Gamechanger Neuroleadership?! Wie Führung wirklich funktioniert (Teil 1)
„Generation Jobwechsel“ oder „Quit my Job” sind nur zwei Beispiele dafür, die den aktuellen Trend beschreiben, dass immer mehr Beschäftigte über einen Arbeitgeberwechsel nachdenken.
Der Arbeitsalltag hat sich in den vergangenen Jahren maßgeblich verändert, entscheidende Bedeutung wird dabei den Führungskräften zuteil, und zwar wie sie mit Krisen, Ängsten und den Bedürfnissen ihrer Beschäftigten umgegangen sind. Führung ist jetzt wichtiger denn je und steht somit auch auf dem Prüfstand: Eignen sich bisherige Konzepte, oder muss Führungsarbeit neu gedacht werden?
Fangen wir mal ganz vorn an: Wer wird eigentlich geführt?
Gefühlt gibt es zu keinem Thema mehr Ratgeber, Tipps und „goldene“ Regeln als zur Mitarbeiterführung. Dies ist auch so weit plausibel, denn schließlich steht der Mensch bei der Führungsarbeit im Mittelpunkt – und wer erfolgreich führen möchte, muss seine Mitarbeiter*innen verstehen. Seit gut über 100 Jahren untersuchen Wissenschaftler*innen die Eigenschaften von Führungskräften, verschiedene Führungsstile oder situationsbedingte Faktoren, um mehr Erkenntnisse über die (optimale) Führung zu erlangen.
Doch die Komplexität dieser Forschung nimmt ständig zu, genauso wie die Individualität und die Bedürfnisse der Beschäftigten. Dies erklärt auch die große Bandbreite an Führungstheorien und -modellen, die sich – wenn man es auf das Wesentliche herunterbricht – letztendlich immer mit dem Menschen befassen. Und genau hier liegt die Herausforderung, wenn man die im historischen Kontext entstandenen Führungstheorien näher betrachtet. Unser Menschenbild von heute ist nicht mehr das, was es vor 100 Jahren war. Und das ist auch gut so. Begleiten Sie mich kurz durch das vergangene Jahrhundert, damit wir uns die entsprechenden Menschenbilder genauer anschauen.
Vom Maschinenmensch bis hin zum komplexen Wesen
Sogenannte Menschenbilder spiegeln wider, welche Annahmen und Überzeugungen über den Menschen existieren, und eignen sich für den Führungskontext als gute Basis, um die Vielfalt der Führungstheorien besser zu verstehen. Der Ingenieur Frederick Winslow Taylor hat zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit seinen „Principles of Scientific Management“ nicht nur bahnbrechende Leistungen in der Industrie bewirkt, sondern auch das Menschenbild des „economic man“ maßgeblich geprägt. Er sah den Menschen in der Produktion als maschinenähnliches Wesen, das nur arbeitet, um Geld zu verdienen. Die Arbeit müsse dementsprechend kleinteilig und repetitiv gestaltet sein und wenn die finanziellen Anreize stimmen, so stimmt auch alles andere.
Aber lange herrschte dieses Menschenbild nicht vor – ungefähr 30 Jahre später etablierte sich mit der „Human Relations“-Bewegung das Bild des „social man“. Studien, die verbesserte Arbeitsbedingungen wie Pausen, Beleuchtungsverhältnisse und andere „technische Größen“ näher untersuchten, führten zur Erkenntnis, dass die Proband*innen in der Kontrollgruppe, in der keine technischen Arbeitsbedingungen verbessert wurden, genauso in ihrer Produktivität zulegten. Dies verwunderte zwar zunächst, aber letztlich klärte der Psychologe Elton Mayo auf: Er führte den Produktivitätszuwachs auf das bessere Betriebsklima zurück, da die Proband*innen als Teil einer Studie nun (überhaupt) beachtet wurden, da man ihnen Fragen stellte und sie zwischenmenschliche Beziehungen auf der Arbeit eingingen. Trotz aller Kritik an dieser Interpretation war dies auch ein Beitrag zur Abkehr der mechanistischen Sichtweise auf den Menschen.
Abraham Harold Maslow prägte das nächste Menschenbild durch sein hierarchisch gegliedertes Motivationsmodell, das an oberster Stelle die Selbstverwirklichung hat – also sich selbst zu entwickeln, seine individuellen Fähigkeiten auszuschöpfen, um sich entfalten zu können. Der „self-actualising man“, entstanden so um 1950, strebt immer, beginnend bei den physiologischen Bedürfnissen, über Sicherheits-, soziale und Achtungsbedürfnisse bis hin zur Selbstverwirklichung, die immer noch nicht erreichte Stufe an – das ist sein Treiber. Für die Führung bedeutet dies, Tätigkeiten zuzuweisen, die Handlungsspielräume ermöglichen, und der Zuspruch von Autonomie.
Komplexer in den Reihen der Menschenbilder wurde es durch die Arbeiten von Edgar Schein, der mit gleichnamigen Menschenbild des „complex man“ bislang eindimensionale Konstrukte mit einer einzigen Motivationsstruktur kritisierte. So berücksichtigte das neue Menschenbild die vielfältige, situationsabhängige Motivationsstruktur – Bedürfnisse sind abhängig von der individuellen Lebenssituation, der persönlichen Entwicklung und variieren von Mensch zu Mensch. Auch können Motivationen im Unternehmen neu und den Situationen entsprechend angepasst werden – Führungskräfte müssen lernen, dass es keine vorgefertigten Strategien gibt und die Führungsarbeit situationsspezifisch und individuell sein muss, um der Vielfältigkeit der Beschäftigten gerecht zu werden.
Individualität muss nicht Komplexität bedeuten
Das letzte Menschenbild stimmt uns darauf ein, dass sich die Führungsarbeit – so wie sie heute sein sollte – zunehmend auf die Beschäftigten einstellt und die individuellen Bedürfnisse in den Vordergrund stellt. Das Motto lautet: Keine generellen Lösungen, sondern Individualität berücksichtigen und fördern. Dies ist aber einfacher gesagt als getan. Wenn eine Führungskraft nun mehrere Mitarbeiter*innen zu führen hat, wie sollen die individuellen Bedürfnisse erkannt und berücksichtigt werden?
Die Neurowissenschaft, genauer gesagt die Teildisziplin Neuropsychotherapie, bietet hier einen ersten Anhaltspunkt. Ähnlich wie die Führungsarbeit von der Psychologie profitieren konnte, so bietet sich mit der Gehirnforschung auch ein ebenso großes Potenzial für die Weiterentwicklung der Führung. Durch den technologischen Fortschritt wurden in den vergangenen Jahrzehnten bahnbrechende Erkenntnisse gewonnen, die sich in Wissenschaft und Gesellschaft zunehmend bemerkbar machen.
Mit Neuroleadership, der Führung nach neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, wird das Ziel verfolgt, Mitarbeiter*innen durch die Gestaltung einer gehirngerechten Arbeitsumwelt dabei zu unterstützen, ihre individuellen Bedürfnisse erfüllen zu können und die Verletzung ihrer Bedürfnisse abzuwenden. Dabei stehen fünf Bedürfnisse im Mittelpunkt der Führungsarbeit und zwar Self-Esteem, Control, Orientation, Attachment und Pleasure. Was sich dahinter verbirgt, erfahren Sie im nächsten Teil von „Gamechanger Neuroleadership!? Wie Führung wirklich funktioniert“.