Katja Suding: „Ich musste mich für den Job immer weiter von mir selbst entfernen"
Katja Suding war eines der bekanntesten Gesichter der FDP, als sie aus der Politik ausstieg. Ein Gespräch über den Befreiungsschlag von der eigenen Karriere.
XING News: Sie waren eines der prominentesten Gesichter der FDP, als Sie der Politik völlig überraschend den Rücken gekehrt haben. Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie den Entschluss dazu gefasst haben?
**Katja Suding:**Ja, das war beim Mittagessen, im September 2020, als ich mich auf eine Parteitagsrede vorbereitete. Nach einem langen Denkprozess wusste ich auf einmal sehr genau, was ich dort sagen will: Ich werde 2021 nicht wieder für den Bundestag kandidieren.
Zu diesem Zeitpunkt waren Sie stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP und Landesvorsitzende der Partei in Hamburg. Was war passiert?
Suding: Ich habe elf Jahre lang einen Job gemacht, den ich wirklich geliebt habe. Ich war gewählte Abgeordnete und durfte mich den ganzen Tag mit Politik beschäftigen. Zugleich brachte mein Job von Anfang an Begleiterscheinungen mit sich, die für meine politische Karriere und meine Partei gut waren, für mich als Mensch aber schlecht.
Welche Begleiterscheinungen meinen Sie?
Suding: Als Politikerin steht man ständig in der Öffentlichkeit, das ist Teil des demokratischen Prozesses und auch richtig und gut so. Ich wäre aber lieber unsichtbar geblieben, den Auftritt und das Reden in der Öffentlichkeit habe ich nicht gemocht. Hinzu kamen innerparteiliche Auseinandersetzungen, die auch mal mit harten Bandagen geführt werden. Ich selbst mag es aber lieber harmonisch und konstruktiv. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich immer weiter von mir selbst entfernen muss, um diesen Job zu machen. Und deswegen habe ich schließlich gesagt, jetzt möchte ich einen anderen Weg gehen.
Ich habe mir nicht erlaubt zuzugeben, wie viele innere Widerstände ich für den Job überwinden muss
Von außen betrachtet verlief Ihre Karriere immer vorbildlich, geradezu glatt. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung?
Suding: Ich kam damals als Quereinsteigerin in die Politik, gewann die erste Wahl in Hamburg aus dem Stand, vier Jahre später wieder, mit noch schwierigeren Ausgangsbedingungen. 2013 war ich Teil des Teams, das die Rückkehr der FDP in den Bundestag mitorganisiert hat, wurde stellvertretende Fraktionsvorsitzende, dann stellvertretende Bundesvorsitzende. Ich konnte dadurch viel bewegen. Das hat mir alles Spaß gemacht. Und ich war ja sehr gut in meinem Job. Aber was viele Außenstehende nicht erkannt haben und ich mir auch selbst nicht erlaubt habe zuzugeben, waren die vielen inneren Widerstände, die ich überwinden musste, um diesen Job zu machen.
--------------------------------------------------------------------------------------------------------
Weitere Interviews und Gastbeiträge aus der Rubrik "Meine Karriere, mein Weg" gibt es hier:
Was TV-Moderator Daniel Aminati aus seiner Zickzack-Karriere gelernt hat
"Zurück ins Büro? Das geht jetzt nicht mehr!“ – tausche Konzernkarriere gegen Weinberg
Lieber Sauerteig statt Shortselling - wie ich vom Vermögensverwalter zum Bäcker wurde
---------------------------------------------------------------------------------------------------------
In Ihrem Buch beschreiben Sie aufrüttelnde Momente, etwa wie Sie sich gewünscht hätten, die Treppe herabzustürzen, um keine Rede halten zu müssen. Warum haben Sie nicht viel früher auf die Bremse getreten?
Suding: Solche Gedanken hatte ich oft. Zugleich habe ich in meinem Job sehr viel zurückbekommen. Ich habe ein extremes Leben geführt, in dem unglaublich tolle und unglaublich schrecklich Momente in schnellem Wechsel ganz dicht beieinander lagen. Da war wenig Zeit, in mich hineinzuhören.
Gab es einen entscheidenden Moment, ab dem Sie wussten: das alles lohnt sich nicht?
Suding: Nein. Ich habe mir über die Jahre einen Panzer zugelegt, der vieles an mir hat abperlen lassen. Und ich hatte Gewissenbisse, Wählerinnen und Wähler zu enttäuschen. Ich habe mir zudem Sorgen gemacht, wie es finanziell weitergehen würde, sollte ich aussteigen. Ich hatte ja kein Jobangebot, das auf mich wartete. Kurzum: Das war ein sehr, sehr langer Prozess, bis ich die Reißleine ziehen konnte.
Ich wusste in diesem Moment, dass ich völlig frei und sicher mit meiner Entscheidung war.
Was haben Sie konkret gemacht, um mehr Klarheit für sich zu gewinnen?
Suding: Zum ersten Mal kamen mir Anfang 2020 echte Zweifel, ob ich wirklich noch einmal zur Wahl antreten möchte. Aber ich habe die erst einmal beiseitegeschoben. Das war meine Strategie, ich hatte keine Lust und keine Zeit, mich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Bis dann mein Körper gestreikt hat. Und dann musste eine Entscheidung her.
Was war konkret passiert?
Suding: Ich wurde krank, drei Wochen lang. Ich konnte nicht ins Parlament und habe mich für zwei Sitzungswochen entschuldigen lassen. Das war das erste Mal in elf Jahren, dass ich nicht erschienen bin. Ich bin sonst auch mit Fieber ins Büro gegangen. Ich habe dann ein Seminar zur Motivforschung, also über Glaubensgrundsätze und kindliche Prägungen, besucht. Das hat mir viel Klarheit gebracht. Und dann habe ich mich einfach ein paar Wochen treiben lassen. Bis das mit dem Mittagessen passierte.
Wie hat sich das in dem Moment angefühlt?
Suding: Es hat mir einen unglaublichen Frieden gegeben, mich in eine Hochstimmung versetzt. Ich wusste in diesem Moment, dass ich völlig frei und sicher mit meiner Entscheidung war. Und das bin ich bis heute.
Hatten Sie keine Angst vor dem Statusverlust?
Suding: Natürlich hatte ich mir darüber Gedanken gemacht, wie es sein würde, wenn das Kürzel MdB, also Mitglied des Bundestags, und all die Privilegien, die damit einhergehen, wegfallen. Am Ende ist dieser Status aber nur ein gefühlter. Es ist nichts, was mich als Menschen ausmacht.
Der Untertitel Ihres Buches lautet, 'wie ich mich selbst verlor und wiederfand'. Wen genau haben Sie wiedergefunden?
Suding: Mich. Die Katja, die ich mal war, mit meinen Wünschen, Träumen und Zielen. Ich führe jetzt das Leben, das zu mir passt. Ein Leben mit viel Flexibilität, mit Freiheit, mit Herausforderungen, aber auch mit ganz viel Spaß und Lebensfreude.
Manche haben mir gesagt, dass sie mich für meinen Mut bewundern
Welche Tipps haben Sie für Menschen, die in einer ähnlichen Situation stecken wie Sie damals?
Suding: Ich habe mich früher oft verglichen mit Parteifreunden, mit Kolleginnen aus der Fraktion. Die haben ihre Reden scheinbar mühelos gehalten, haben das sogar genossen. Der einzige Weg, um rauszufinden, was man in seinem eigenen Leben wirklich machen möchte, ist aber, die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Fähigkeiten zu reflektieren. Das findet man nicht im Außen und man muss das Auf-die-anderen-Schauen abstellen, um die innere Stimme hören zu können.
Wie haben Ihre Parteikollegen und -Kolleginnen auf Ihr Buch reagiert?
Suding: Ich habe Feedback von vielen Menschen erhalten, nicht nur aus der Politik. Von Menschen, die selbst viel in der Öffentlichkeit stehen und die gesagt haben, dass sie meinen Mut bewundern, weil sie ihn selbst nicht aufbringen, auszusteigen. Aber auch von Menschen abseits der Öffentlichkeit, die einfach an einem Punkt im Leben sind, an dem sie sich fragen, ob sie noch richtig sind, wo sie stehen. Corona, diese Vollbremsung, die viele Menschen machen mussten, war in der Hinsicht ein echter Katalysator für viele von uns.
Sie wären jetzt wahrscheinlich Ministerin, wären Sie in der Politik geblieben. Vermissen Sie Ihr altes Leben?
Suding: Ich bin nach wie vor ein politischer Mensch und verfolge intensiv, was in Berlin und auf der Welt passiert. Ich bin noch im Kontakt mit meinen Parteifreunden, aber auch mit Weggefährten aus anderen Parteien und Fraktionen. Und ja, die Menschen vermisse ich schon, meine Mitarbeiter, mein großartiges Team. Meinen früheren Job aber vermisse ich nicht.
Um Ihr Buch zu bewerben, müssen Sie wieder raus in die Öffentlichkeit. Ist das nicht ein Widerspruch?
Suding: Ja, das ist es tatsächlich. Und auch darüber habe ich mir Gedanken gemacht. Das ging so weit, dass ich mir kurz vor Abgabe des Manuskripts noch mal überlegt habe, es sein zu lassen. Ich bin froh, dass ich es doch eingereicht habe. Denn diesmal ist es ganz anders. Es ist zeitlich begrenzt und als Autorin bin ich selbstbestimmt, mit wem ich spreche und in welchem Umfang.
Können Sie sich eine Rückkehr in die Politik vorstellen?
Suding: Man soll nie Nie sagen. Aber ich kann es mir überhaupt nicht vorstellen.
Das Interview führte XING News Chefredakteurin Astrid Maier
Katja Suding, geb. 1975, arbeitete nach einem Studium der Kommunikations- und Politikwissenschaft lange Jahre als selbständige Kommunikationsberaterin, bevor sie 2011 in die Politik ging. Sie war von 2011 bis 2017 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und Vorsitzende der FDP-Fraktion sowie von 2014 bis 2021 Landesvorsitzende der FDP Hamburg. Von 2015 bis 2021 war sie auch stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei und von 2017 bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und dort stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP. 2021 beendete sie ihre politische Laufbahn. Warum und wie genau, beschreibt sie in ihrem Buch Reißleine aus dem Herder Verlag.