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Welche Rolle spielst Du in Deinem Job - oder darfst Du sein, wie es Dir gefällt? - Bild: 123rf.com

Fake or Real: Wie echt bist Du in Deinem Job?

Fast jeder zweite Angestellte spielt im Beruf eine Rolle, so eine XING Studie. Doch wie authentisch dürfen wir überhaupt sein? Karriere-Coach Bernd Slaghuis gibt Tipps, wie Du Dir im Job selbst treu bleibst.

Authentizität schadet der Karriere, heißt es. Wer sich allzu persönlich zeigt, macht sich leicht angreifbar, so der Glaube vieler Arbeitnehmer. Gleichzeitig wird unsere Lebens- und Arbeitswelt immer diverser, Individualität zum Zeichen unserer Zeit. Zählt dennoch für die Karriere immer noch mehr Schein als Sein oder dürfen wir uns heute erlauben, im Job wir selbst zu sein? Vier Schritte, wie Du selbst auf Deine Spur und als Jobwechsler einen Arbeitgeber findest, der zu Dir passt.

Im Leben voll real, im Job lieber fake?

„Echt, Bro, der ist mega real“, hörte ich neulich einen schätzungsweise 16-Jährigen hinter mir zu seinem Kumpel sagen. Ja, wer „real“ ist, scheint heute angesagt. Es ist nicht nur die innere Freiheit, zu sich selbst zu stehen und sich bewusst keiner gesellschaftlichen Normen oder Zwänge zu unterwerfen, sondern die eigene Individualität selbstbewusst und stolz sichtbar nach außen zu tragen.

Auf der anderen Seite sitzen mir Bewerberinnen und Bewerber im Coaching gegenüber, die Angst davor haben, dass Recruiter sie geschult durchleuchten und ihr wahres Ich entdecken könnten. Ich erlebe Angestellte, die über Jahre hohe imaginäre Selbstschutzmauern um sich herum aufgebaut haben, um ihre ach so böswilligen Kollegen bloß nicht zu nah an sich heran zu lassen. Und ich lerne Führungskräfte kennen, die die Sorge haben, für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sehr der kumpelhafte Kollege als ihr disziplinarisch Vorgesetzter zu sein. "Im Job müsse es ja schließlich professionell zugehen", sagen sie mir – was auch immer das bedeutet.

Ich finde das spannend: So sehr im Privatleben heute echt sein angesagt ist, für Selbstbestimmung sowie Unabhängigkeit steht, so sehr scheinen wir uns unsere wahre Persönlichkeit und menschliche Individualität im beruflichen Umfeld stärker denn je professionell zu verbieten.

Auf der sehnsüchtigen Suche nach Anerkennung geht es vielen Menschen heute stärker ums Gemocht werden, statt sich selbst zu gefallen. Es geht mehr um pflichtgetreues Erwartungen erfüllen, statt sich seiner eigenen Werte und persönliche Ziele treu zu sein.

Das falsche Schauspiel zwischen Schein und Sein

„Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt“ lese ich auf fast allen Karriereseiten großer Arbeitgeber und ich frage mich jedes Mal, woran ich dies wohl dort als Bewerber oder als Mitarbeiter konkret bemerken könnte.

Im nächsten Moment lese ich auf dem Deckblatt eines Lebenslaufs „Langjährig erfahrene Führungspersönlichkeit“ und sehe auf der nächsten Seite, dass jemand erst drei Jahre im Job ist und dort bisher maximal Projekte geleitet hat.

Exakt hier beginnt das falsche Schauspiel zwischen Schein und Sein – und zwar auf beiden Seiten. Ist es sicherer, im Business fake zu sein? Sind wir nicht professionell genug, wenn wir im Beruf wir selbst sind? Macht die steilere Karriere, wer in seinem Job nicht authentisch ist?

Schadet Authentizität der Karriere?

Ich erinnere mich gut, es war in einem Jahresgespräch, das ich 2007 nach meinem internen Wechsel mit meinem neuen Chef führte: „Herr Slaghuis, Sie müssen lauter werden und auch mal in größeren Meetings so richtig auf den Tisch hauen“, gab er mir als gut gemeinten Ratschlag für meine weitere Entwicklung mit auf den Weg. Ich hatte im Unternehmen zuvor zwei Jahre als Vorstandsassistent gearbeitet und wusste, dass ich im ganzen Haus geschätzt wurde. Ich hatte auf meine Art das Vertrauen vieler gewonnen und hatte niemals einen Grund, meine Anforderungen mit der Joker-Karte „Assistent des Vorstands“ durchboxen zu müssen.

In diesem Jahresgespräch mit meinem Chef war mir damals eines klar: Das bin nicht ich und so möchte ich auch nicht sein**.** Hat es meiner Karriere im Sinne des Aufstiegs in der Organisation geschadet? Dort zu diesem Zeitpunkt vermutlich ja.

Heute weiß ich, dass meine Persönlichkeit nicht nur der Schlüssel für meinen Erfolg im Beruf ist, sondern Erfolg für mich auch nur dann einen echten Wert hat, wenn ich mir selbst auf dem Weg dorthin treu geblieben bin.

Viele Berater warnen davor und sogar wissenschaftliche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Menschen, die sich in ihrem beruflichen Umfeld allzu authentisch geben, seltener in eine Führungsrolle befördert werden.

Ja, zu viel echte Persönlichkeit wird Deiner Karriere auch heute noch in manchen Organisationen schaden. Je konzernig hierarchischer es zugeht, umso eher führen noch Linientreue gepaart mit lautem Ellenbogen die Leiter nach oben. Wenn es Dir also vor allem um hierarchischen Aufstieg, Machtposition und Gehaltserhöhungen ankommt, bringen Dich absolute Anpassung, Erfüllung von Erwartungen und im Zweifel mehr Schein als Sein dort weiter.

Ist es das, was Dir wichtig ist? Dann vergiss Dich selbst, überspiele Dein wahres Ich und sei, wie es von Dir erwartet wird. Denn Du weißt ja, Authentizität schadet der Karriere (hier konnte ich mir den ironischen Unterton einfach nicht verkneifen).

Sind es hingegen andere Werte und Ziele, die Du im Beruf in Zukunft verfolgen möchtest, dann lies gerne weiter ;-)

Sei nicht nur authentisch, sondern wie Du Dir echt gefällst

Wenn ich ehrlich bin, finde ich den Begriff „Authentizität“ im Business-Kontext nicht nur mit der Zeit etwas ausgelutscht, sondern als persönlichen Zielzustand auch zu wenig. Schließlich wird Authentizität als die Wahrnehmung Dritter definiert und ist erfüllt, wenn Schein und Sein von ihnen als übereinstimmend empfunden werden. Bewerberinnen und Bewerber etwa sollen mit ihrer Authentizität überzeugen – dazu habe ich hier mal etwas geschrieben. Ich höre selbst von meinen Klienten häufig, ich sei im persönlichen Coaching ja genauso, wie in den XING-Videos oder meinen Texten. Viele überrascht das, ich finde das eher normal.

Authentizität ist mir als äußerlich bewertender Blick zu fremdbestimmt. Ich finde es wichtig, dass wir selbst mit uns und unserer Persönlichkeit im Reinen sind. Dass wir uns im Privat- wie auch im Berufsleben selbst mit unserem Denken und Handeln treu bleiben. Und ganz wichtig: Dass wir uns so auch unserer Wirkung auf andere Menschen bewusst sind. Wer sich beispielsweise als unempathisch lauter Macher-Typ versteht und sich so selbst gefällt, der kann zwar als authentisch wahrgenommen werden, wird jedoch auf einige Menschen auch Angst einflößend wirken.

Authentizität ist nur ein stimmiges Bild von außen. Echt zu sein ist das gute eigene Gefühl, sich selbst treu und seiner Wirkung bewusst zu sein.
Bernd Slaghuis | Karriere-Coach

4 Schritte, wie Du den Job findest, in dem Du echt sein darfst

1. Selbsterkenntnis: Finde heraus, wer Du echt bist

Die Voraussetzung, dass Du bist, wie Du Dir gefällst ist, dass Du weißt, wie Du tickst und ein Bewusstsein dafür entwickelst, was Dir guttut. Beobachte Dich eine Zeit lang selbst, was Dir leicht fällt und Freude macht. Was ist es, das Dir im Alltag Kraft gibt und wo musst Du Energie investieren, damit es gut wird? So kommst Du Deiner persönlichen Stärken leicht auf die Spur.

Was ist es ganz konkret, das im beruflichen Umfeld erfüllt sein sollte, damit Du dort motiviert einen guten Job machst und gesund bleibst? Gibt es etwas, wofür Dein Herz schlägt – Branchen, Marken oder Produkte, die Dich interessieren oder sogar leidenschaftlich begeistern? Was macht für Dich eine gute Zusammenarbeit im Team aus, was erwartest Du von Deiner Führungskraft, wie sollte es in einem Unternehmen zugehen, damit Du dich dort enfalten kannst? Und was würden auch andere sagen, die Dich gut kennen, was sie besonders an Dir schätzen – vielleicht fragst Du sie einfach mal?

Dies alles wirst Du nicht über Nacht über Dich erfahren. Beobachte und reflektiere Dich mit Deinem Denken und Handeln selbst und nimm Dir neugierig auch die Zeit, um Dich „echt“ kennenzulernen. Je klarer Du Dir selbst über Dich wirst, umso gezielter kannst Du nach passenden Jobs und Arbeitgebern suchen sowie echte Klarheit in deiner Bewerbung und im Gespräch schaffen.

2. Eigene Erlaubnis: Es ist ok, wenn Du echt Du bist

Dies ist der alles entscheidende Punkt. Viele Menschen verbiegen sich in ihren Jobs, weil Sie schlicht glauben, es müsse so sein. Aus Angst vor Ablehnung, Ausgrenzung oder einfach aus prägender Gewohnheit. Du kannst noch so viele Stärkentests ausfüllen, Karriere-Ratgeber lesen und alles über Dich herausfinden – wenn Du Dir selbst nicht erlaubst, echt sein zu dürfen, dann wird es ein Verbiegen bleiben.

Auch hierfür wird ein schnelles „Ja, das ist schon ok“ nicht ausreichen. Du hast viele Jahre oder sogar ein Leben lang gelernt, dass Dich Anpassung und Erwartungen erfüllen vor Schlimmerem bewahren. Du musst nun neu lernen, in dem Du immer wieder die Erfahrung machst, dass es Dir „echt“ noch viel besser geht. Dass es die (Arbeits-)Beziehung zu anderen Menschen leichter macht, Du mehr von Deinen Stärken nutzen kannst und am Ende des Tages mehr Energie zur Verfügung hast.

Es wird immer wieder Situationen geben, in denen Du spürst, dass Du Dich wie gewohnt verbiegst. Die Kunst ist es, dies zu erkennen und für Dich eine bewusste Entscheidung zu treffen, ob verbiegen in dieser Situation nützlich ist oder wie Du Dich stattdessen lieber verhalten möchtest, um Dir selbst treu zu bleiben. Glaub mir, das ist Übungssache, darf aber auch Freude machen ;)

3. Jobsuche: Entdecke Arbeitgeber, die echt auf Dich stehen

Es wird Dich nicht überraschen, dass es einen Unterschied macht, ob Du beim Großkonzern anheuerst oder beim Mittelständler um die Ecke, beim Forschungs-Institut oder dem hippen Start-up, im öffentlichen Dienst oder einer sozialen Hilfsorganisation. Tendenziell gilt: Je größer, hierarchisch organisiert oder Investoren getrieben, umso mehr geht es um fachliche Passung in einer unpersönlichen Kästchen-Denke. Je mittelständischer und familiärer, umso stärker spielt Deine Persönlichkeit dort eine Rolle.

Mein Tipp: Versuche, beim Lesen von Stellenausschreibungen, Deiner Recherche über einen Arbeitgeber und spätestens beim Gespräch ein gutes Gefühl dafür zu entwickeln – hier geht es mehr um Deinen Bauch als um den Kopf, ob Du mit Deiner Art, Deinen Stärken und Werten und Deiner Vorstellung von Zusammenarbeit zu diesem Unternehmen und den Menschen dort passt.

Sei neugierig, wer Dir begegnet und finde heraus, ob auch die Menschen bei einem Arbeitgeber ein echtes Interesse an Dir als Person und potenziellem neuen Kollegen haben, oder sie sich nur für Deinen Lebenslauf, die Noten in Zeugnissen oder Deine Studiendauer interessieren. Sieh es wie bei einem Date: Ob Dein Gegenüber wirklich auf Dich als Person steht, wirst Du dann spüren, wenn Du Dich selbst echt darauf einlässt.

4. Bewerbung: Schaffe schonungslos echte Klarheit über Dich

Vor diesem Schritt haben viele Bewerberinnen und Bewerber große Angst. Doch wenn Du Schritt (2) geschafft hast und Dir „echt“ selbst bewusst gefällst, dann ist dieser Schritt für Dich als Jobwechsler vor allem eine Frage der klaren Kommunikation. Meine Erfahrungen sind eindeutig: Je mehr Klarheit Jobwechsler mit ihrer Bewerbung schaffen, umso besser können Arbeitgeber eine Entscheidung treffen und umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es später im Gespräch oder nach der Unterschrift des Arbeitsvertrags wirklich passt.

Verbiege Dich nicht im Lebenslauf, indem Du jede Lücke rechtfertigst oder Dein Schülerpraktikum zum strategischen Unternehmensprojekt aufbläst. Formuliere im Anschreiben klar, wo Du gerade stehst und was Du mit Deiner aktuellen Wechselsituation verbindest, was Dir im Beruf in Zukunft wichtig ist und welche Top-Kompetenzen Du für die Position für besonders wertvoll hältst.

Schaffe Klarheit, wie Du persönlich tickst, was Dir im Beruf leicht fällt und Freude macht und was auch Kollegen, Kunden oder Vorgesetzte besonders an Dir schätzen. „Bewerber, zeigt Kante“ ist mein Leitsatz im Bewerbungs-Coaching. Je „nackiger“ Du Dich als Jobwechsler mit Deiner ehrlichen Bewerbung machst, umso höher nicht nur der Vertrauensvorschuss, sondern umso größer die Chance, dort im Unternehmen später wirklich Du selbst sein zu dürfen. Denn wem Du mit Deiner Persönlichkeit sowie Deinen Werten und Zielen im Beruf nicht gefällst, der kann sich so schnell und gut entscheiden, Dir eine Absage zu schicken. Eine gute Bewerbung ist Selbstschutz. Sie beschützt Dich davor, in einem Umfeld zu arbeiten, in dem Du nicht Du selbst sein darfst.

Ich wünsche Dir viel Freude bei Deiner Entdeckungsreise zu Dir selbst. Falls auch Du zu den vielen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern gehörst, die sich tagtäglich aufs Neue in ihren Jobs verbiegen, wünsche ich Dir, dass Du im nächsten Schritt ein Arbeitsumfeld entdeckst, in dem Du sein darfst, wie Du Dir gefällst und Dich mit Deiner Persönlichkeit sowie Deinen Stärken einbringen kannst.

Dein

Bernd Slaghuis

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Weitere Beiträge rund um Karriere & Bewerbung findest Du auf meinem Karriere-Blog sowie in meiner SPIEGEL-Kolumne.

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Was denkst Du über Authentizität im Beruf? Ist es ok, sich für die Karriere auch mal verbiegen zu müssen oder würdest Du im Job lieber häufiger Du selbst sein? Ich freue mich auf die Diskussion und Deine Meinung unten in den Kommentaren👇

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Und welcher Arbeitgeber-Typ passt zu Dir?

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Kommentare

Dr. Bernd Slaghuis schreibt über Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Karriere ist heute mehr als nur "höher, schneller, weiter". Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf begleitet. Von der Neuorientierung und Bewerbung bis zum Onboarding. Meine Erfahrungen teile ich hier als XING Insider, auf meinem Blog und als SPIEGEL-Kolumnist.

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