Drei Gründe, an denen jede•r sofort erkennt, warum Verena Bahlsen eine Gewinnerin ist
Das halbe Internet plädiert dafür, dass der emotionale Ausstieg der Keksfabrikantin aus dem Familienkonzern sie zur Verliererin mache. Ich halte dagegen.
Ein Kommentar von Kristina Appel
Letzte Woche verlieh die Welt am Sonntag Verena Bahlsen den fragwürdigen Titel „Verliererin der Woche“. Die Zeitung bezog sich dabei auf die emotionale Ankündigung mit der sich die Bahlsen-Erbin von ihrem Posten im Vorstand des Familienunternehmens verabschiedete. Bahlsen hatte von Panikattacken berichtet und davon, Mitarbeitende harsch behandelt zu haben. Die WamS war nicht das einzige Medium, das die 29-Jährige kritisierte und sich fast schon an ihrem vermeintlichen „Scheitern“ zu erfreuen schien.
Drei Gründe, warum Verena Bahlsen für mich eine Gewinnerin ist:
Die Nachfolge in einem Familienunternehmen anzutreten, ist sicherlich eine Chance – aber immer auch eine Bürde. Nachfolge bedeutet, mit Haut und Haar, mit Gesicht und eigenem Namen im Dienst der Familie und der Tradition zu stehen. Es bedeutet, nicht nur der Belegschaft im Office, und Fremden im Supermarkt Rede und Antwort stehen zu müssen, sondern auch und vor allem der Familie zu Hause – abends am Küchentisch und an sämtlichen Feiertagen.
Verena Bahlsen hat sich dazu entschieden, dieses Erbe anzutreten. Während in Deutschland regelmäßig Familienunternehmen in fremde Hände verkauft werden, hat sie sich in einer Phase der Unsicherheit, während einer globalen Pandemie, bereit erklärt, die Firma als Chief Mission Officer in eine neue Richtung zu führen. Bahlsen wollte als Chief Mission Officer den Keksfabrikanten in eine gesündere, nachhaltigere Zukunft führen. Und das in einer Traditionsbranche, die sich seit Jahrzehnten kaum verändert hat. Das waren nicht Entscheidungen einer Verliererin. Diese Schritte erfordern Mut und sie verdienen Respekt.
Sie zeigt sich verletzlich und fehlbar
Verena Bahlsen hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder offen und ehrlich über das Stolpern und über Lernkurven geäußert. Sie hat oft bekundet, dass sie den Posten der CEO von Bahlsen nicht anstrebt, weil sie genau dort nie ihre Stärken gesehen hat. Ihre Frage lautete immer: „Wie kann ich am wirksamsten sein?“ Wie viele Führungskräfte reflektieren ihre Schwächen regelmäßig und öffentlich? Und wie viele Verantwortungsträger trauen sich, Menschen die Zügel in die Hand zu geben, deren Stärken sie selbst nicht besitzen?
Authentizität und der Wille zur Selbstkritik gehören in das Skillset jeder erfolgreichen Führungskraft.
Mit ihrem Abschiedsgruß ist Verena Bahlsen sich selbst treu geblieben. Er war ehrlich, selbstkritisch und vor allem wertschätzend gegenüber ihren Kolleg·innen.
Der Gedanke, dass Emotionen auf der Arbeit keinen Platz haben, ist absurd. Vulnerabilität in diesen unbeständigen Zeiten mit Schwäche zu verwechseln, ist kurzsichtig. Authentizität und der Wille zur Selbstkritik gehören in das Skillset jeder erfolgreichen Führungskraft. Diese Fähigkeiten würden vielen CxOs gut stehen.
Sie hat das Unternehmen an erste Stelle gestellt
Das Unternehmertum kennt viele Maximen. Eine davon lautet: „Das Unternehmen zuerst“.
Verena Bahlsen mag in eine Keks-Dynastie geboren worden sein, trotzdem hat sie sich mit 29 Jahren schon mehrmals ausdrücklich zu diesem Unternehmen bekannt. Mit 21, als sie die Entscheidung traf, ins Familienunternehmen einzusteigen. 2018, als sie als Gesellschafterin im Konzern tätig wurde und schließlich 2021, als sie den Posten der CMO im Management Board antrat.
Und nun hat sie es ein viertes Mal getan. Sich zum Familienunternehmen bekannt, indem sie sich die Frage gestellt hat, ob sie jetzt diejenige ist, die am wirksamsten für Bahlsen sein kann.
Ihr Vater hat einmal gesagt, ein Unternehmen sei keine Spielwiese für Unternehmerkinder. Verena Bahlsen hat das verstanden. Sie spielt keine Spiele, stattdessen traf sie eine Entscheidung für den eigenen Rückzug, zum Wohl der Firma. Verlierer·innen kennen ihre Grenzen nicht, Gewinner·innen wissen, wann es Zeit ist, zu gehen.
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