Endstation Angst – so entkommst du der Furchtfalle im Job
Du möchtest den Job wechseln, öfter Nein sagen oder die Abteilung ändern? Eine Wirtschaftspsychologin hilft dir in vier Schritten, deine Angst zu überwinden.
Frage der Woche:
Immer wieder stolpere ich im Job über meine eigenen Ängste. Ich würde mich gerne verändern und auch über einen Jobwechsel nachdenken, aber ich blockiere mich mit meiner Furcht selbst. Was kann ich tun?Kiana, XING-Nutzerin
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Liebe Kiana,
zunächst möchte ich dich beruhigen. Du bist nicht allein mit diesen Gefühlen. Viele Menschen erzählen mir, wie festgefahren sie ihre derzeitige Situation empfinden. Sie erzählen davon, dass sie sich entmutigt, wenig energiegeladen und deprimiert fühlen angesichts der Aussicht, den Rest ihres Lebens in ihrem momentanen Job zu verharren. Sie sehnen sich nach Veränderung, aber gleichzeitig hält sie die Angst zurück, die notwendige Schritte zu unternehmen.
**Die häufigsten Ängste, die Menschen zurückhalten, sind Versagensangst, die Angst, andere im Stich zu lassen, die Angst, schlecht auszusehen oder den Respekt anderer zu verlieren. Aber auch Angst vor Ablehnung, Ausgrenzung und vor fehlender Unterstützung haben viele Menschen. In den meisten Fällen sind diese Ängste nicht rational begründet - und doch sind es starke Kräfte, die uns blockieren. **
Problematisch wird es vor allem dann, wenn diese Ängste (ob bewusst oder unbewusst) dich in schädlichen Mustern festhalten und du dich selbst sabotierts. Dabei sind die meisten dieser Ängste lediglich subjektiver Natur. Sie sind durch die Erfahrungen aus der Vergangenheit entstanden und werden von den gegenwärtigen Perspektiven gefüttert, die wiederum durch unsere Brille gefiltert werden.
Deswegen begleiten uns diese Ängste, egal, wohin wir gehen: Sie bleiben auch bei uns, nachdem wir eine Beförderung erhalten, die Abteilung gewechselt oder einen neuen Job begonnen haben – es sei denn, wir unternehmen aktiv etwas, um sie an die Oberfläche zu bringen, sie zu verstehen und sie so bewusst zu hinterfragen.
Mit diesen vier Schritten kannst du deiner Angst entkommen:
1. Stell dich deinen Ängsten
Dich deinen Ängsten bei der Arbeit zu stellen und sie zu überwinden, erfordert nicht nur Zeit, sondern vor allem brutale Ehrlichkeit. Zunächst solltest du identifizieren, in welchen Situationen das mulmige Gefühl auftaucht. Vielleicht zögerst du, schwierige Gespräche zu führen, entschlossener zu sein oder öfter „Nein“ zu sagen? Überlege, was hinter diesem Verhalten stecken könnte: Ist es die Angst, eine Beziehung zu ruinieren, wenn du ein schwieriges Gespräch führst? Hast du Angst, die falsche Entscheidung zu treffen oder die Befürchtung, nicht gemocht zu werden, wenn du Kollege•innen Nein sagen? Wichtig ist an dieser Stelle, nichts zu beschönigen, sondern die Dinge beim Namen zu nennen.
Was du tun kannst: Schließe deine Augen und stell dir vor, wie dein weiteres Leben verlaufen würde, wenn du deine Ängste nicht in den Griff bekommst. Stell dir das Ganze so bildhaft und lebendig wie möglich vor. Frag dich, was du alles in deinem Leben durch die Angst verpassen oder welche Erfahrungen du niemals machen würdest. Wie sehr leidet deine Lebensqualität darunter, dass du ständig in Angst und innerer Panik lebst? Du kannst dir die Antworten auch aufschreiben. Versuche dir bewusst zu machen, dass all deine Ängste unter der Oberfläche wirken, dich lähmen und unproduktives Verhalten verursachen. Frag dich, ob du diese Ängste noch brauchst. Wofür sind sie dir dienlich? Diese Verhaltensweisen haben dir vielleicht zu einem früheren Zeitpunkt geholfen, aber manche davon sind im Hier und Jetzt gar nicht mehr passend und halten dich davon ab, deine Ziele zu erreichen.
2. Was ist das Schlimmste, das passieren kann?
Stell dir vor, deine schlimmsten Befürchtungen würden wahr werden. Was, glaubst du, würde passieren, wenn du versagts – ob das Versagen darin besteht, einen Kunden oder deinen Job zu verlieren, jemanden im Stich zu lassen oder dumm auszusehen? Diese einschränkenden Überzeugungen fühlen sich zwar sehr real an, sind aber normalerweise alles andere als realistisch und die Chance, dass sie wirklich eintreffen, ist sehr gering.
Was du tun kannst: Führe dazu den sogenannten Reality-Check durch: Wenn du spürst, dass eine Angst in dir hochkommt, halte kurz inne und frage dich, was im allerschlimmsten Fall wirklich passieren könnte. Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit wird dir dabei bewusst, wie unrealistisch die Bilder in deinem Kopf eigentlich sind. Auf diese Weise kannst du sie schnell loslassen.
3. Woher kommen die Ängste?
Wenn du alle schlimmen Befürchtungen artikuliert hast, überlege dir, woher diese Ängste und einschränkenden Glaubenssätze in deinem Leben kommen. Manches Mal ist es sofort offensichtlich, ein anderes Mal musst du womöglich tiefer graben. Das Bewusstsein dafür, wo und wann dieses eingeschränkte oder unvollständige Weltbild entstanden ist, kann dir helfen, dich davon zu lösen. Du kannst dir selbst aufzeigen, wie anders die damaligen Umstände in deinem Leben waren und warum sie in deinem aktuellen Kontext nicht mehr relevant sind.
Was du tun kannst: Suche dir für diese Übung zunächst einen ruhigen Ort, an dem du ungestört sein kannst. Lehne dich zurück und mache dir folgende Gedanken bewusst: Im Laufe unseres Lebens sammeln wir Beweise dafür, warum es besser ist, etwas nicht zu tun. Dieses Verhalten begründen wir dann mit Erfahrungen aus der Vergangenheit, die uns verletzt haben. Um diese schmerzhaften Erfahrungen nicht zu wiederholen, ziehen wir uns lieber zurück. Nun atme tief ein und überlege dir, welche Erfahrung du gemacht hast, die dich heute blockiert? Schreibe die Antworten so auf, wie sie dir in den Sinn kommen.
4. Überschreibe alte Muster!
Da einschränkende Überzeugungen durch frühere Erfahrungen geformt wurden, ist es wichtig, dass du eine andere Perspektive dazu entwickelst. Dazu musst du dich für Neues öffnen, andere Dinge ausprobieren und so weitere Erfahrungen sammeln. Es geht darum, dass du neue Informationen über deine einschränkenden Annahmen bekommst, denn nur so kannst du sie enttarnen und auch ändern. Das hilft dir dabei, alte Muster zu verlernen und neue aufzubauen.
Was du tun kannst: Versuche es mit dieser Methode:
Sobald du eine Angst verspürst, achte ganz bewusst auf die Bilder, die dabei in deinem Kopf auftauchen. Was genau stellst du dir gerade vor?
Wenn du herausgefunden hast, welche Bilder durch deine Angst erzeugt werden, mache die Bilder ganz klein oder undeutlich. Du kannst sie auch gedanklich zerreißen oder einen Eimer Farbe darüber schütten. Dadurch löschst du gedanklich das jeweilige Bild.
Danach verwandelst du die Situation in ein positives Bild. Mal dir genau aus, wie die Sache ablaufen müsste, damit du keine Angst hast.
Je öfter du diese Methoden anwendest, desto leichter werden sie dir beim nächsten Mal fallen.
Es ist normal, Angst und Unruhe in deinem Leben und bei der Arbeit zu empfinden, aber mit etwas Übung kann man diese inneren Stimmen leiser machen und befreiter sein. Die Version der Wahrheit, die du dir in der Vergangenheit selbst immer wieder erzählt hast, spiegelt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die aktuelle Realität wider.
Ich wünsche dir, dass du einen guten Umgang mit deinen Ängsten findest und akzeptieren kannst, dass viele davon gar nicht real, sondern ein Echo aus der Vergangenheit sind.
Wer unter schweren, anhaltenden Ängsten oder wiederkehrenden Panikattacken leidet, sollte sich zudem nicht scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Traumata und tiefer liegende Ängste lassen sich nur mit Hilfe von geschulten Therapeut•innen und Psycholog•innen behandeln.
Liebe Grüße
Ingrid Gerstbach
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Wer schreibt hier?
Ingrid Gerstbach ist Innovationsexpertin und gilt als deutschsprachige Koryphäe der aus den USA stammenden Innovationsmethode Design Thinking. Die Betriebswirtin, Wirtschaftspsychologin und Erwachsenenbildnerin berät internationale Unternehmen und Universitäten und schreibt Kolumnen und Bücher. Als XING Insiderin schreibt sie über Innovation und Lernen, Psychologie und Persönlichkeit und Empathie.
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