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Graspapier: Warum immer mehr Unternehmen auf das umweltschonende Material setzen

„Mensch und Materie sind in lebhaften Beziehungen miteinander verflochten und zwar einfach schon deshalb, weil man niemals wirklich etwas weg-werfen kann. Weg – diesen Ort gibt es nicht.“ Jane Bennett

Nachhaltige Verpackungsalternativen

Am Markt setzen sich immer mehr Verpackungsalternativen durch: Karton und Papier aus Agrarabfällen, also Pflanzenfasern, die ähnlich wie Holz verarbeitet werden können. Häufig werden 80 bis 90 Prozent einer Agrarpflanze nicht zu einem Lebensmittel verarbeitet, beispielsweise beim Getreide das Stroh, dessen Fasern ein enormes Potenzial für die Papierherstellung haben und das in riesigen Mengen vorliegt. Ähnlich verhält es sich bei Papier aus Gras, das aus nicht bewirtschafteten Flächen stammt. Das Gras wurde bisher nicht genutzt oder kann nicht vollständig als Dünger oder für Biogas verwendet werden. Die Mengen sind so groß, dass problemlos ein Teil des Holzanbaus für die Papierherstellung ersetzt werden könnte. Die Verarbeitung ist einfach, weil die Grasfasern weicher als Holzfasern sind. Weil Gras großflächig verfügbar ist, bieten sich hier enorme Chancen für die regionale Papiererzeugung und neue Arbeitsplätze.

Das Graspapier, das dick und wellig ist und kleine Krümel enthält, wurde vom Unternehmer Uwe D’Agnone entwickelt, der dafür den KfW Award Gründen 2017 erhielt. Mit seiner Firma Creapapier suchte er nach einer ökologischen Alternative der Papierverarbeitung. Seine Vision war, das Material so weit zu etablieren, dass sich seine positiven Effekte sogar am Klima messen lassen. Begonnen hat alles mit einem Papierbogen, der auf einem traditionellen Papierschöpfsieb von ihm und einem Papiermacher aus Rheinbach vor einigen Jahren hergestellt wurde. Gelernt hat der Industriekaufmann in einer Tiefdruckerei mit Standorten in Mönchengladbach und Düsseldorf. 1990 machte er sich in Hennef, etwa 20 Kilometer von Bonn entfernt, selbstständig.

Damit aus Heu Papier werden kann, muss es getrocknet und gemahlen werden. Dann wird es zu Pellets verarbeitet. Seine erste eigene Anlage hat D’Agnone in der Nähe von Düren zur Pellet-Herstellung in Betrieb genommen. Sie kann 25.000 Tonnen Grasfaserpellets pro Jahr produzieren. In der Papierfabrik werden die Pellets in Wasser aufgelöst und können dann zu Kartonagen weiterverarbeitet werden. Der Unternehmer ist davon überzeugt, dass Graspapier für mindestens 90 Prozent aller heute üblichen Papierprodukte verwendet werden kann. Lediglich Transparentpapier lässt sich damit nicht herstellen. Das von ihm produzierte Kartonpapier hat derzeit einen Grasfaseranteil von 50 Prozent (der Rest ist Altpapier oder Frischfaser aus Holz, allerdings immerhin FSC-zertifziert, weil der Karton sonst nicht stabil genug wäre). Creapaper arbeitet daran, den Anteil auf 60 bis 70 Prozent zu erhöhen.

Das verwendete Gras wachse laut Unternehmensangaben auf Wildwiesen zusammen mit zahlreichen Blumen und Kräutern. Diese Biodiversität sorge nicht nur dafür, dass die Grasboxen gut duften, sie schützt zudem die heimischen Bienen.

Vorteile gegenüber herkömmlichem Papier

• Gras ist ein Rohstoff, der sehr schnell nachwächst.

• Für die Produktion von Graspellets kommt deutlich weniger Wasser zum Einsatz (eine Tonne Pellets benötigen zwei Liter Wasser) als bei der konventionellen Papierherstellung.

• Graspapier benötigt nur ein Zehntel der Energie im Vergleich zu holzbasiertem Papier.

• Kombiniert man den geringeren Energie-Verbrauch während der Herstellung mit den zusätzlichen Einsparungen beim Transport, verursacht Gras insgesamt 75 % weniger CO2-Emissionen als Holz.

• Bei der Herstellung der Graspellets kommt keine Chemie zum Einsatz. Die Energie- und Ökobilanz der Graspapier-Behältnisse ist deutlich besser als die von vergleichbaren Verpackungen 8ca. 6000 Kilowatt Strom werden bei der Gewinnung von einer Tonne Zellstoff verbraucht, bei einer entsprechenden Menge Gras-Pellets kommt man mit 137 Kilowatt aus).

• Kurze Transportwege: Das Gras für die Herstellung der Boxen wächst auf Wildwiesen in der Schwäbischen Alb, direkt in der Nähe der Papierfabrik. Ziel ist es, das Heu für das Graspapier künftig in weniger als 50 Kilometer Entfernung von der jeweiligen Fabrik verarbeitet wird.

• Recyclingfähigkeit: Leider verunreinigen Druckfarben und Klebstoffe Kartons häufig, dass sie nicht kompostiert werden können. Wie Penny, Otto oder Ikea die Kartons bedrucken und verkleben, kann der Hersteller nicht sagen. Allerdings sind die Kartons von Armedangels mit gesundheitlich unbedenklicher, wasserbasierter Farbe bedruckt. Sie sind gefaltet, nicht geklebt – und mit einem Paketband mit natürlichem Klebstoff versiegelt. Damit ist ein biologischer Kreislauf gewährleistet.

Die größte Herausforderung für den Unternehmer war es, Papierfabrikanten davon zu überzeugen, seine Gras-Pellets zu verarbeiten, denn sie waren besorgt, dass das Gras ihren Geräten Schaden zufügen könnte. Der erste Großauftrag kam vom Versandhändler OTTO, für den er Schuhkartons herstellte. Danach kamen weitere Partner aus Deutschland, den Niederlanden und Italien. Die Vorteile der Graskartons inzwischen viele weitere Konzerne erkannt: Supermärkte wie Rewe, Penny, Edeka, Norma oder Aldi-Süd nutzen für die Verpackung von Obst und Gemüse Graskarton. Die Rewe Group bietet testweise in Penny- und Rewe-Märkten testweise verpackte Äpfel in Graspapier-Schachteln an. Künftig will die Papierfabrik Gras von ungenutzten Ausgleichsflächen aus der Umgebung nutzen.

Die Rhein-Neckar-Arena in Sinsheim hat seit 2019 einen neuen Namensgeber. Die Heimat des Fußball-Bundesligisten TSG Hoffenheim heißt nun PreZero Arena. Mit seinem strategischen Partner will der Klub künftig vor allem bei den Heimspielen auf dem Gebiet ressourcenschonender Abfallwirtschaft zusammenarbeiten. Der Wertstoffmanagement-Spezialist aus Neckarsulm, der zur Schwarz-Gruppe gehört, wird die TSG dabei unterstützen, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. "Wir wollen gemeinsam aus unserem Stadion einen zukunftsweisenden Ort für Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz machen", sagte TSG-Geschäftsführer Dr. Peter Görlich im Januar 2019.

Die Vision von PreZero ist ein Wertstoffmanagement, bei dem Abfälle zu annähernd 100 Prozent wiederverwertet werden, weil wir sie als wertvolle Rohstoffe verstehen", sagt Dietmar Böhm, Geschäftsleiter von PreZero. Dazu werden Wertstoffströme analysiert und an innovativen Lösungen gearbeitet - von Abfalltrennsystemen bis hin zu unkonventionellen Recyclingansätzen. Das Team von PreZero legte eine Liste mit Punkten vor, die mühelos umgesetzt werden können: Das reicht von Abfalltrennsystemen über einen Austausch von Styroporbechern durch wiederverwendbare Kunststoffbecher, bis hin zur Verwendung des Rasenschnittes als Rohstoff für die Produktion von Autogrammkarten, die auf Graspapier gedruckt werden.

Nachwachsende Bücher

Matabooks, ein junges Medienunternehmen mit Sitz in Dresden, setzt sich mit innovativen Medientechnologien im Bereich der Buch- und Medienbranche auseinander. Hier werden Printprodukte auf besonders nachhaltige, faire und innovative Weise hergestellt. Der Name Matabooks ist vom Wort "Mutter" aus der indischen Ursprache Sanskrit abgeleitet und vermittelt den Respekt gegenüber "Mutter Natur". Produziert werden deshalb auch vegane Bücher aus Graspapier, d.h. alle Produkte sind frei von tierischen Bestandteilen wie Knochenmehl im Buchbinderleim oder tierische Farbstoffe in der Druckfarbe. Auch die Veredelungsverfahren werden unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit ausgewählt. Die Umschläge werden von jungen Künstlern gestaltet, und ein Teil der Erlöse wird in soziale Projekte investiert.

Die Seiten haben einen Grasfaseranteil von 40 %, der Frischfaseranteil stammt aus FSC-zertifizierten Wäldern. In der Produktion sparen die Bücher mit Grasfaseranteil von 40% bis zu 75 % CO2 und 80 % Energie ein. Das Gras wird im nahen Umkreis der Papierfabrik angebaut und geerntet. Bei der Ernte wird darauf geachtet, dass das Gras nicht zerstört wird (Quelle: memolife). Die Innenseiten der Notizbücher sind aus Graszellstoff gefertigt, im Cover und Buchrücken sind Samen eingearbeitet: Wird der Umschlag nach dem Gebrauch in die Erde "gepflanzt", wachsen neue Pflanzen.

Weiterführende Informationen:

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Verpackt oder unverpackt? Warum Stoffkreisläufe eine Frage der Nachhaltigkeit sind. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Anabelle Körbel: Nicht nur was für Kühe. In: brand eins 7 (2019), S. 14.

Kommentare

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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