Navigation überspringen
article cover

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter?

Bei der Fußball-Europameisterschaft laufen die K.-o.-Spiele – es gibt wieder die Chance auf Nervenkitzel bei Verlängerung und Elfmeterschießen. Ein großes Potenzial lassen Torhüter dabei sträflich ungenutzt.

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter: Das ist nicht nur der Titel einer Erzählung von Peter Handke, das könnte als Gefühl auch in der K.-o.-Phase der EM wieder Konjunktur haben. Doch verbinden die meisten damit wahrscheinlich eher das Falsche.

Von den zwei Formen von Leistungsmotivation ist eine nämlich nur bedingt fruchtbar: Angst vor Misserfolg. Bei einem Elfmeterschießen haben diese Angst vornehmlich die Schützen. Wenn sie treffen, isses ne Selbstverständlichkeit. Wenn Sie verfehlen, sind sie die Doofen. Die Folge: Angst vor Misserfolg.

Für die Torhüter isses genau andersherum. Sie baden in der enorm fruchtbaren Variante von Leistungsmotivation: Hoffnung auf Erfolg. Wenn der Elfer verwandelt wird, isses normal. Aber wenn sie halten, werden die Keeper zu Helden. Ergo: Hoffnung auf Erfolg.

Hoffnung auf Erfolg ist übrigens die einzige psychologische Variable, die bei Jugendlichen signifikant späteren Erfolg als Profi vorhersagt (1).

So weit, so logisch, oder? Was ich jedoch überraschend und abgefahren finde: Bei den Aktionen von Torhütern bei Elfern schwingt unbewusst eine andere Form von Angst mit.

Es ist nämlich eigentlich so, dass ein Keeper beim Elfer stehen bleiben sollte. Das ist die sinnvollste Aktion, und dazu gibt’s auch Evidenz (2). ABER: Das machen Torhüter nicht – mutmaßlich aufgrund einer spannenden Irrationalität namens „Action Bias“ samt der dahinterliegenden Normtheorie.

Das funktioniert so: Bei Elfmetern ist es die Norm für Torhüter, in eine Ecke zu springen. Diese Norm ist wirkmächtig und sorgt dafür, dass stehen gebliebene Torhüter bei einem verwandelten Elfmeter deutlich schlechtere Gefühle durchleben.

Das hat mit dem Action Bias zu tun. Wenn man nichts tut (also in der Mitte bleibt), fühlt man sich scheiße. Wenn man eine Aktion ergreift (also in eine Ecke springt), fühlt man sich besser. Also springen Torhüter gern in eine Ecke, obwohl sie häufiger stehen bleiben sollten.

_________________

Literatur

(1) Murr, D., Feichtinger, P., Larkin, P., O ‘Connor, D., & Hoener, O. (2018). Psychological talent predictors in youth soccer: A systematic review of the prognostic relevance of psychomotor, perceptual-cognitive and personality-related factors. PloS one, 13(10), e0205337.

(2) Bar-Eli, M., Azar, O. H., Ritov, I., Keidar-Levin, Y., & Schein, G. (2007). Action bias among elite soccer goalkeepers: The case of penalty kicks. Journal of Economic Psychology, 28(5), 606–621. https://doi.org/10.1016/j.joep.2006.12.001

Kommentare

Ralf Lanwehr schreibt über Führung & Transformation

Ralf beschäftigt sich mit harten Fakten zu weichen Themen aus dem Dreieck Psychologie-BWL-Mathe. Er berät DAX-Vorstände, trainert Führungskräfte und coacht Bundesligatrainer. Die eigene Karriere als Kicker blieb trotz seiner Zeit als Stürmer in der 3. mosambikanischen Liga verdientermaßen aus.

Artikelsammlung ansehen