Leistung neu denken: Wie wir wieder lernen, uns anzustrengen
Die Wissens- und Komplexitätsgesellschaft braucht „selbstmotivierte Hochleister“, für die Engagement und selbstbestimmtes Handeln nicht Last, sondern Lust bedeuten, schreibt der Wirtschaftspublizist Wolf Lotter in seinem aktuellen Buch „Strengt euch an!“ Leistung muss neu gedacht werden. Das Thema beschäftigte ihn schon im Jahr 2008 im Wirtschaftsmagazin brand eins, in dem er darauf verwies, dass wir in Zeiten des Wohlstands leben, in denen es immer schwieriger wird, Leistung nach alten Kriterien zu messen. Die kalkulierbare und berechenbare Leistung von einst prägt den Begriff der Leistungsgesellschaft, der in Deutschland in den sechziger Jahren auftaucht - in einer Zeit, in der Leistung noch „handfest“ und sichtbar war (Wiederaufbauleistungen der Nachkriegsgeneration, Autos, Essen). Im Gegensatz zur Muss-Leistung (früher) ist die neue Leistung eine Kann-Leistung, die im Wesentlichen im Nachdenken besteht.
Wo die Wege neu sind, muss es auch das Denken sein. Allerdings ist Wissensarbeit (auch intellektuelle Tätigkeit und Geistesleistung) nicht mehr mit alten Maßstäben zu messen und zu beurteilen. „Die neue Leistung verlangt nach exakter Differenzierung. Damit aber steigt das Maß an Komplexität enorm. Jede Leistung muss an und für sich beurteilt werden nach dem zu erwartenden Nutzen, den sie stiftet“, schrieb Lotter schon 2008. Viel hat sich allerdings bis heute nicht geändert, denn noch immer werden Menschen, die mit dem Kopf arbeiten, für weniger leistungsfähig erklärt. Leistung soll sich heute möglichst schnell zeigen (in Umsatz, Stückzahl, Quartalsgewinn, Aktienkursen). Das Nicht-Nachhaltige ist mit Frust statt Lust verbunden. In seinen Publikationen verweist Lotter immer wieder auf das Buch des amerikanische Psychologen Mihaly Csikszentmihalyi "Flow ", in dem er beschreibt, dass Anstrengung auch lustvoll sein und Erfüllung bringen kann. Wer im Flow ist, bemerkt die Zeit nicht und macht einfach, ohne dass Anstrengung überhaupt bemerkt wird. Auch der Verhaltensbiologe Felix von Cube, der das Buch "Lust an Leistung" schrieb, gehört zu seinen Anhängern. Der Wohlstand der Gegenwart ist für ihn die Hauptursache für das schiefe Leistungsbild: "Wer strengt sich noch an, wenn er die Lust der Triebbefriedigung auch ohne Anstrengung erleben kann?" Die Leistungsgesellschaft ist für ihn in Wirklichkeit eine "Verwöhngesellschaft".
„Die neue Leistung lebt im Grunde von etwas, das immer schon der Antrieb war, sich mehr anzustrengen als unbedingt nötig: der Neugier, wie weit wir gehen können, der Neugier, was dabei herauskommt.“ Das bestätigt auch der Unternehmer Matthias Krieger, der schon als Kind Olympiasieger werden wollte und hart dafür trainiert hat. Viele Jahre betrieb er Hochleistungssport, bis er seinen Traum wegen gesundheitlicher Probleme aufgeben musste und sich ein neues Ziel setzte: das beste Bauunternehmen Deutschlands zu werden (in Bezug auf Kunden- und Mitarbeiterbegeisterung). Das ist ihm 2013 gelungen, als ihn die TU München auszeichnete. Der Begriff Leistung ist in allen Bereichen des Unternehmens prägend: Es geht um die Übereinstimmung der Kultur der Leistung, Professionalität und Effektivität der Organisation, um eine leistungsorientierte Wertekultur, die mit Leistungswillen und Leistungsorientierung gepaart sein muss, damit sich nachhaltiger Erfolg einstellen kann. Langfristig möchte Krieger in einen sechsten Standort in Deutschland investieren und nachhaltige Wachstumsstrategien weiterverfolgen: „Das Potential und die Leistungsfähigkeit dafür haben wir in jedem Fall. Zudem werden wir auch weiter die digitalen Möglichkeiten und Technologien nutzen.“ Am Beispiel des Baudienstleister und Projektentwicklers Krieger + Schramm (K+S) zeigt sich in besonderer Weise die Bedeutung „handfester“, greifbarer Arbeit und zukunftsweisender Wissensarbeit sowie ihre Übergänge.
Leider fehlt in unserer (Ab-)Sicherheitsgesellschaft vielen Menschen der innere Antrieb (intrinsische Motivation), sich selbst zu Höchstleistungen anzuspornen, weil es zuweilen viel angenehmer ist, nach den Vorgaben anderer zu arbeiten. Geld und Wille sind auch keine hinreichende Bedingung für hohe Leistung. Es braucht auch Leistungsfähigkeit (Können, Erfahrung, Talent). Viele Unternehmen versuchen, ihre Mitarbeitenden zu motivieren, indem sie mit Geld Anreize schaffen. Der Managementberater Reinhard Sprenger lehnt das kategorisch ab und sagt, dass die Mitarbeitenden als Erwachsene nicht ernst genommen werden: „Niemand braucht betreutes Arbeiten.“ Wie Wolf Lotter plädiert auch er dafür, sich selbst und andere als selbstbewusst handelnde, eigenverantwortliche Subjekte zu sehen. Im Jahr 1991 erschien sein Buch „Mythos Motivation“, in dem er gängige Vorstellungen gegen den Strich bürstete. Er bezweifelte den Mythos, dass sich mit Unterstützung diverser Anreize Mitarbeitende in „Leistungswunder“ verwandeln ließen. Langfristig zerstören sie nämlich den Eigenantrieb. Unternehmen sollten für Bezahlungssysteme sorgen, die jede Form der extrinsischen Motivation vermeidet. Gerade ist die limitierte Sonderausgabe seines Buches erschienen, das die kritische Auseinandersetzung neu beleben und dafür plädieren soll, dass Mitarbeitende selbst Verantwortung übernehmen und nicht auf Belohnung warten:
Statt auf Zielvereinbarungsgespräche zu setzen, sollte mehr auf Vertrauen gebaut werden, denn nur dies würde Mitarbeitende wirklich motivieren und anspornen, selbst zu denken, kreativ zu werden und eigene Ideen zu entwickeln. Wirklich motiviert ist, wer sein Handeln als sinnvoll erlebt und seinem Leben Inhalt und Richtung gibt. Doch Sinn muss von jedem selbst gefunden werden. Dabei ist das Buch „Strengt euch an!“ von Wolf Lotter ein wichtiger Wegweiser, auf dem die Zeilen des Gedichts „Wahrnehmung“ (1949) von Bertold Brecht verzeichnet sind: „Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns / Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.“ Die Mühen des Gebirges stehen für ihn für die alte Arbeitswelt, (handfestes Tun und transparente Leistungen). Die Mühen der Ebene fordern uns hingegen heraus, uns selbst Orientierung zu geben und aus Komfortzonen heraus Ziele zu schaffen. Dabei wird die intellektuelle Qualität zum „Maßstab für Leistung.“
Der Mensch auf der Suche nach Sinn: Zur Aktualität von Viktor Frankl
Wolf Lotter: Strengt euch an! Warum sich Leistung wieder lohnen muss. Ecowin Verlag, Salzburg 2021.
Matthias Krieger: Die Lösung bist Du! Was uns wirklich voranbringt. BusinessVillage Verlag, Göttingen 2011.
Reinhard K. Sprenger: Mythos Motivation. Wege aus einer Sackgasse. Mit Karikaturen von Thomas Plaßmann. Sonderausgabe. Campus Verlag Frankfurt/New York 1991/2021.
Reinhard K. Sprenger: Gut aufgestellt. Fußballstrategien für Manager. Frankfurt/New York 2008.