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Demografischer Wandel: Pflegekräfte brauchen mehr als eine faire Bezahlung

Mit dem demografischen Wandel, der die Veränderung der Altersstruktur einer Gesellschaft beschreibt, werden sich Wirtschaft, Politik und Wissenschaft auch in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen. Aufgrund seiner Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Sozialsysteme, vor allem die Arbeitswelt und soziale Sicherungssysteme, ist und bleibt der demografische Wandel ein dringliches Thema. Der Personalexperte und Unternehmer Werner Neumüller verweist schon seit Jahren darauf, dass er zu wenig als Gesamtphänomen gesehen wird: „Es wird viel über Fachkräftemangel, Renten, Altersarmut oder Pflegenotstand diskutiert, doch die meisten Themen werden isoliert betrachtet: Rentenexperten sprechen mit Rentenexperten, Gesundheitspolitiker mit Gesundheitspolitikern, HR-Experten mit Personalern. Deshalb sind viele Lösungsvorschläge auch inselartig.“ Sämtliche Themen sollten deshalb vernetzt angegangen werden, „denn nur wer die Rahmenentwicklung kennt, kann auch fachlich wie strategisch sinnvoll agieren.“

Das Problem wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen, weil immer mehr Menschen gepflegt und anständig versorgt werden müssen. In den westlichen Wohlstandsgesellschaften wird die Gruppe der älteren Pflegebedürftigen immer größer. Deshalb braucht es Menschen, die soziale Berufe ergreifen. Der Pflegeberuf muss deshalb attraktiver werden. Traditionell lernen Pflegekräfte in Deutschland an einer Fachschule. Seit Anfang 2020 trat allerdings eine Ausbildungsreform in Kraft, die auch ein grundständiges Pflegestudium zulässt, das als zweiter Zugangsweg gesetzlich verankert wurde. Dies ist zugleich auch eine Chance, mehr Abiturienten für das Gesundheitswesen zu interessieren und als Nachwuchs zu gewinnen. Künftig werden studierte Pflegekräfte auch mehr Steuerungs- und Konzeptionsaufgaben übernehmen, ansonsten aber die Arbeit machen, denen sich alle widmen.

Bislang konnten aus Gründen des Personalmangels oder aus Kostendruck viele Planungen bezüglich der Arbeitsschichten und freien Wochenenden nicht eingehalten werden, so dass kaum Zeit zur eigentlichen Arbeit - der Pflege von Patienten und Menschen - blieb. Die Folgen: überdurchschnittlich hohe Krankenstände, Überlastung und Dauerstress. Hinzukommt in deutschen Krankenhäusern der massive ökonomischer Druck. All das sind keine guten Voraussetzungen, um professionelle Leistungen zu erbringen. Nur gesunde und motivierte Mitarbeiter können die zunehmenden Herausforderungen bewältigen.

Es müssen sich die Arbeitsbedingungen, das Einkommen und der gesellschaftliche Status verbessern. „Den Fach- und Pflegkräften muss vor allem mehr Wertschätzung, Anerkennung und Zuverlässigkeit entgegengebracht werden“, sagt Werner Neumüller, Gründer und Geschäftsführer der Neumüller-Gruppe in Nürnberg, deren Kerngeschäft die Rekrutierungsunterstützung über die Personaldienstleistung vor allem im akademischen Umfeld ist. Sein Fokus lag bislang auf qualifiziertem Personal wie Ingenieure. Doch schon vor der Corona-Krise hat er sein Kerngeschäft um den Bereich Medizin erweitert, den er als Anschlussmarkt sieht: „Wir möchten dazu beitragen, dass Ärzte und qualifizierte Pflegekräfte in der ambulanten und stationären Versorgung möglichst flächendeckend gut behandelt und fair bezahlt werden. Dazu gehört auch eine entsprechende Würdigung ihrer Arbeit. Früher oder später werden wir ihre Hilfe nämlich alle brauchen. Es geht uns vor allem um gute Behandlung und faire Bezahlung.“ Kliniken und Pflegeheime sollen durch seinen Ansatz das eigene Personal entlasten oder dort, wo akuter Mangel herrscht, etwa wegen Krankheiten, Ersatz flexibel einsetzen - auch für Schichten am Wochenende. Zudem ist es nicht notwendig, zusätzliche Planstellen einzurichten.

Eine Ausschreibung zur Pflegekraft für die Altenpflege beinhaltet hier beispielsweise die Pflege der Bewohner, den persönlichen Kontakt zu den Senioren, die Zusammenarbeit mit Physiotherapeuten und Ergotherapeuten, Unterstützung der Pflegebedürftigen bei Mobilisierungsmaßnahmen, Überwachung und Steuerung der Medikamenteneinnahme, Dokumentation der Pflegeprozesse. Gewünscht wird eine abgeschlossene Ausbildung zum Altenpfleger oder vergleichbar. Betont wird neben Zuverlässigkeit und Flexibilität vor allem aber ein empathisches und hilfsbereites Wesen sowie Flexibilität. Gefragt wird in Einststellungsgesprächen beispielsweise auch, was den Bewerbern wichtig ist. Dann wird versucht, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu berücksichtigen und umzusetzen. Dazu gehören etwa familienfreundliche Schichten für Alleinerziehende, höhere Bezahlungen für Jüngere oder persönliche Wertschätzung.

Dafür plädiert auch der britische Sachbuchautor David Goodhart: Die angemessene Anerkennung der Fähigkeiten all derer, die in der Pandemie unverzichtbar waren – vor allem Menschen in Pflegeberufen – steht seiner Meinung nach allerdings noch immer aus. Zudem fehlt es an Anreizen, sich für einen Pflegeberuf zu entscheiden. Vor allem gilt es hier, das Statusungleichgewicht zu korrigieren: Wie kann in der Ära der Geschlechtergleichheit der Status der Familie und der häuslichen Sphäre aufgewertet werden? Die Politik muss die Rahmenbedingungen für Berufe stärken, die systemrelevant sind. Es braucht aus seiner Sicht höhere Mindestlöhne und mehr Anreize, die lebenslanges Lernen belohnen.

Arbeit des Herzens: Zur Aufwertung der Pflegeberufe

Nachhaltiges Recruiting in der Gesundheits- und Krankenpflege

Warum wir eine Fachkräfteoffensive für die Gesundheitsberufe brauchen

Miriam Hoffmeyer: „Alle wollen am Bett arbeiten“. Interview mit Astrid Elsbernd. In: Süddeutsche Zeitung (27./28.2.2021), S. 71.

Werner Neumüller: Rekrutierungsunterstützung über Personaldienstleistung und Arbeitnehmerüberlassung. Am Beispiel der Neumüller Unternehmensgruppe. In: CSR und Digitalisierung. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage, SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2021.

Werner Neumüller: Sport und Gesundheitsmanagement – eine Notwendigkeit in Zeiten des demografischen Wandels. Am Beispiel der Neumüller Unternehmensgruppe. In: CSR und Sportmanagement. Jenseits von Sieg und Niederlage: Sport als gesellschaftliche Aufgabe verstehen und umsetzen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. 2. Auflage, SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin 2019.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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