Die ungeschriebene Regel des Bürolebens: Darum solltest Du Deine Tränen verbergen – oder doch nicht?
Gefühlsausbruch im Büro? Wenn Deine Chef•innen zum Heulen sind - keine Frage. Doch nicht immer ist der Seelenstriptease empfehlenswert.
Vor Chef•innen und Kolleg•innen zu weinen, galt lange Zeit als verpönt und wenig hilfreich für den weiteren Berufsweg. Emotionen ja, aber bitte nur die positiven – Tränen und Trauer gehören zum Leben dazu – aber bitte nicht im Büro.
Mittlerweile gibt es ein Umdenken und eine zunehmende Akzeptanz von Emotionen am Arbeitsplatz – dennoch gibt es viele Vorgesetzte, die Weinen im Job nicht gerne sehen und Dir negativ auslegen können.
Dies bestätigt auch XING Insiderin Reinhild Fürstenberg, die als Geschäftsführerin des Fürstenberg Instituts tagtäglich mit Menschen in belastenden Situationen zu tun hat:
„Ja – es ist immer noch so, dass Weinen im Job der Karriere schaden kann. Wir erleben in unseren Beratungen immer wieder, dass Tränen als Schwäche und fehlende, mentale Stabilität ausgelegt werden – insbesondere bei Männern. Auch wenn dies aus psychologischer Sicht gar nicht richtig ist. Tränen sind nicht gleich Tränen. Sprich: Nicht immer, wenn jemand weint, liegt ein großes mentales Problem dahinter. Wir können auch psychisch völlig stabil sein und einfach mal Tränen vergießen, weil wir berührt oder gerade mal erschöpft sind.“ Denn: Für Tränen gibt es häufig gute und sogar nützliche Gründe. Die Psychologie betrachtet das Weinen als eine komplexe emotionale Reaktion, die verschiedene Funktionen erfüllen kann.
Nicht immer, wenn jemand weint, liegt ein großes mentales Problem dahinter. Wir können auch psychisch völlig stabil sein und einfach mal Tränen vergießen, weil wir berührt oder gerade mal erschöpft sind.Reinhild Fürstenberg
Positive Eigenschaften eines tränenreichen Gefühlsausbruches:
👍 Emotionale Entladung: Weinen kann eine Möglichkeit sein, starke Emotionen wie Trauer, Frustration, Freude oder Erleichterung auszudrücken und zu verarbeiten. Es ermöglicht eine Art von emotionaler Entladung und kann dazu beitragen, psychischen Druck abzubauen. 👍Kommunikation: Weinen kann eine nonverbale Kommunikationsmethode sein, um anderen Menschen mitzuteilen, dass man traurig, verletzt oder überwältigt ist. Tränen können eine soziale Reaktion hervorrufen und Empathie, Mitgefühl und Unterstützung von anderen Menschen auslösen. 👍 Stressabbau: Weinen kann helfen, Stress abzubauen. Tränen enthalten Hormone und biochemische Substanzen, die im Körper aufgebaut werden können, wenn man unter emotionaler Belastung steht. Durch das Weinen werden diese Substanzen freigesetzt, was möglicherweise zu einer Beruhigung und Entspannung führen kann. 👍 Trauerbewältigung: Das Weinen ist oft eng mit dem Prozess der Trauerbewältigung verbunden. Es kann helfen, den Verlust eines geliebten Menschen zu verarbeiten und Trauer zu zeigen. Das Zulassen von Tränen kann Teil des Heilungsprozesses sein und dazu beitragen, den Verlust zu akzeptieren und mit ihm umzugehen. 👍 Bindungsstärkung: Beim Weinen können zwischenmenschliche Bindungen gestärkt werden. Wenn andere Menschen auf Tränen reagieren und mitfühlend reagieren, kann dies das Gefühl von Verbundenheit und Unterstützung stärken. Dennoch solltest Du wissen, wie Deine Tränen auf Deine•n Chef•innen wirken können.
Negativ wahrgenommene Eigenschaften eines tränenreichen Gefühlsausbruches:
👎 Wahrnehmung von Schwäche: Weinen wird oft als Zeichen von Schwäche oder mangelnder Belastbarkeit interpretiert. In vielen Arbeitsumfeldern herrscht nach wie vor die Erwartung, dass Mitarbeiter•innen ihre Emotionen unter Kontrolle haben sollten, insbesondere in stressigen oder herausfordernden Situationen. Das Weinen kann daher dazu führen, dass Du als unprofessionell oder nicht in der Lage wahrgenommen wirst, mit den Anforderungen des Jobs umzugehen. 👎 Verlust der Autorität und des Respekts: Im beruflichen Umfeld ist es wichtig, Autorität und Respekt zu wahren. Das Weinen kann dazu führen, dass Kolleg•innen und Vorgesetzte das Vertrauen in Deine Kompetenz und Führungsfähigkeiten verlieren. Es besteht die Gefahr, dass Du nicht mehr ernst genommen wirst und Deine Glaubwürdigkeit sowie berufliche Reputation beeinträchtigt werden. 👎 Beeinträchtigung der Teamdynamik: Das Weinen kann auch die Teamdynamik negativ beeinflussen. Wenn Kolleg•innen mit emotionalen Ausbrüchen konfrontiert werden, kann dies zu Unsicherheit und Unbehagen führen. Statt sich auf die Arbeit und die Zielerreichung zu konzentrieren, könnten sich Deine Teammitglieder eher mit der emotionalen Situation befassen und dadurch die Effizienz und Produktivität des Teams beeinträchtigen. 👎 Karriereentwicklung und Aufstiegschancen: Im Wettbewerb um Karrierechancen und beruflichen Aufstieg ist es wichtig, ein professionelles und kompetentes Image aufrechtzuerhalten. Das Weinen kann als Hindernis für die berufliche Weiterentwicklung angesehen werden, da es Zweifel an der Fähigkeit zur Bewältigung von Stress und Herausforderungen aufkommen lassen kann. Vorgesetzte könnten zögern, Mitarbeiter•innen mit emotionaler Instabilität in höhere Positionen zu befördern. 👎 Wahrnehmung von Unprofessionalität: Im Geschäftsleben wird oft von Fachleuten erwartet, dass sie einen kühlen Kopf bewahren und rational handeln, insbesondere in Situationen, in denen Entscheidungen getroffen werden müssen. Dein Weinen kann als unprofessionell wahrgenommen werden und den Eindruck erwecken, dass Du nicht in der Lage bist, Emotionen von professionellem Verhalten zu trennen.
Erste Hilfe, wenn das Wasser im Anmarsch ist
💡Wenn möglich, zieh Dich erst einmal zurück. Auch wenn Dir Deine Tränen nicht peinlich sein müssen, wirst Du Dich vermutlich besser fühlen, wenn Du etwas Zeit für Dich hast und Deine Gedanken sortieren kannst. Nutze diese Zeit, um Dich zu sammeln und Deine Nerven ein wenig zu beruhigen. 💡Nimm Hilfe an. Wer im Job weint, fühlt sich oft auch in seinem Stolz verletzt. Dieses Gefühl kennt jeder. Öffne Dich anderen gegenüber und lass Dich trösten. 💡Kläre die Situation und werde aktiv. Warum musstest Du weinen? Meistens gibt es Lösungen für die Situation. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Chef oder einem verpatzen Gespräch mit Kunden, hilft oft ein nachträgliches Gespräch, in welchem Du Deine Sicht der Dinge noch einmal sachlich schilderst. 💡Übernehme Verantwortung für deinen Gefühlsausbruch. Du musst dich nicht entschuldigen, aber kannst beispielsweise sagen: Kritik nehme ich ernst und sie löst bei mir manchmal Tränen aus. Ich setze mich damit auseinander, werde dabei aber sehr emotional. Für mich ist das okay, ich hoffe, für Sie auch. Ich hoffe, ich irritiere Sie nicht, ich bin sehr nah an meinem Gefühl und zeige das auch. Ich hoffe, Sie missverstehen das nicht.
Tränen vor versammelter Mannschaft – Du bist in guter Gesellschaft
✌️Die Unternehmerin und Firmenerbin Verena Bahlsen verließ im vergangenen Jahr den Keks-Konzern ihrer Eltern und gestand in einem sehr persönlichen Beitrag, dass sie selbst schon auf der Arbeit und in Meetings geweint habe. ✌️Die ehemalige Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg machte das Thema schon vor Jahren in ihrem Buch „Lean in“ zum Thema und beschrieb, wie sie einmal vor einem Vorgesetzten in Tränen ausbrach, und wie ungehalten dieser reagierte: „Vielleicht wird es eines Tages nicht mehr als peinlich oder schwach gelten, am Arbeitsplatz Tränen zu vergießen“, so Sandberg. „Vielleicht werden Tränen dann schlicht als offen gezeigte, authentische Gefühle wahrgenommen.“ ✌️Der für seine Coolness bekannte ehemalige US-Präsident Barack Obama, brach in Tränen aus, als er Anfang 2016 eine Rede gegen Waffengewalt hielt. ✌️Apple-Genie Steve Jobs war bekannt dafür, dass er seinen Gefühlen oft freien Lauf ließ. So konnte er auf das Übelste beschimpfen und beleidigen, andererseits aber auch aufgrund einer Enttäuschung plötzlich in Tränen ausbrechen. Hier zeigte er dann seine sensible und sehr verletzliche Seite. ✌️Als deutscher Astronaut hat Alexander Gerst während seiner Missionen im Weltraum die Möglichkeit gehabt, seine Emotionen in außergewöhnlichen Situationen zu zeigen. In einem bewegenden Video während seiner Mission 2018 sprach er über die Schönheit der Erde und seine tiefe Verbundenheit mit unserem Planeten. Dabei waren auch Tränen der Rührung zu sehen. ✌️Auch im Sport-Business fließen viele Tränen: Ob Fußballstars wie Thomas Müller, Cristiano Ronaldo oder Tennis-Profi Roger Federer – das Zeigen starker Emotionen, von Enttäuschung bis Rührung ist längst keine Seltenheit mehr.
Der Ausdruck von Emotionen und das Vergießen von Tränen ist grundsätzlich menschlich und unter bestimmten Umständen auch akzeptabel im Job. Dennoch sollte der Arbeitsplatz nicht zu einem Ort werden, an dem wir täglich einen Seelenstriptease hinlegen. Entscheidend ist vielmehr, ob Teammitglieder das Vertrauen haben können, transparent zu machen, wie es ihnen wirklich geht und welchen Umgang sie sich wünschen – ohne mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. Statt Emotionalität bei der Arbeit zur Schwäche zu machen, wird das Zeigen von Emotionen dadurch zur Stärke. Ideal sind Arbeitsumfelder, in denen wir verlieren können und Emotionen zeigen dürfen, ohne gleich als Versager zu gelten.