Einblicke hinter die Kulissen der Traumfabrik: Interview mit Sebastian Stielke
Sebastian Stielke wuchs im Ruhrgebiet auf und kam bereits während der Schulzeit durch die Theater-AG des Gymnasiums und dann Rollen als Kleindarsteller am Schauspielhaus Bochum zum Theater. Nach dem begonnenen Studium der Komparatistik und Romanistik an der Ruhr-Uni ging es jedoch an das Konservatorium der Stadt Wien und dann zum Diplom-Studium an die Hochschule für Film und Fernsehen (der heutigen Filmuniversität) „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg. Theaterengagements führten ihn nach Berlin, Potsdam, Krefeld-Mönchengladbach, Wilhelmshaven und immer wieder an das Theater im bayerischen Hof (Saale), wo er unter anderem auch in der Titelfigur von Goethes „Faust“ zu sehen war. Stielke dreht für Fernseh- und Kinofilme, für deutsche TV-Serien, darunter Produktionen wie RENTNERCOPS und SOKO POTSDAM, aber auch internationale Serien wie BERLIN STATION, COUNTERPART und HOMELAND. Im Jahr 2021 durfte er in Babelsberg für einen Film mit der Hollywood-Größe Liam Neeson zusammenarbeiten und war offizielles Jurymitglied des Deutschen Schauspielpreises.
Er kommt auch anhand der Fotos selbst zum Vorschein: die Motive zeigen zumeist Arbeitsfotos direkt „vom Set“ oder beim Aufbau desselben. Von den über 400 Abbildungen sind einige Fotomotive sehr selten oder erstmals veröffentlicht. Im Jahr 2021 neu erstellte Fotos, Grafiken und aktuelle Karten ergänzen das Eintauchen in das Wissen um aktuelle Situationen in der heutigen Medienstadt Babelsberg. Wichtig ist das Vorwort, das mit dem Beginn der Frage „Wussten Sie,…“ endet. Die Vollendung der jeweiligen Fragen ist die jeweilige Überschrift zu den Kapiteln als Fragebalken. Sie machen neugierig auf ein Thema, das dann genau erläutert wird. Kleine Pfeile mit Hashtag und Zahlen innerhalb der Kapitel geben Verweise auf weiterführende Infos in anderen Kapiteln. Alle könnten aber unabhängig von den Fragebalken und Überschriften der einzelnen Kapitel bzw. Schwerpunkte auch einfach nur chronologisch in einem Zusammenhang gelesen werden, da sie eben auch chronologisch den Verlauf der Geschichte von Filmstudio und heutiger Medienstadt beschreiben.
Es ist für alle etwas enthalten, denn die Inhalte sind mit vielen anderen Themen verwoben. Da ist etwas für Ufa- und DEFA-Freunde, Architektur-Freaks, Technikbegeisterte, Sandmann-Fans, Potsdam-Experten, Nostalgiker, Forschungs- und Digital-Media-Interessierte und vor allem für alle Cineasten! Darunter Freunde von Stummfilmen oder dem Expressionismus aus den ersten Phasen des deutschen Films, Liebhaber von Märchen, Revuefilmen, Science-Fiction oder Historienstreifen. Es geht um die Klassiker METROPOLIS von Fritz Lang, DER BLAUE ENGEL mit Marlene Dietrich, DIE FEUERZANGENBOWLE mit Heinz Rühmann über DIE DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL bis DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA, zu Haußmanns SONNENALLEE und den neuen Realverfilmungen von JIM KNOPF. Es geht um Kulissenbau, Innovationen und Filmtechnologie „Made in Germany“, um viele weitere bekannte deutsche Filmproduktionen jeder Couleur, französische Koproduktionen, aber auch die Hollywood-Filme, die mit großem internationalen Staraufgebot in Babelsberg gedreht werden, ob Tarantinos INGLOURIOUS BASTERDS, die Romanverfilmungen von TRIBUTE VON PANEM – MOCKINGJAY oder MATRIX mit Keanu Reeves. Es geht auch um serielles Erzählen wie GUTE ZEITEN, SCHLECHTE ZEITEN oder weltweit erfolgreiche Hochglanzserien wie BABYLON BERLIN und DARK, die aus Babelsberg kommen. Es geht um „grünes“, nachhaltiges Arbeiten in den Medien. Und immer wieder geht es um Stars & Sternchen, Kunst & Kommerz, Glanz & Glamour aus der Welt der internationalen Film- und Medienbranche. Da es in den beiden Sprachen Deutsch und Englisch verfasst ist, erweitert sich die Leserschaft. Wie gesagt: das ist was für alle.
Jeder hat sicher immer mal wieder etwas von oder über Babelsberg gehört, ohne es vielleicht irgendwie einsortieren zu können. Einige denken, dass das nur ein Freizeitpark ist. Dass es sich aber bei der gesamten „Medienstadt Babelsberg“ um ein riesen Areal mit rund 200 Firmen handelt, und der sogenannte „Filmpark Babelsberg“ als Themenpark darin nur ein kleiner Teil ist, und was es mit dem echten Filmstudio daneben, dem „Studio Babelsberg“, auf sich hat (es gilt beispielsweise als das älteste Filmstudio der Welt), welche Institutionen es noch alles drum herum gibt, und was sie machen (vom RBB und ZDF über die UFA zum Deutschen Rundfunkarchiv und Deutschen Filmorchester), ist den meisten leider nicht bewusst.
Ich wollte immer schon an der dortigen Filmuniversität Babelsberg „Konrad Wolf“, die damals noch Hochschule für Film und Fernsehen hieß, studieren, damit man als Schauspieler neben der klassischen Theater-Ausbildung und den dazugehörigen Fächern auch für medienspezifisches Schauspiel ausgebildet wird. Irgendwann habe ich mich dann getraut vorzusprechen und durfte vier Jahre lang in Babelsberg studieren. Das war dann auch der Grundstein zu vielem, was und wo ich heute auf den unterschiedlichen Gebieten als Schauspieler arbeiten darf, und sicherlich auch zu der großen Verbundenheit zu diesem magischen Stadtteil – in dem die Karrieren von Marlene Dietrich, Alfred Hitchcock und Billy Wilder begannen, in dem der größte Drucker der Welt steht und in dem der Countdown erfunden wurde. Alles übrigens spannende Themen mit verblüffenden Fakten in dem Buch.
Die Villenkolonie Neubabelsberg hat es mir schon sehr angetan. Sie strahlt an allen Ecken viel Ruhe, Schönheit, Geschichte aus. Man sieht förmlich – wie ein Film vor dem geistigen Auge – die ehemaligen Besitzer, teils Filmstars, aus ihren Oldtimern in den Auffahrten ihrer Gärten vor den Villen aussteigen. In der Villenkolonie ist so wahnsinnig vieles geschichtsträchtiges passiert, ob zur Kaiserzeit oder in der Weimarer Republik, ob es die Ufa-Stars der 1930er und 40er Jahre sind, die Nazis einerseits und der Widerstand anderseits, die berühmte „Potsdamer Konferenz“ mit Churchill, Stalin, Truman, viele Geschichten zu DDR- und damit Grenz-Zeit, in der der Filmnachwuchs in Villen ausgebildet wurde… Und es ist eindrucksvoll, wie unterschiedlich auch heute noch Architektur und Einwohnerschaft ist. Unabhängig davon mag ich natürlich auch besonders das Gefühl auf dem Gelände von Studio Babelsberg, die Atmosphäre um und in den alten Gebäuden der 1920er/30er Jahre mit Studiohallen, darunter die denkmalgeschützte Marlene-Dietrich-Halle, das Tonkreuz, Haus 3 und 4 mit spannender Architektur bis in die Treppenhäuser und natürlich den historischen Aufnahmesaal des Filmorchesters. Es liegt dort ein ganz besonderes Flair in Babelsberg, eine mystische Stimmung in allem. Nicht umsonst ist der Regisseur Quentin Tarantino, als er das erste Mal in die Studios kam, auf die Knie gegangen und hat den Boden geküsst. Es ist einfach der Mythos Babelsberg, die Aura der vielen berühmten Filmschaffenden, die hier schon alle gewirkt haben.
Auch ein toller Ort: Da diese genannten Teile des Filmstudios leider nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind, empfehle ich sehr einen Besuch der Dauerausstellung im Filmmuseum in der Potsdamer Innenstadt. Hier wird diese Atmosphäre anhand Original-Requisiten, -Kostümen, -Drehbüchern und anderen Exponaten „greifbar“ gemacht, und man kann in die Welt des Films zu allen Jahrzehnten abtauchen.
Viele von außen – und damit meine ich Gäste aus beispielsweise Holland, Tschechien ebenso wie Amerika – wissen mehr Bescheid über die deutsche Filmgeschichte als die eigene Bevölkerung. Dass wir um diesen Standort weltweit „beneidet“ oder „bewundert“ werden, verwundert wiederum Einheimische. In Gebieten wie Filmtechnologie, Tradition des Kulissenbaus, Forschung und anderen Dingen sind wir Spitze. Da gibt es das einzige volumetrische Studio auf dem europäischen Festland, eben in Babelsberg, an denen zusammen mit anderen Institutionen wie der Fraunhofer Gesellschaft an „erweiterter Realität“ geforscht wird und nebenan im „Volume“ beim Dreh neueste LED-Techniken die bisherigen Greenscreens ersetzen. Da existiert in Deutschland der größte Studiokomplex Europas. Da wird ein Hollywood-Blockbuster nach dem anderen in der Filmstadt Potsdam produziert, nicht in Los Angeles, und wenige wissen davon. Das wollte ich ändern. Und, wie oben beschrieben, die Bandbreite der Themen ist auch eines der faszinierenden Punkte in Babelsberg!
Die Idee zu dem Buch hatte ich bereits ca. drei Jahre, bevor es endlich dazu kam. Ich hatte im Alltag leider nur nie die Zeit für eine Umsetzung. Als im März 2020 der erste Lockdown kam und viele Theater-, Film- und weitere Projekte abgesagt werden mussten, habe ich mich direkt ran gesetzt und mit der vertiefenden Recherche in Archiven und mit Interviews, dem Schreiben, der Bildrecherche und mit dem ganzen Drumherum begonnen. Die Zeit der Veröffentlichung war auch passend: Im Jahr 2021 wurde 75 Jahre DEFA-Gründung gefeiert, wir sind im 111. Jahr der Grundsteinlegung der Filmstudios und das Filmmuseum Potsdam feiert den 40. Geburtstag. Herausgegeben wurde das Buch dann vom Filmmuseum Potsdam – übrigens das älteste Filmmuseum mit eigenen Sammlungen in Deutschland und ein Institut der Filmuniversität Babelsberg. Ich habe mit dem bebra-Verlag ein tolles eigenständiges Verlagshaus gefunden und jetzt ist das Buch weltweit im Handel erhältlich.
Zunächst einmal hat mich erneut die Fülle an verschiedenen Themen und Hintergründe fasziniert, mit denen ich locker weitaus mehr als „nur“ 100 Fakten, also Kapitel, hätte mit aufnehmen können. Da musste ich mich schon reduzieren und sortieren. Und dann sind es die einzelnen Themen, die teilweise für sich schon so breitgefächert sind und in die Tiefe gehen, so dass man jeweils ein eigenes Buch dazu hätte machen können. Denken wir an die deutsche Vorreiterrolle im Expressionismus, da gibt es eine Fülle an Geschehnissen. Dasselbe gilt für Filmtechnologien, Filmtrickabteilungen, Serien aus Babelsberg, Science-Fiction aus Babelsberg, Hollywood-Filme „made in Babelsberg“, und, und, und. So kann das Buch auch eine Einladung sein, sich im Nachgang der Lektüre an der ein oder anderen Stelle noch tiefer mit einem der genannten Themen, Fachgebiete oder Filme zu beschäftigen.
Auch hat mich überrascht, dass in Babelsberg zu jeder Zeit technische Entwicklungen und Erfindergeist, also Forschung und Entwicklung in jedem Jahrzehnt, stattgefunden hat. Die Erfindung der „entfesselten Kamera“ – technisch wie kreativ ein großer Einschnitt in die Art der Kameraführung – war mir bekannt, aber dass die DEFA das sogenannte Stereolichttonverfahren eher erfunden als Dolby, das wusste ich beispielsweise nicht. Auch dass Loriot nach der deutschen Wiedervereinigung mit dem Film PAPPA ANTE PORTAS einen der ersten Filme nach der Wende in Babelsberg gedreht hat, also die Villa der Familie Lohse in der Marlene-Dietrich-Halle aufgebaut wurde, war mir gänzlich neu. Aber auch andere Dinge, die mir schon bewusst waren, sind leider in breiten Teilen der Gesellschaft nicht ganz so präsent: die Erfindung des Countdowns zum Beispiel kommt aus Babelsberg! Wissen Sie, welche deutschen und internationalen Filme in Babelsberg entstehen? Wussten Sie, dass wir im Ausland mehr für unsere deutsche Filmgeschichte angesehen sind, als im Inland? Wussten Sie, wo der Filmnachwuchs ausgebildet wird? Wussten Sie wie groß das Filmstudio ist, was es hat und kann? Oder wussten Sie, was Antonio Banderas, Cate Blanchett, Adrien Brody, George Clooney, Tom Cruise, Matt Damon, Gérard Depardieu, Jean Dujardin, Joseph und Ralph Fiennes, John Goodman, Tom Hanks, Tom Holland, Diane Kruger, Mads Mikkelsen, Bill Murray, Liam Neeson, Brad Pitt, Natalie Portman, Keanu Reeves, Tilda Swinton, Mark Wahlberg, Christoph Waltz und Kate Winslet gemeinsam haben? Sie alle geben sich in Babelsberg die Klinke in die Hand. Filme mit ihnen werden in Babelsberg gedreht. Und über all die Themen ist leider in der Öffentlichkeit zu wenig bekannt. Das Buch soll das – anschaulich – ändern.
Sebastian Stielke: 100 Facts about Babelsberg – Wiege des Films und moderne Medienstadt. Zweisprachig (deutsch/englisch), über 400 Abbildungen, QR-Codes für weiterführende Infos im Net., Herausgegeben vom Filmmuseum Potsdam. bebra-Verlag, Berlin 2021.