Jenseits der Worte: Kunst als Kommunikationsmittel
Während die Stabilität europäischer Demokratien u. a. durch das Zusammenfinden zunehmend rechts orientierter Bevölkerungsgruppen bedroht wird, ist der Iran nicht gerade ein Musterland für Menschenrechte. Wer jedoch wie wir einmal Kontakt zur iranischen Bevölkerung hatte, jenseits politischer oder religiöser Vorbehalte, der erhält ein vielschichtiges und vertiefteres Bild der dortigen Gesellschaft. Die Gastfreundlichkeit, Aufgeschlossenheit und die vielen interessanten Gespräche, die wir mit den Menschen dort führen durften, verstärkten den Wunsch nach weiterer Kommunikation. Kunst bietet diese Kommunikation auch jenseits der Worte. Gerade in politisch aufgeladenen Zeiten kann Kunst eine Ventilfunktion übernehmen. Diese kann sie für den Künstler selbst übernehmen, wie sich sehr ausdrucksstark in den Bildern des befreundeten iranischen Künstlers Majid Aslami zeigt. Seine Bilder thematisieren auf sehr intensive Weise die Gewalt, die er empfindet.
Kunst kann jedoch ebenso ein weltsprachliches Instrument sein, um Solidarität, Anteilnahme und Verbundenheit auszudrücken. Missverständnisse können vermieden werden, wenn Bilder zwar im Kontext des Lebensraumes des Künstlers interpretiert werden, es jedoch keiner fremdsprachlichen Übersetzung bedarf. Emotionen lassen sich u. a. in Farben ausdrücken, über deren Semantik teilweise ein globaler Konsens besteht. Kunstwerke erfüllen zudem historische Aufgaben, indem sie gesellschaftliche und politische Entwicklungen wortlos spiegeln.
Unsere Inspirationen schöpfen wir, wie viele Künstler, aus dem alltäglichen Leben, Begegnungen und Erfahrungen. Aber auch naturwissenschaftliche Phänomene bieten Potenzial für eine Ver-bindung von Mathematik und Kunst, die uns immer wieder fasziniert. Ein Beispiel hierfür ist die Fibonacci-Formel. Sie verbindet natürliche Strukturen mit Mathematik und erklärt z. B. die von einer Pflanze hervorgebrachte optimale Anzahl und Anordnung von Blütenblättern. Einige unserer Kunstwerke der getropften Stalagmiten aus Acrylfarbe haben dies aufgegriffen und folgen der Grundstruktur der Sonnenblume. Die Zusammenführung der Bereiche Mathematik, Informatik, Technik und Naturwissenschaften in der Kunst ist eines der zentralen Anliegen unserer Arbeit. Anfänglich waren wir hier stark von den Punkt- und Linienstrukturen der australischen Ureinwohner inspiriert. Ebenso hat uns die Natur mit ihren zumeist auf den ersten Blick unsicht-baren Details fasziniert und inspiriert. Die ungewöhnlichen Strukturen von z.B. Fliegenaugen und Schmetterlingsflügeln u.a., wie wir sie auf einer Ausstellung der Nanofotografie gese-hen haben, hat einige unserer Werke beeinflusst.
Neben diesen Begegnungen mit anderen Künstlern, ihrer Kunst und ihren andersartigen, zum Teil auch fremdartigen Kulturen, sind gesellschaftliche und politisch aktuelle Themen immer wie-der Anlass und Ansporn für neue Kunstwerke. So entstand z. B. das Bild „Rotes Meer“. Es greift, entstanden im Jahr 2013, die seinerzeit bereits drohende Gefahr eines nicht mehr zu begren-zenden Gewaltausbruchs im Orient auf.
Für meine Frau und mich ist lösungsorientiertes Denken in der Umsetzung unserer künstlerischen Ideen von besonderer Bedeu-tung. Wir verstehen Probleme, die sich uns dabei in den Weg stellen, als spannende Herausforderung, die gemeistert werden möchte. Ein Beispiel ist hier die Organisation der Ausstellungen im Iran. Unsere Glasobjekte sind schwer und empfindlich, was mit für uns horrenden Transportkosten verbunden gewesen wäre. So mussten wir nach einer finanzierbaren Lösung suchen, denn unsere Mission aufzugeben, kam für uns nicht in Betracht. Wir haben dann Dateien in den Iran geschickt und so unsere Skulpturen vor Ort als Replik produzieren lassen. Insofern sehen wir Probleme als kreatives Moment und so immer auch als ge-danklichen Raum für Innovationen – als Anreiz und nicht als Hemmschuh.
Aus unserer Sicht sind Grenzen künstliche, durch Menschenhand geschaffene Schwellen. Kulturen jedoch kann man als offene Räume verstehen, die nicht an solche Grenzen gebunden sind. Die eigene geistige Fortentwicklung erreicht man eher durch das Erfahren einer anderen Sichtweise, als durch die gleiche Meinung eines Anderen. Kulturelle Entwicklung wird durch den Austausch mit anderen Kulturen und Menschen befördert. So hat es auch Goethe gelebt. Er hat die Werke des persischen Dichters und Mystikers Hafis und das Schahname des persischen Dichters Fir-dausi als Möglichkeit der eigenen geistigen Erweiterung verstanden. In den Versen Hafis‘ fand er seine Emotionen wieder und fühlte sich dem Poeten wie einem Zwilling im Geiste verbunden. Diese weltoffene, neugierige und vorbehaltlose Haltung Goethes ist für uns ein Vorbild.
Nun, unsere Kultur hat Wurzeln in der orientalischen und so auch der persischen Kultur in der Schrift, den Zahlen, der Medi-zin etc. Das Schahname des persischen Dichters Firdausi ist ein Beispiel für ein geschriebenes Narrativ der persischen/iranischen Gesellschaft. In ihm drücken sich Empfinden, Orientierung und Werte aus, und es ist eine wesentliche Basis für den Erhalt per-sischer Kultur. Schriftliche Überlieferungen, naturwissenschaftliches Schrifttum, wie es in den persischen Strukturen verankert ist, halten auch die westliche Gesellschaft zusammen. Goethe fühlte sich in seinen Emotionen und geistigen Werten dem Dichter Hafis besonders nahe. Seiner Verehrung für ihn verlieh er mit dem West-Östlichen Divan Ausdruck. Er erkannte sich in den Versen Hafis‘ wieder und richtete seinen Blick gezielt auf die vielen Gemeinsamkeiten zweier nach außen hin so unterschiedlicher Kulturen. Wir verbinden dies mit dem sehr großen Interesse am Austausch mit westlichen Künstlerinnen und Künstlern, was wir insbesondere seitens der jungen Menschen im Iran erfahren ha-ben. Der Hunger nach Austausch, die Wissbegierde und die un-eingeschränkte, vorbehaltlose gegenseitige Akzeptanz waren für uns sehr berührend.
Der Bildungsstand der Menschen im Iran ist nach unserer Wahrnehmung hoch, auch in der weiblichen Bevölkerung, der gesellschaftliche Mittelstand erscheint relativ ausgeprägt. Im frühen persischen Kulturraum steht die Wiege unserer Schrift und der Naturwissenschaften. Hiervon zeugen z.B. die Windtürme, die noch heute als natürliche Klimaanlagen eingesetzt werden, die ausgefeilte Wasserversorgung wie auch die Eishäuser und vieles mehr. Seinen Kulturraum hat sich die iranische Gesellschaft über Jahrhunderte hinweg bewahrt. Ihre Werteorientierung ist in Schriften und Gedichten festgehalten, genannt sei hier nur das Schahname. Diese Wertehaltung des Zusammenlebens ist der unseren westlichen sehr ähnlich, leider ist die westliche Kultur auf ihrem nach Osten gerichteten Auge hier allerdings sehr blind.
Kunst wird seit jeher und auch heute noch in der iranischen Ge-sellschaft ein hoher Stellenwert beigemessen. Hiervon zeugen die vielen hochkarätigen, modernen Galerien, die nicht nur in der Hauptstadt Teheran angesiedelt sind. Allein in Teheran kann man rund einhundert mittlere und größere Galerien besuchen, ein Beleg für eine intensive Kulturszene. Doch auch in Shiraz ist diese Zahl ungewöhnlich hoch. Kunst manifestiert sich zudem in den Kulturgütern des Landes, in der Kachelarchitektur oder den Teppichbildern bis hin zu den Reliefs in Persepolis. Zu Zeiten des Shah wurde Mitte der 1970er Jahre auf Initiative seiner Frau Fa-rah Pahlavi in Teheran das Museum für zeitgenössische Kunst gegründet und hochwertige moderne Kunst gesammelt. Es be-herbergt die derzeit größte Sammlung zeitgenössischer Kunst außerhalb Europas und der Vereinigten Staaten von Amerika. Nach einer Zeit der Schließung ist es mittlerweile wieder geöff-net und zeigt ausgewählte Werke. Die Kulturszene wird von staatlicher Seite durchaus kontrolliert, gerade deshalb hat uns die große, moderne Musikszene erstaunt. Wir waren auch über-wältigt von der großen Zahl der vor allem jungen Besucher in Teheran und in Shiraz, die sich für unsere westlichen Werke in-teressierten. Die iranischen Medien haben sowohl im Fernsehen als auch in Zeitungen wie der Teheran Times über unsere Kunst berichtet.
Ich selbst habe eine enge Bindung zu Goethe bereits durch mei-nen Deutschlehrer erfahren, der mich literarisch geprägt hat. Mein erstes Goethe-Buch war der West-östliche Divan. Zudem habe ich mittlerweile zehn- bis fünfzehnmal den Orient bzw. den Iran bereist, einige Male nun gemeinsam mit meiner Frau. Daraus sind Freundschaften und eine besondere Beziehung zu die-sem Land, seiner Bevölkerung, entstanden. Wir sehen uns dar-über hinaus als Angehörige einer Generation, die mit Reisen vor allem die Möglichkeit verbindet, andere Kulturen kennen zu ler-nen. Musikalisch stehen wir Beethoven sehr nahe. Das Beethovenjahr stand unmittelbar bevor und so war es für uns naheliegend, eine Beethoven-Glasskulptur in den Iran zu brin-gen. Beethoven und seine Geburtsstadt Bonn sind im Iran bekannt, die Ode an die Freude als Vertonung des Gedichtes von Schiller ist ein Begriff. Im Sinne seiner Zeile „Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt“ wollten wir mit un-serem Lichtkunstobjekt „Beethoven“ unserer Ausstellung zum ARTOLOG ein völkerverständigendes Element hinzufügen und ein solches Zeichen setzen. So entstand die Idee, diese in Shiraz an das Grab des Dichters Hafis zu bringen und einen symbolischen Besuch Beethovens zu arrangieren.
Nicht erst seit der Ausstellung des bekannten deutschen Künst-lers Günther Uecker in Isfahan ist Goethe im Iran in seiner Verbundenheit zu Hafis sehr bekannt. Uecker hat zu Hafis mit seiner Nagelkunst Werke gestaltet, die dessen Verse interpretieren. Als Parallele zum symbolischen Besuch Beethovens wollen wir nun den symbolischen Besuch Goethes organisieren, und zwar in Ge-stalt eines Goethe-Lichtobjektes an Hafis‘ Grab, wodurch der deutsche Dichter seinem persischen „Zwilling im Geiste“ begegnen würde. Eine vergleichbare Geste zeigt das im Jahr 2000 zum Internationalen Jahr des Dialoges der Kulturen errichtete Goethe-Hafis-Denkmal in Weimar (Partnerstadt von Shiraz). Zur Einweihung waren der damalige Bundespräsident Johannes Rau und der damalige iranische Präsident Mohammed Chatami anwesend. Besonders in Zeiten, in denen der Austausch auf politischer Ebene mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, hat die Zivilgesellschaft die Aufgabe aktiv zu werden, um die Verbindungen zu erhalten oder wiederherzustellen. Der ARTOLOG ver-steht sich daher als zivilgesellschaftliche Aktivität und freundschaftliche Verpflichtung, zur Völkerverständigung beizutragen. Die Entwicklung gemeinsamer Ausstellungen bedient sich digitaler Hilfsmittel. Digitalisierung ermöglicht uns den Austausch von Dateien, um sowohl unsere Objekte im Iran als Replik anfertigen zu lassen als auch Leinwandbilder iranischer Künstler in Deutschland zu drucken. Zudem nehmen soziale Medien eine wichtige Funktion wahr für den Austausch untereinander, über Grenzen hinweg.
Gemeinsam ist allen Werken des ARTOLOG der thematische Schwerpunkt „Der Mensch im Spiegel der Gesellschaft“. Die Un-terschiede zeigen sich nicht nur in der Technik und der individu-ellen Ausdrucksform der Künstlerinnen und Künstler. Sie resul-tieren vor allem aus der Verschiedenartigkeit ihres jeweiligen gesellschaftlichen und kulturellen Hintergrundes. Ein gleiches Anliegen realisiert sich also in verschiedenen Ausdrucksformen. Sie eint die gegenseitige vorbehaltlose Wertschätzung. Beteiligt sind im ARTOLOG einige Dozentinnen/-en und Professorinnen/-en der Kunstakademien Teheran und Shiraz, unter ihnen auch eine in Deutschland lebende iranische Künstlerin und Absolventin der Kunstakademie Shiraz, und von deutscher Seite die Künstle-rin Helga Berg (Dooremans) sowie meine Frau und ich, Ingrid und Knut Reinhardt.
Mit Blick auf unser zuvor bereits geschildertes Anliegen der Völ-kerverständigung drängt sich die Nähe zu Schillers „Ode an die Freude“ nahezu auf. Vertont in Beethovens Neunter Symphonie ist sie Basis und Rahmen des Projektes ARTOLOG sowie für alle unserer Deutsch-Iranischen Aktivitäten auch jenseits des ARTO-LOG.
Vielen Dank an Helga Berg, die das Interview freundlicherweise transkribiert und mit den Künstlern abgestimmt hat.
Ingrid Reinhardt wurde 1949 in Herford und Knut Reinhardt 1944 in Breslau geboren. Studium der Geografie, Technik, Physik, Mathematik und Kunst. Das Künstlerehepaar beschäftigt sich seit ca. 20 Jahren mit der Vernetzung der Bereiche Mathematik, Informatik, Technik und Naturwissenschaften in Kunstwerken, die in ihren Anfängen stark von den Punkt- und Linienstrukturen der australischen Ureinwohner inspiriert waren.
Interessiert sind sie besonders an Raumdarstellungen und Raumillusionen. Dabei verfolgen sie verschiedene Wege: Hinter-einanderstaffelung betropfter oder durchbohrter Glasscheiben zur Erzeugung eines räumlich wirkenden Objektes, Kugel, Kopf etc.; wiederholtes Betropfen von Punkten auf Leinwand zur Er-zeugung von „Stalagmiten“ = räumliche Objekte; verdichten und vereinzeln von Linien aus Acrylfarbe auf Leinwand, um Räum-lichkeit zu suggerieren. Ihre Themen und Ideen finden sie im All-tag und vor allem in naturwissenschaftlichen Erscheinungen. Ihr „Pinsel“ ist eine einzigartige Technik, die in einem eigens dafür erfundenen Farbauftragsverfahren aus Acrylfarbtropfen Bilder und Objekte generiert. Bei einer Variante entstehen „Stalagmiten“, die Tropfen für Tropfen in die 3. Dimension wachsen, bei einem anderen Weg wird Räumlichkeit durch Transparenz und Schattenwirkung suggeriert. Alle Objekte sind dreidimensional.