Die Lohnfalle: Wie Frauen beim Gehalt ausgebremst werden – und wie sie sich dagegen wehren können
Ein leistungsbezogenes Gehalt für Frauen, fair und auf Augenhöhe – klingt doch gar nicht so schwer, oder? Doch die Realität sieht anders aus. Warum Frauen immer noch ins Hintertreffen geraten, erklärt Rea Eldem, Gründerin und Geschäftsführerin von IN-VISIBLE, Berliner Agentur für gendergerechte Arbeitskultur, im XING Insider-Interview.
**XING:**Zu den größten Aufregern der Arbeitswelt gehören Gehälter, die als ungerecht empfunden werden. Laut der aktuellen Wechselbereitschaftsstudie von forsa im Auftrag von XING empfinden nur 53 Prozent der Deutschen ihr Gehalt als angemessen. Wie erklärst Du Dir das, Rea?
Rea Eldem: Gehalt ist ein heißes Thema. Das liegt zum einen daran, dass im System "Arbeit" Geld das wesentliche Medium für Wertschätzung darstellt. Gehalt ist vergleichbar und bietet daher eine Art Abbild der von Außen wahrgenommenen Leistung – in Relation zu der Leistung der anderen. Natürlich spiegelt das Gehalt nicht wirklich auf gerechte Art und Weise wider, was wer für die Gesellschaft leistet, da sind viele Faktoren am Werk. Ein wesentlicher Faktor sind gesellschaftliche Narrative darüber, welche und wessen Arbeit überhaupt wie viel wert ist.
Wie steht es um den Wert der Arbeit von Männern und Frauen?
Wir haben in Deutschland – auch in 2024 – noch eine geschlechtsspezifische Lohnlücke, auf Englisch Gender Pay Gap. Wenn wir uns diese genau vorknöpfen, müssen wir die sogenannte unbereinigte und die bereinigte Lohnlücke unterscheiden. Während die unbereinigte Lohnlücke das Durchschnittsgehalt von Männern und Frauen über alle Berufsgruppen vergleicht, bildet die bereinigte Lohnlücke den geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschied in derselben Position in derselben Branche ab.
🛎️ Folge jetzt Rea Eldem auf XING und verpasse keinen ihrer Insider-Artikel 🛎️
Inwiefern spielt diese Unterscheidung eine Rolle – und warum ist das relevant für mich?
Viele Menschen sind nicht vertraut mit den Zahlen. Sie gehen also davon aus, dass ihr Gehalt individuell ist. Das stimmt aber nicht so ganz. Tatsächlich verdienen in Deutschland, und dafür brauchen wir die Gehaltsanalysen rund um die bereinigte Gender Pay Gap, Männer für genau die gleiche Arbeit mehr Geld.
So bestätigt im aktuellen kununu Gehaltscheck: In der weiblich dominierten HR-Branche (Human Resources) verdienen HR-Managerinnen jährlich 4.300 Euro weniger als ihre männlichen Kollegen.
Genau. Darüber hinaus ist aber auch die unbereinigte Lücke richtungsweisend. Sie zeigt, dass Frauen klassischerweise eher in Berufe gehen, die schlechter bezahlt werden. So jedenfalls die Story, die wir oft hören. Man könnte diese Story aber auch anders erzählen: Wir bezahlen Berufsgruppen schlechter, die von Frauen dominiert werden. Alles eine Frage der Perspektive.
Man könnte diese Story aber auch anders erzählen: Wir bezahlen Berufsgruppen schlechter, die von Frauen dominiert werden.Rea Eldem, XING Insiderin für Gendergerechtigkeit
Inwiefern hilft die Unterscheidung dabei, etwas an dieser Ungerechtigkeit zu ändern?
Diese Unterscheidung und das Bewusstsein um die Situation hilft Individuen, die richtigen Fragen zu stellen. Wer weiß, dass Gehälter in gewisser Weise strukturell verhandelt werden, denkt nochmal anders darüber nach, inwiefern das eigene Gehalt fair ist und die Leistung abbildet. Gerade für Frauen ist das hochrelevant, denn sie bekommen für dieselben Jobs 1) weniger Gehalt angeboten und geben sich 2) mit weniger zufrieden. Es wird ihnen daher oft geraten, sich besser zu informieren und sich in Sachen Verhandlungen zu üben. Aber das greift zu kurz und es kommt zu Verzerrungen.
Kannst Du das bitte genauer erklären?
Frauen vergleichen sich vorwiegend mit anderen Frauen, sodass sie statistisch ein geringeres Gehaltsvolumen als Benchmark haben. Auch datengetriebene Vergleichsangebote bilden diesen Bias ab, so wird mir als Frau z.B. in Vergleichsportalen, die Gender erfassen, richtigerweise ein geringeres durchschnittliches Einkommen für meinen Beruf angezeigt als einem Mann.
Nicht so bei XING: Beim Gehaltsvergleich im Insights-Bereich wird das Geschlecht nicht berücksichtigt.
Das Gehalt in vielen Jobs verhandelbar – für Männer genau wie für Frauen. Alle haben also die gleichen Chancen, könnte man meinen.
Gehaltsverhandlungen laufen in einem sozialen Interaktionssystem ab. Und hier gibt es weitere Gender Bias Arten, die sich negativ auf Frauen auswirken. Gehen wir davon aus, dass ich als Frau ein Bewusstsein für dieses Problem mitbringe und daher mit einem höheren Gehaltswunsch in die Verhandlung starte. Aller Wahrscheinlichkeit sitzen mir nun Menschen gegenüber, die – genau wie ich – auch einen Gender-Bias haben. Studien zeigen, dass Frauen bei gleicher Leistung im Vergleich zu Männern noch immer unterschätzt werden und ihnen ihre Kompetenz schneller abgesprochen wird. Frauen, die sehr klar für ihre Bedürfnisse einstehen, werden als weniger sympathisch empfunden.
Was wiederum der Karriere schaden kann.
Genau. Sympathie (likeability) ist ein weiterer wichtiger Faktor für Karriereaufstieg und damit auch oft höhere Gehaltsstufen. Deswegen wird Frauen im Zweifel ihr legitimer Wunsch nach mehr Geld zum Verhängnis.
Klingt komplex und irgendwie auch so, als könne man als Frau nur verlieren. Das mag einer der Gründe dafür sein, dass laut XING Wechselbereitschaftsstudie nur 6 Prozent der Frauen jedes Jahr nach einer Gehaltserhöhung fragen. Während es bei den Männern 11 Prozent sind.
Es ist tatsächlich nicht einfach für Frauen, hier individuell einen Weg herauszufinden. Daher ist es so wichtig, dass sich strukturell was ändert.
Nur 6 Prozent der Frauen fragen jährlich nach einer Gehaltserhöhung. Bei den Männern sind es 11 Prozent.
Welche Maßnahmen sind dafür nötig?
Transparente Gehaltsmodelle und -Bänder sind ein hervorragender Hebel, um soziale geschlechtsspezifische Verzerrungsfehler auszugleichen. Manager*innen sind hier gefragt; sie müssen sich trauen, Gehälter offenzulegen. Das fällt vielen schwer. Wir reden in Deutschland sehr ungern über Geld und scheuen daher diesen Schritt. Diese Ängste sollten ernst genommen werden, Gehaltssysteme müssen mit Bedacht angepasst werden. Eine solche Veränderung muss unbedingt kulturell begleitet werden. Es ist eine Herausforderung, bei der gute Kommunikation sowie Gesprächsformate erforderlich sind.
Welchen Tipp kannst Du Frauen, aber auch allen anderen, für die nächste Bewerbung mitgeben?
Für den oder insbesondere die einzelne Mitarbeiter*in kann es hilfreich sein, das Thema Geld möglichst früh auf die Agenda zu setzen. Wer bereits in der dritten Runde eines Interviews ist, hat schon viel investiert – und es wird meistens nicht einfacher.
Wie können sich speziell Frauen auf die Gehaltsverhandlung für den neuen Job vorbereiten?
Gerade Frauen empfehle ich, in ihrem vertrauten Umfeld zu üben, über Geld zu sprechen. Es lohnt sich, Freunde – nicht nur Freundinnen – zu fragen, was sie verdienen, wieviel sie in ihrem letzten Job verdient haben und wie viel ihre Kolleg*innen verdienen. Wichtig ist, einen differenzierten Überblick zu bekommen und dafür muss ich meinen Referenzrahmen ändern.
Gibt es typische Fragen, auf die sich Frauen eine Antwort parat legen können?
Ich würde Frauen raten, sich unbedingt auf die häufige Frage, was man im letzten Job verdient habe, vorzubereiten. Diese kann zur Falle werden, da einige ja bereits aufgrund sozialer Faktoren in einem schlecht(er) bezahlten Job ausharren. Wenn dieser nun die Benchmark bildet, reproduziert sich die Ungleichheit im nächsten Job. Je nach Arbeitgeber*in würde ich raten, das offen zu thematisieren – und zu fragen, was das jeweilige Unternehmen dafür tut, geschlechtsspezifische Ungleichheiten in Sachen Gehalt zu verhindern.
Lies jetzt mehr zum Thema Gehalt:
🫰Wie Daten enthüllen, was wirklich auf deinem Gehaltszettel stehen sollte
🫰Das beste Argument für Deine Gehaltserhöhung
⏩ Teile diesen Artikel mit einer Frau, die schon längst eine Gehaltserhöhung verdient hätte.