Globale Wertschöpfungsketten: Was gehört zu den verbindlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen?
Komplexe globale Lieferketten machen es Unternehmen besonders schwierig, zuverlässige Informationen über die Tätigkeit ihrer Lieferanten zu erhalten.
Ein zuweilen unübersichtliches Geflecht einzelstaatlicher Vorschriften (Flickenteppich verschiedener Regeln in ihren Mitgliedstaaten) bremst die Fortschritte bei der Übernahme bewährter Verfahren. Auch gibt es für einige Produktbereiche bisher keine allgemein anerkannten Standards hinsichtlich Ökologie und Sozialverträglichkeit über die komplette Lieferkette hinweg. Die persönliche Überprüfung aller beteiligten Herstellungsstätten – vom einzelnen Rohstoff über Bauteile bis hin zum Endprodukt – ist für große und kleine Unternehmen gleichermaßen eine enorme Herausforderung (dazu: memo Nachhaltigkeitsbericht 2021/2022).
Vor diesem Hintergrund forderte das Europäische Parlament die Kommission im März 2021 auf, einen Legislativvorschlag zur verbindlichen Sorgfaltspflicht in der Wertschöpfungskette vorzulegen. Auch der Rat forderte die Kommission am 3. Dezember 2020 in seinen Schlussfolgerungen auf, einen Vorschlag für einen EU-Rechtsrahmen für nachhaltige Unternehmensführung vorzulegen - einschließlich branchenübergreifender Sorgfaltspflichten von Unternehmen („Directive on corporate sustainability due diligence“) entlang der globalen Wertschöpfungsketten.
Dieser geht an das Europäische Parlament und an den Rat zur Billigung. Nach seiner Annahme haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in innerstaatliches Recht umzusetzen und der Kommission ihre Umsetzungsvorschriften zu übermitteln. Bei der Ausarbeitung des Vorschlags wurde auch die Evidenzgrundlage, die durch zwei in Auftrag gegebene Studien über die Pflichten der Geschäftsleitung und nachhaltige Unternehmensführung (Juli 2020) und über die Sorgfaltspflicht in der Lieferkette (Februar 2020) erstellt wurde, berücksichtigt. Mit dem Vorschlag soll gewährleistet werden, dass der private und öffentliche Sektor der Union auf internationaler Ebene unter uneingeschränkter Achtung ihrer internationalen Verpflichtungen hinsichtlich des Schutzes der Menschenrechte und der Förderung einer nachhaltigen Entwicklung sowie der internationalen Handelsregeln handelt.
Das bedeutet konkret: die Sorgfaltspflicht zum integralen Bestandteil ihrer Unternehmenspolitik machen, tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt ermitteln, potenzielle Auswirkungen verhindern oder abschwächen, tatsächliche Auswirkungen abstellen oder sie auf ein Minimum reduzieren, ein Beschwerdeverfahren einrichten, die Wirksamkeit der Strategien und Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht kontrollieren und öffentlich über die Wahrnehmung ihrer Sorgfaltspflicht kommunizieren. Dadurch soll ein wirksamerer Schutz der Menschenrechte, die in internationalen Übereinkommen verankert sind, gewährleistet werden. Dieser Vorschlag gilt auch für die Tochtergesellschaften der Unternehmen und die Wertschöpfungsketten (direkt und indirekt bestehende Geschäftsbeziehungen).
EU-Unternehmen:
Gruppe 1: alle EU-Gesellschaften mit beschränkter Haftung von erheblicher Größe und Wirtschaftskraft (mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mindestens 150 Mio. EUR weltweit); Unternehmen müssen über einen Plan verfügen, mit dem sichergestellt wird, dass ihre Geschäftsstrategie die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C im Einklang mit dem Übereinkommen von Paris berücksichtigt
Gruppe 2: andere Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die in bestimmten ressourcenintensiven Branchen tätig sind und die nicht beide Schwellenwerte der Gruppe 1 erfüllen, aber mehr als 250 Beschäftigte und einen Nettoumsatz von mindestens 40 Mio. EUR weltweit haben. Für diese Unternehmen gelten die Vorschriften zwei Jahre später als für Gruppe 1.
in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten, die einen Umsatz in Höhe von Gruppe 1 und Gruppe 2 innerhalb der EU erwirtschaften.
Zu den flankierenden Maßnahmen, mit denen alle betroffenen Unternehmen unterstützt werden, gehören: die Entwicklung spezieller Websites, Plattformen oder Portale und die potenzielle finanzielle Unterstützung für KMU. Die Kommission kann Leitlinien, darunter auch Mustervertragsklauseln, annehmen und zudem die von den Mitgliedstaaten geleistete Unterstützung durch neue Maßnahmen ergänzen. Die Geschäftsleitungen der Unternehmen werden dazu verpflichtet, für die Umsetzung und Überwachung der Sorgfaltspflicht und die Einbindung der Nachhaltigkeitsbestrebungen in die Unternehmensstrategie zu sorgen. Darüber hinaus müssen sie zusätzlich zu ihrer Pflicht, im besten Interesse des Unternehmens zu handeln, die Folgen ihrer Entscheidungen für Menschenrechte, Klimawandel und Umwelt berücksichtigen. Im Fall von variabler Vergütung werden die Führungskräfte Anreize erhalten, zur Eindämmung des Klimawandels beizutragen, indem sie sich auf den Unternehmensplan beziehen. Anders als das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz sieht der europäische Vorschlag eine zivilrechtliche Haftung bei Verstößen vor (z.B. Geldbußen bei Nichteinhaltung). Die neuen EU-Rechtsvorschriften werden für Unternehmen Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen und für Verbraucher und Anleger mehr Transparenz schaffen.
Allerdings tun sich auch viele nach wie vor schwer, wenn es darum geht, ihren ökologischen Fußabdruck und ihre Bilanz im Bereich der Menschenrechte zu verstehen und zu verbessern. Hier lohnt ein Blick auf die Nachhaltigkeitsberichte von Öko-Pionieren wie memo. Zur Vermeidung entsprechender Auswirkungen werden bei diesem Versandhändler folgende Maßnahmen im Rahmen der Sortimentsgestaltung sowie bei der Lieferantenauswahl und ‐beurteilung ergriffen:
Zu Beginn der Geschäftsbeziehung bestätigt der Lieferant seine unternehmerische Verantwortung durch die Unterzeichnung des memo Verhaltenskodex, der sich vor allem an den ILO‐Kernarbeitsnormen orientiert. Verfügt der Lieferant über einen eigenen, geeigneten Code of Conduct, wird dieser ebenfalls akzeptiert.
Bei der Beschaffung orientiert sich das Unternehmen am Prinzip des „local sourcing“. Bevorzugt werden - soweit möglich - Lieferanten innerhalb Deutschlands und Europas.
Bei Herstellern in Übersee konzentriert sich das Unternehmen bei der persönlichen Überprüfung auf besonders kritische oder wichtige Produktgruppen.
Es wird ein intensiver und partnerschaftlicher Austausch mit den Lieferant:innen sowie ein regelmäßiger Dialog mit Verbänden, NGOs und der Wissenschaft gepflegt.
Im regelmäßig erscheinenden Nachhaltigkeitsbericht wird offengelegt, welche Maßnahmen für die Lieferkette ergriffen werden, um zu erreichen, dass Menschenrechte weltweit geachtet und Zwangs‐ und Kinderarbeit sowie jegliche Form der Ausbeutung verhindert werden.
Die Corona-Pandemie zeigte gerade in diesem Bereich, wie anfällig die Transportkette aus Asien war (längere Lieferzeiten und Warenknappheit im Fahrradhandel). Die meisten weltweit angebotenen Fahrräder werden hier produziert. Immer mehr Unternehmen arbeiten deshalb verstärkt an Lösungen, um die Produktion verstärkt nach Europa zu holen. Auch sorgen negative Vorurteile bezüglich ökologischer und sozialer Standards für einen schlechten Ruf seitens asiatischer Produktionen. Die Herstellung in Europa ist möglich, wenn konventionelle Prozesse neu überdacht werden. Das Beispiel der E-Bike-Marke Mokumono zeigt, was möglich ist: Die Batteriezellen kommen aus europäischer Produktion. Ein kohlenstoffarmes Aluminium, das in Schweden mit erneuerbaren Energien produziert wird, gehört hier ebenfalls zu den Neuerungen. Um Kosten für Kunden und die Umwelt zu sparen, wird künftig noch stärker auf eine Produktion vor Ort in Europa gesetzt. Dies spart allein sechs bis acht Wochen Transportzeit. Produktionsschritte werden automatisiert und regionale Komponenten verbaut (keine Ausstattung aus Übersee). Die Bremsen kommen von Formula aus Italien, die Beleuchtung von Supernova aus Deutschland und der Rahmen aus der eigenen Produktion in den Niederlanden.
Es ist für viele Unternehmen nicht leicht, die gesamte Supply Chain einzelner Fahrradkomponenten zurückzuverfolgen, dennoch nehmen viele Unternehmen der Fahrradbranche die Verantwortung an und sind stets bemüht, sich stetig zu verbessern, um ihren Teil zu einer nachhaltigeren Entwicklung beizutragen. Auch der Mühltaler E-Bike-Hersteller Riese und Müller setzt auf eine transparente Lieferkette. Um diese darzustellen und zu analysieren, wird die Cloud-Plattform Sustainabill eingesetzt, die auch die Zusammenarbeit zwischen Herstellern und Zulieferern entlang der Lieferkette ermöglichen soll. Grundlage dafür sind die Profile der Lieferanten, die von den einzelnen Unternehmen auf der Plattform hinterlegt werden. Die Vorlieferkette wird dabei ebenfalls berücksichtigt.
Die Erfassung der lieferkettenbezogenen Daten erfolgt auf Basis verschiedener Nachhaltigkeitsstandards wie dem GHG Protocol und den UN Guideline Principles eine Bewertung des Nachhaltigkeitsengagements der Lieferanten. Berücksichtigt werden neben Informationen zum jeweiligen Unternehmen und zu nachhaltigkeitsrelevanten Managementprozessen auch Umweltauswirkungen, Arbeitsbedingungen sowie die Auswahl und der Umgang mit Vorlieferanten. Anhand der geografischen Angaben der Lieferanten erstellt der Anbieter auch eine Risikoanalyse unter der Berücksichtigung sozialer, umweltbezogener und gesetzlicher Rahmenbedingungen im jeweiligen Herstellungsland. Sie unterstützt dabei, zielgerichtete Präventionsmaßnahmen abzuleiten und so die Einhaltung von Standards sicherzustellen. Auf diese Weise wird Transparenz bis in die Tiefe der komplexen Liefer- und Wertschöpfungskette hergestellt.
Sie orientiert sich an der nationalen und internationalen Gesetzgebung und stellt Nachhaltigkeitsthemen und Maßnahmen vor allem aus den Handlungsfeldern Markt und Umwelt sowie Arbeitsplatz und Gemeinwesen vor. Der verabschiedete Entwurf umfasst 18 Themenbereiche rund um Produktion, Standort, soziale Relevanz und strategisches Nachhaltigkeitsmanagement mit insgesamt 110 konkreten Handlungsmöglichkeiten. Zu den ersten Unterzeichnenden gehören 22 Unternehmen von BIKEBRAINPOOL, einem Kreis engagierter Vertreter:innen der Fahrradbranche, die über Wettbewerbs- und Verbandsgrenzen hinweg am gemeinsamen Ziel arbeiten, das Fahrradfahren zu fördern. Zu ihnen gehören ABUS, BIKE & CO, B.O.C., Croozer, Delius Klasing, Fellowz, Hebie, Humpert, IDBerlin, JobRad, Kienzler, Pressedienst Fahrrad, Radlager, Schwalbe, Riese & Müller, Rose Bikes, Thun, Velokonzept, VSF, Wertgarantie, WSM und Zedler.
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