Glaube, Resilienz und Nachhaltigkeit: Stehvermögen durch innere Ressourcen
Die eigene Berufung finden
Nachdem uns der traditionelle Glaube abhandenkam und die Kirche ihre Autorität verlor, hörte die Religion auf, „ein vitales Element im Leben der meisten Menschen zu sein“, sagt der indische Intellektuelle Pankaj Mishra. Die neue Religion heißt für ihn „Fortschritt“. Der blinde Zukunftsglaube führt dazu, dass viele Menschen heute nicht mehr glauben können und sich extremen Idealen zuwenden. Der zunehmende weltweite Terror verdeutlicht, wie unwichtig plötzlich unsere abstrakten Ängste (demografischer Wandel, Umweltthemen, zerfallende Gemeinschaften) geworden sind angesichts des konkreten Terrors in unmittelbarer Nähe. Fassungslosigkeit und Verunsicherung haben für Augenblicke die Angst in uns gefrieren lassen. Sie ist konkret geworden. Es wird Zeit brauchen, bis wir sie aus uns heraus bewegen können - doch die größte Sorge, die Verrohung der Gesellschaft, wird bleiben.
Der Glaube hilft uns, unseren Platz bzw. Stand in der Welt zu finden – gemäß Paulus im 1. Korintherbrief 7,20: „Jeder bleibe in der Berufung, in der er berufen wurde.“ Im griechischen Original steht an dieser Stelle das Wort κλ°siw (kläsis). Den „Ruf“ Gottes deutet Bolz als Aufruf zu unserem „Beruf“, was bedeutet, „dass man nichts Besonderes, Übergebührliches tun, sondern einfach nur durchhalten muss.“ Der Hebräerbrief definiert den Glauben als „Feststehen in dem, was man erhofft“. (Heb 11,1) Glauben heißt also: einen festen Stand haben, ohne sich täglich nach dem Wind drehen zu müssen. Beim Propheten Jesaja wird Glaube und Stehen als Einheit betrachtet: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht, so habt ihr kein Stehvermögen.“ (Jes 7,9) Dass wir im Glauben feststehen sollen, sagt auch Paulus. Es geht um eine Wirklichkeit, die uns Halt gibt in einer haltlosen Welt. Glaube und Resilienz gehören deshalb zusammen, denn die globalen Herausforderungen und die damit verbundenen Unsicherheiten werden der Gesellschaft die Fähigkeit dazu noch stärker abverlangen. Zumal der Anteil psychischer Erkrankungen kontinuierlich zunimmt. Die Ursache liegt zum einen an der psychosozialen Belastung des Einzelnen durch individuellen und gesellschaftlichen Stress und an familiären Zerfallsprozessen, beruflicher Mobilität und an der Reduzierung tragfähiger sozialer Beziehungen.
Worauf es jetzt ankommt, ist kluges Denken und nachhaltiges Handeln, damit Menschen in ihren Ängsten nicht abhängig werden von Verführern, die Panik und Verwirrung stiften. Was aber kann uns in unserer Schutzlosigkeit und Verwundbarkeit helfen? Franklin D. Roosevelt sagte, dass es die erste und vornehmste Aufgabe staatlicher Politik sei, den Bürgern die Angst zu nehmen. Genauso wichtig ist aber, auch die persönlichen Werte auszubilden und zu stärken, damit der eigene Blick auch nach innen gerichtet und das eigene Gewissen immer wieder geprüft werden kann. Wo diese Vertiefung fehlt, fehlt es auch an inneren Ressourcen und Reserven, die wir brauchen, weil sie uns resilient und immun gegenüber Verführungen machen und uns emotional nicht abstumpfen lassen. Wer keinen Respekt (mehr) vor sich selbst hat, dem ist auch das eigene Leben nichts wert, der reißt auch Unschuldige mit in den Tod. Wir können es uns nicht erlauben, im Denken nachzulassen. Und wir dürfen, das, was um uns geschieht, nicht schweigend erdulden.
Nachhaltigkeit als gesellschaftliche Herausforderung des 21. Jahrhunderts
Nachhaltigkeit ist auch ein kirchliches Leitbild und christliche Schöpfungsverantwortung. Das weist die Umweltwissenschaftlerin und Theologin Almut Beringer in ihrem Buch „Reformation – Transformation – Nachhaltigkeit“ nach, das Ausgangspunkt für weiterführende Diskussionen sein möchte und uns an unseren Gestaltungsauftrag erinnert: „Wir sollen schaffen; wir sollen uns (ver-)ändern; wir sollen das tun, was in unseren Möglichkeiten für Heimat und Zukunft und Bewahrung der Schöpfung liegt.“ Die grundlegenden Fragen, die dieses Buch beschäftigt, ist: Wie stellt sich Nachhaltigkeit in evangelischer Auslegung dar – biblisch-theologisch, wissenschaftlich-theoretisch und existentiell-praktisch? Welchen Beitrag leisten Glaube und Religion zur großen Transformation? Warum ist Nachhaltigkeit christliche Schöpfungsverantwortung? Was hat Zukunftsangst mit Gelassenheit zu tun?
Gott nimmt den Menschen schon im Paradies in die Pflicht, der Erde mit Ehrfurcht zu begegnen und schonend mit ihr umzugehen: „Dann legte Gott im Osten, in der Landschaft Eden, einen Garten an. Er ließ aus der Erde alle Arten von Bäumen wachsen. Es waren prächtige Bäume und ihre Früchte schmeckten gut. Dorthin brachte Gott den Menschen, den er gemacht hatte. (…) Er übertrug ihm die Aufgabe, den Garten zu pflegen und zu schützen.“ (1. Mose 2, 8-15) Mit diesem Gebot ist in der Bibel ein Urtext von Nachhaltigkeit formuliert. Der Mensch ist verantwortlich, die Erde zu bebauen, d. h., sie zu kultivieren, zu einem bewohnbaren Lebensraum zu gestalten und als solchen zu bewahren (1. Mose 2,15). Viele Texte in der Bibel werben für eine kluge Haushalterschaft. Das, was den Menschen von Gott an materiellen Ressourcen anvertraut ist, soll nicht gehortet, sondern zur Sicherung und Pflege des eigenen Lebens und zum Nutzen aller in wirtschaftlicher Weise eingesetzt werden.
Weiterführende Informationen:
Alexandra Hildebrandt: Tiefe des Glaubens: Warum wir ganz unten nicht verloren sind. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.