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Klimawandel im Vatikan? Die Sorge für das gemeinsame Haus

In seiner ersten Umwelt-Enzyklika „Laudato Si" („Über die Sorge für das gemeinsame Haus"), die Umweltaspekte, Ethik, Politik und Religion verbindet, charakterisierte Papst Franziskus 2015, wie es mit unserer Erde und uns „bestellt" ist. Die nachhaltige Kraft der Enzyklika liegt u.a. darin, dass in der ganzheitlichen Ökologie, wie sie Franziskus hier darlegt, soziale und ökologische Gerechtigkeit zusammengedacht werden müssen. Charakterisiert werden die aktuellen Probleme als negative Folgen der heutigen „Wegwerfgesellschaft": Umweltverschmutzung, voranschreitender Klimawandel, Ressourcenknappheit, Rückgang der Biodiversität, sozialer Zerfall, zunehmende Gleichgültigkeit und Ohnmacht. Es geht darum, über das Weltgemeinwohl nachzudenken, zu dem vor allem Gerechtigkeit und eine Umkehr des Denkens gehören. Der „unverantwortliche Gebrauch und Missbrauch" der Natur schade vor allem den Entwicklungsländern.

Nachhaltigkeit als christliche Schöpfungsverantwortung

Anfang der 1970er-Jahre, als der Club of Rome auf die „Grenzen des Wachstums“ aufmerksam machte, wurden auch christliche (und sogar päpstliche) Stimmen laut, welche die mit der Industrialisierung verbundene Ausbeutung und Schädigung der Natur beklagten. Seitdem stellte sich den Christen beider Konfessionen die Frage, wie sich Fortschritt mit der Bewahrung der Schöpfung vereinbaren lässt. Die biblischen Schöpfungsberichte des Alten Testaments lassen zwei Perspektiven erkennen: In Genesis 1,28 heisst es: „Macht euch die Erde untertan.“ Im jahwistischen Bericht von Genesis 2,15 steht allerdings, dass man die Erde „bebauen und bewahren“ solle. Beide Stränge sollten von Christen beachtet werden, auch wenn sie widersprüchlich erscheinen.

Gott nimmt den Menschen schon im Paradies in die Pflicht, der Erde mit Ehrfurcht zu begegnen und schonend mit ihr umzugehen.

„Dann legte Gott im Osten, in der Landschaft Eden, einen Garten an. Er ließ aus der Erde alle Arten von Bäumen wachsen. Es waren prächtige Bäume und ihre Früchte schmeckten gut. Dorthin brachte Gott den Menschen, den er gemacht hatte. (…) Er übertrug ihm die Aufgabe, den Garten zu pflegen und zu schützen.“ (1. Mose 2, 8-15) Mit diesem Gebot ist in der Bibel ein Urtext von Nachhaltigkeit formuliert. Der Mensch ist verantwortlich, die Erde zu bebauen, d. h., sie zu kultivieren, zu einem bewohnbaren Lebensraum zu gestalten und als solchen zu bewahren (1. Mose 2,15). Viele Texte in der Bibel werben für eine kluge Haushalterschaft. Das, was den Menschen von Gott an materiellen Ressourcen anvertraut ist, soll zur Sicherung und Pflege des eigenen Lebens und zum Nutzen aller in wirtschaftlicher Weise eingesetzt werden. Dem Theologen Johann Gottfried Herder war der biblische Begriff von „Haushalt“, nämlich „oikos“, Haus Gottes, bewusst. Nachhaltigkeit beruht auf dem Vertrauen in das „Vermögen der Erde“ zur „Organisation und Erhaltung der Geschöpfe“, und zwar „in Permanenz“.

Papst Franziskus kritisiert auch, dass die Länder mit den größten Ressourcen am wenigsten für einen ökologischen Wandel tun.

Seine Kritik betrifft ebenso die Blockadehaltung der Wirtschaft und die mangelnde Empathie des Einzelnen. Diese Enzyklika ist demnach weit mehr als eine Umweltenzyklika, weil sie innere Zusammenhänge verschiedener Krisen analysiert, welche die Welt derzeit immer unruhiger und instabiler machen. In Ziffer 48 schreibt er: „Die menschliche Umwelt und die natürliche Umwelt verschlechtern sich gemeinsam, und wir werden die Umweltzerstörung nicht sachgemäß angehen können, wenn wir nicht auf die Ursachen achten, die mit dem Niedergang auf menschlicher und sozialer Ebene zusammenhängen. Tatsächlich schädigen der Verfall der Umwelt und der der Gesellschaft in besonderer Weise die Schwächsten des Planeten.“ Jeder Mensch, so die Botschaft, kann als Werkzeug Gottes an der Bewahrung der Schöpfung mitarbeiten und von seiner Kultur, seiner Erfahrung, seinen Initiativen und seinen Fähigkeiten ausgehen. Um das zu tun, brauchen wir Demut, Dankbarkeit und Empathie. Es sind die „einfachen" Menschen, die die Worte des Papstes verstehen und die tief berührt sind. Er betont die Bedeutung der Empathie, weil sie den „anderen" fehlt.

Empathie ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die wir brauchen, um eine lebenswerte Zukunft zu schaffen.

Denn nur dadurch sind wir in der Lage, dem Sein eines anderen Menschen begegnen, seine zu Integrität erfahren und das Wesen einer Situation spüren. Empathische Menschen können vielleicht auch besser beten, weil sie sich auf die Kraft des Wesentlichen fokussieren. Franziskus Ansatz erinnert aber zugleich auch an den afrikanischen Spruch: „Wenn du betest, beweg deine Füße." Ein Gebet ohne Handeln bleibt wirkungslos. Nachhaltigkeit braucht einen beweglichen Geist. Das lebt auch Franziskus vor: So werden im Vatikan, wo täglich bis zu sechs Tonnen Müll anfallen, Abfälle sauber getrennt. Die Audienzhalle verfügt über ein Solardach, die Wand- und Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle sind mit LED-Leuchten ausgestattet, und Dienstwagen haben unter Franziskus weniger Hubraum. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie Franziskus seinen Fokus auf das Machbare in der Gegenwart legt und Nachhaltigkeit in einem Rahmen umsetzt, der ihm möglich ist.

Prozesse zählen für Papst Franziskus mehr als Positionen.

Ende 2015 hat er das mittlere Management der Kurie „zusammengefaltet“ und ihm „15 Krankheiten“ vorgehalten, zu denen u. a. der „Terrorismus der Gerüchte“ und die „Pathologie der Macht“ gehören. Er geißelte Seilschaften, Eitelkeit und Luxussucht. Der Mann aus Argentinien schockiert Stab und Kurie, weil er mit Konventionen bricht und in frommer Provokation sagt, was er denkt. Als erster Papst nahm er keinen „Urlaub“, ging nicht in den Bergen spazieren, fuhr nicht Ski und nahm keine Aus-Zeiten im eigenen Sommersitz in Castelgandolfo. Es lag ihm daran, dass jeder den radikalen Wandel an der Spitze der Kirche sehen sollte: So weigerte er sich, in den apostolischen Palast einzuziehen, lässt sich im Kleinwagen fahren, trägt ein einfaches Brustkreuz aus Eisen und verzichtet darauf, seine Aktentasche von einem Sekretär tragen zu lassen. Während der Messfeiern im Petersdom meidet er Prunk, im Alltag verzichtet er auf einen eigenen Koch und einen Kammerdiener. In der Mensa des Gästehauses des Vatikans setzt er sich wie ein normaler Besucher an einen der (nicht reservierten) Tische. Nach der Wahl schaffte er die Panzerglasscheiben am Papamobil ab. All dies ist nachzulesen in der Bildbiografie „Franziskus. Ein Lebensbild“ von Andreas Englisch, der seit fast drei Jahrzehnten in Rom lebt und als einer der bestinformierten Journalisten im Vatikan gilt. Er folgt den Lebensstationen des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio, der als streitbarer Jesuit zum ersten Papst vom amerikanischen Kontinent aufstieg.

Diese Biografie zeigt am Beispiel von Papst Franziskus auch, dass wir in einer Könnensgesellschaft Übersetzungshandwerker wie diesen Papst brauchen, um Gott als einen tätigen Gott wahrzunehmen. Der Mann der kleinen Leute wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf und bewunderte die sozialen Reformen der Ära Peron. Er glaubt, dass der Dritte Weltkrieg der Reichen gegen die Armen geführt wird - mit aller Härte und Tausenden von Opfern. Und er ist davon überzeugt, dass er in seiner Funktion als Papst etwas verändern kann, auch wenn ihn viele dafür belächeln, da er nur das Oberhaupt eines Staates ist, der ein paar Fußballfelder groß ist. Er hält das Streben nach Wachstum für verfehlt und fordert von den Industrienationen, darauf zu verzichten. Dass ungerechte Weltwirtschaftssystem macht er sogar verantwortlich für Krieg und Terror. Die Gläubigen lieben ihn wegen seiner Volkstümlichkeit. Er sucht ihre Nähe, geht aber auf Distanz zum unbeweglichen Apparat, gegen dessen Langsamkeit und Selbstherrlichkeit er ankämpft. Das bringt viele Kritiker gegen ihn auf. Möge Franziskus‘ Bitte an den Herrn erhört werden: „Dass dieser Wandel nicht wie ein Licht erlischt.“

Weiterführende Informationen:

  • Andreas Englisch: Franziskus. Ein Lebensbild. C. Bertelsmann Verlag, München 2016.

  • Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin 2020.

Kommentare

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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