Das Leben lieben lernen - Worklife Blending statt Worklife Balance
Früher war in meinen Augen Erfolg messbar an Dingen wie Status, Macht, Besitz oder Anerkennung. Erfolg zu haben bedeutete für mich, in diesen Bereichen zu siegen, besser zu sein als andere. Doch anstatt an die Spitze führte mich dieser tägliche Kampf um den Sieg in eine ordentliche Krise. Und mit der Krise stand eine Frage im Raum: Wieso gehen manche Menschen gestärkt aus einer Krise hervor, während andere an ihr zerbrechen?
Als ich 2010 nach der Mitarbeiterbefragung ins Kloster gegangen bin, konnte ich schließlich durch die Gemeinschaft und die Regel Benedikts Antworten darauf finden, wie eine Krise dazu führen kann, als Mensch zu wachsen. Die Regel des heiligen Benedikt war für mich ein Schlüssel für die Tür auf dem Weg zu einem gelingenden Leben. Sie ist für mich zu einem wichtigen Leitfaden in meinem Leben geworden, der mir immer wieder Impulse gibt, mich den Abenteuern und Herausforderungen des Lebens zu stellen und nicht vor ihnen zu flüchten.
Erfolg neu definieren
»Unter den Hammerschlägen unseres Schicksals formen wir uns in Weißglut zu Heiligen oder Dämonen« ist dabei für mich zu einer wichtigen Erkenntnis geworden. Jeder Mensch durchlebt Krisen oder muss sich Herausforderungen stellen, und so ist in mir die Sehnsucht gewachsen, meine Erfahrungen auch anderen Menschen zugänglich zu machen. So hielt die Regel des heiligen Benedikt nicht nur Einzug in mein Leben, sondern auch in unser Unternehmen und damit auch in das Leben vieler anderer Menschen. Die Regel hilft dabei, uns in eine Richtung zu entwickeln, die unserer ganz eigenen Wahrheit entspricht. Sie führt uns auf den Grund unserer Seele zurück, jenem Ort, an dem wir authentisch und unverletzbar sind.
Und auf dem Weg dorthin bekommt auch Erfolg nach und nach eine ganz andere Bedeutung. Für mich heißt es heute, das Leben zu lieben, und zwar bedingungslos und unabhängig davon, was um mich herum geschieht. Das Leben zu lieben bedeutet für mich aber auch, dass ich bei aller Verbundenheit mit meinen Mitmenschen, die innere Freiheit habe, im Alltag das zu leben, was mir als Mensch wirklich wichtig ist, was meinem Wesen entspricht, die Gemeinschaft also genauso zu lieben wie die Freiheit.
Das Leben lieben!
Das Leben zu lieben bedeutet für mich Gegenwärtigkeit, da zu sein, präsent zu sein und sich nicht von außen treiben zu lassen. Das Leben zu lieben bedeutet für mich außerdem, sich auch bedingungslos selbst zu lieben, sich zu erkennen und sich so anzunehmen, wie man wirklich ist. Das Leben zu lieben bedeutet für mich, mir jeden Tag darüber bewusst zu sein, wofür ich heute aufgestanden bin, und den »Sinn des Augenblicks« zu erkennen, egal, wie hart die Situation oder das Leid auch genau in dem Moment sein mag. Das Leben zu lieben bedeutet für mich, ein Feuer in den Augen der Menschen zu entfachen. Das Leben zu lieben bedeutet, mich von meinen Ängsten zu befreien, in dem ich sie zulasse, annehme und durch sie hindurch gehe. Und zuletzt bedeutet das Leben zu lieben für mich auch, ins Gelingen verliebt zu sein. Für den, der das Leben liebt, hat Erfolg nichts mehr mit Wirtschaft, Besitz oder Geld zu tun.
Als kleiner Junge habe ich es geliebt, mich immer wieder in meine vier Wände zurückzuziehen. Schon damals brauchte ich diese Ruhe, diese Zeit für mich, um Abstand von den Dingen um mich herum zu bekommen, ganz besonders dann, wenn es mir um mich herum oder mit all meinen Aktivitäten zu viel wurde. Noch heute erinnert mich meine Mutter häufig daran, dass ich als Kind so oft sagte: »Ich habe gar keine Zeit mehr für mich.« Für mich war dieser Rückzug in mein Zimmer »heilig«. Ich habe mir dann eine ganz eigene Welt aufgebaut, wie nur mir sie gefällt, meiner Fantasie freien Lauf gelassen und aus Lego, Playmobil oder Bauklötzen etwas aufgebaut, was mir innere Freude, Ruhe oder Zufriedenheit geschenkt hat. In diesen Momenten war ich ganz gegenwärtig, war ich in Verbindung mit meinem Selbst.
Heute, gut vierzig Jahre später, ist es nicht mehr das Spielzeug, sondern ein Unternehmen, aus dem diese ganz eigene Welt entsteht. In mir als Unternehmer sehe ich den kleinen Bodo in seinem Zimmer sitzen, der seiner Sehnsucht nachgeht und seinem inneren Bild entspricht, indem er mit einem Unternehmen im Kleinen etwas aufbaut, was im ganz Großen vielleicht nicht möglich ist, das aber der Gesundheit des Menschen dient und in dem möglichst viele Menschen die Freiheit empfinden, das zu leben, was ihrer Persönlichkeit, ihrer ganz eigenen Wahrheit entspricht.
Ich betrachte mich als eine Art unternehmerischer Aussteiger, der sich aus der klassischen Welt der Wirtschaft verabschiedet hat, weil er das Gefühl gewonnen hat, dass diese alte Welt dem Menschen wie auch der Natur nicht guttut.
Mit meinen zukünftigen Artikeln möchte ich dir, liebe Leserin und lieber Leser, nun unseren Versuch näherbringen, ein mitmenschliches Arbeitsethos in einem wirtschaftlichen Unternehmen zu leben. Dafür bediene ich mich persönlicher, unternehmerischer und zum Teil auch emotionaler Geschichten aus unserer Unternehmensentwicklung, anhand derer ich versuche, unser Handeln im Sinn der Regel Benedikts zu beschreiben und damit in Teilen auch die aus dem 6. Jahrhundert stammende Lebensregel ins Zeitalter und die Sprache der New Work zu übersetzen.
(Auszug aus meinem Buch: Kraftquelle Tradition-benediktinisches Lebenskunst für heute)