Zusammenarbeit sinkt die Flexibilität, starres Verhalten nimmt zu. Bei all dem wird die emotionale Zündschnur immer kürzer.  

Weil chronischer Stress das Immunsystem aus der Balance wirft, können Betroffene zudem krankheitsanfälliger werden und als Spätfolgen verstärkt entzündliche Erkrankungen wie Rheuma oder Arthrose entwickeln. 

Evolutionär programmiert: verengte Perspektive für Lösungen

Angriff, Flucht, Totstellen – diese Verhaltensweisen und ihre modernen Entsprechungen sind klassische Stressreaktionen, und ihre Entsprechungen im Job kennen wir alle. So können ständige Streitereien mit den Kollegen oder häufige Konfliktvermeidung statt Lösungsorientiertheit typische Reaktionen auf chronischen Stress sein. Ebenso wie der evolutionär programmierte Tunnelblick, der die Offenheit für alternative, rationale Lösungsoptionen einengt.

Alarmzeichen innerer Rückzug 

Eine vierte klassische Stressreaktion ist weniger bekannt, kann aber ein wichtiges Alarmzeichen sein. Psychologen sprechen dabei von „Conservation withdrawel“, ein sozialer Rückzug von Kollegen, Freunden oder/und Familie. Der Betroffene fühlt sich zu Tode erschöpft, überfordert, hat keine Energie mehr für sozialen Austausch.  

Im Job kann das bedeuten: Der Mitarbeiter nimmt zwar noch Teil, zum Beispiel an Konferenzen – aber nur passiv. Er bringt sich nicht mehr ins Unternehmen ein, macht keine Vorschläge, übernimmt keine Aufgabe freiwillig, hat keine kreativen Ideen mehr. Der Begriff „conservation“ deutet auf einen weiteren Aspekt: Es wird eine Restenergie konserviert, bewahrt. Denn:

Es könnte ja noch schlimmer kommen – dann werde ich meine Energiereserven brauchen.

Dieser soziale Rückzug ist eine der größten Gefahren bei chronischem Stress. Warum? Weil es gerade die empathischen Beziehungen sind, die manchen Experten als Faktor Nummer eins für seelische Widerstandskraft, Resilienz, gelten. Stattdessen kommt es oft zu den oben genannten abgebrochenen sozialen Brücken – oder in „Resilienz-Sprech“: zu einer verminderten Netzwerkorientierung. Ein Teufelskreis.

Häufiges Duo: Depressionen und Burnout

„Conservation withdrawel“ ist auch ein typisches Symptom depressiver Phasen. Und tatsächlich sind chronische Depressionen und Burnout eng verwandt. In fortgeschrittenen Phasen eines Burnouts sind die Betroffenen oft in eine Depression gerutscht.

Vor diesem Hintergrund ist auch erklärbar, weshalb die entsprechende Stimmung und das Verhalten so wichtige Alarmsignale sein können. Dauerhafte Verhaltensveränderungen sollten hellhörig machen. „Ich bin gar nicht mehr ich selbst“, sagen Menschen im Burnout dann. Man wird sich selbst fremd. Ein Gefühl, das dem Betroffenen Angst machen kann. 

Stressreaktion: Der „Aus-Schalter“ im Gehirn funktioniert nicht mehr.

Zu den bekannteren möglichen Folgen von chronischem Stress kommen Auswirkungen auf das Gehirn von Betroffenen. Vieles davon hängt mit der dauerhaften Ausschüttung von Cortisol und der Dysbalance anderer Hormone und Botenstoffe zusammen – dies kann sich auch auf das Verhalten von chronisch Gestressten auswirken. Einige der möglichen Folgen:

  • Verstandesmäßige, kognitive Bereiche des Gehirns sind weniger aktiv

  • Die Amygdala, unser sogenanntes Angstzentrum, ist aktiver

  • Negatives wird verstärkt wahrgenommen

  • Schlechtere Emotionssteuerung und Impulskontrolle 

Unsere Stressreaktion wird normalerweise nach kurzer Zeit wieder heruntergefahren. Doch genau diese „Abschaltfunktion“ kann bei chronischem Stress blockiert werden. Die Nonstop-Cortisolausschüttung verhindert die Bildung von entsprechenden Nervenzellen. Deshalb kann man sagen: Chronischer Stress befördert Stress.

Geschlechterfrage: Wer ist stärker Burnout-gefährdet?

Übrigens, zur Geschlechterfrage beim Thema Burnout: Berufstätige Frauen sind laut mehrerer Studien stärker burnoutgefährdet als Männer. Das liegt nicht daran, dass Frauen weniger widerstandsfähig wären. Die seelische Widerstandskraft von Frauen und Männern ist nämlich nahezu gleich stark. Die Gründe für die stärkere Gefährdung liegen in der gesellschaftlichen Situation von berufstätigen Frauen. Laut Unicef trat das größere Belastungsrisiko für Frauen während der Pandemie noch deutlicher zutage, als es vorher schon offensichtlich war.

Handlungsmöglichkeiten für Führungskräfte

Was können nun Führungskräfte tun, wenn sie mehrere der genannten Signale für chronischen Stress möglicherweise über Monate bei einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin beobachten, der oder die sich bislang doch meist ganz anders zeigte?

Tipps für die Gesprächsvorbereitung

Eines vorweg: Führungskräfte sind keine Ärzte oder Therapeuten. Aber sie können Warnsignale früh wahrnehmen und aktiv werden, um ihrer Fürsorgepflicht für die Gesundheit von Mitarbeitenden gerecht zu werden. Führungskräfte sollten sich daher vor dem Gespräch fragen: 

  • Was genau ist jetzt meine Aufgabe? (Gesundheitliche Fürsorgepflicht, Arbeitsabläufe, Teamführung etc.)

  • Wo liegen die Grenzen meiner Aufgabe? 

  • Welche konkreten Ziele sollte das Gespräch haben? 

  • Hat der Mitarbeiter mir möglicherweise bereits bewusst Hinweise auf seine persönliche Situation und Ursachen für seine Belastung gegeben?

  • Wer im Unternehmen könnte mich bei der Entwicklung geeigneter Maßnahmen unterstützen?

  • Gibt es spezifische Angebote des Unternehmens für Burnout-gefährdete Mitarbeiter?

Tipps für die Gesprächsführung

Nicht nur für den Mitarbeiter, auch für die Führungskraft ist so ein Gespräch keine Routine. Einige Tipps als roter Faden für das Gespräch:

  • Schlage deinem Mitarbeiter oder deiner Mitarbeiterin für das Gespräch bewusst einen Ort vor, der die Situation entspannt, z.B. einen Spaziergang.

  • Wähle eine konstruktive, wertschätzende Gesprächsführung: Beobachtungen statt Vorwürfe und Schuldzuweisungen. Beispiel für den Einstieg: „Du wirkst auf mich seit längerer Zeit verändert. Möchtest du darüber sprechen?“

  • Sprich konkrete Lösungsmöglichkeiten an, Optionen aus betrieblicher Sicht, Hilfsangebote des Unternehmens.

  • Vereinbare mit deinem Mitarbeiter die nächsten Schritte. Für welche Maßnahmen entscheidet ihr euch? Wer kann welchen Lösungsbeitrag leisten?

  • Empfiehl ärztliche Hilfe, wenn sie notwendig erscheint.

  • Vereinbare einen festen Termin für ein Anschlussgespräch; Inhalte: Wie sieht die Situation nach beispielsweise vier Wochen für den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin aus und für sein/ihr Aufgabenfeld sowie die Arbeitsabläufe? Welche Maßnahmen haben geholfen? Was hat sich positiv/negativ entwickelt?

(Quelle zum Aspekt Gesprächsführung: „BGW-Leitfaden „Erschöpfung erkennen – sicher handeln“)

Was mich nun sehr interessiert, sind folgende Fragen. Ich freue mich auf eure Kommentare:

Was löst bei dir als Führungskraft häufig Stress aus? Und wie gehst du mit chronischem Stress bei Mitarbeitenden um?

#Resilienztraining #Stressmanagementtraining #newwork

Kommentare

Dr. Kai Kaufmann schreibt über Stressmanagement, Resilienz, New Work, Gesundheit & Soziales

Dr. Kai Kaufmann war 15 Jahre als Führungskraft für Verlage tätig. Nach einem Burnout stellte er die Weichen für sein Leben neu. Heute unterstützt er als Trainer für Stressmanagement und Resilienz Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Als Medical Writer publiziert er bis zu 30 Fachartikel jährlich.

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