„Mach das, wovon du träumst!“
Ein Porträt des Managers Reiner Meutsch, der nach einer verlorenen Liebe Glück darin fand, anderen zu helfen. Und wie wichtig es ist, auf sein Bauchgefühl zu hören. So hatte er Erfolg.
Im Januar 2010 startete der Manager Reiner Meutsch mit seinem zweimotorigen Kleinflugzeug, einer Piper Cheyenne I, im Siegerland in Südwestfalen und legte innerhalb von zehn Monaten 100.000 Flugkilometer quer über den Globus zurück. Er sah nicht nur faszinierende Landschaften, sondern auch die Gegensätze zwischen Arm und Reich. Vor allem das Schicksal der Kinder, denen das Recht auf Bildung bisher verwehrt war, berührte ihn sehr. So initiierte er noch während seiner Weltumrundung die ersten fünf Hilfsprojekte, bei denen Schulen, Kindergärten und andere Bildungseinrichtungen in Ghana, Ruanda, Indien, Indonesien und Brasilien gefördert werden. Er sah, dass Menschen, „die nicht wissen, was sie morgen zu essen haben, trotzdem lachen, sich hinsetzen und sich Zeit nehmen, um ihre Sorgen und Erfahrungen zu teilen. Das ist mir nur gelungen, weil ich losgelassen, etwas Neues begonnen habe und offen war für das, was ich tue.“
Im gleichen Jahr musste er den größten Rückschlag seines Lebens verkraften. Nach 28 Jahren Ehe sagte ihm seine Frau, dass sie sich von ihm trennen wolle. „Die Familie nicht zusammenhalten zu können, war die größte Niederlage meines Lebens.“ Dann der Neuanfang mit Anfang Fünfzig: „Ich hatte die Firma verkauft, die Weltumrundung geschafft – was mach’ste jetzt mit deinem Leben? Dann habe ich gemerkt, dass es mich glücklich macht, anderen Menschen zu helfen, besonders, in diese Kinderaugen zu sehen.“ Rückblickend ist er davon überzeugt, dass er nur durch seine verlorene Liebe sein ganzes Herzblut in die Stiftung stecken konnte. Sein Leben hat der Sohn eines Westerwälder Busunternehmers immer in Phasen gelebt.
Wenn er zweifelte, und ihm sein Bauch signalisierte „Tu es“, dann begann er zu handeln: „Man darf nicht zu lange hadern und überlegen. Manchmal muss man es auch einfach tun und ausprobieren, ob es funktioniert.“ Ihn spornte immer der Satz von Hermann Gmeiner an, der nach dem Zweiten Weltkrieg die SOS-Kinderdörfer gründete: „Alles Große in unserer Welt geschieht nur, weil jemand mehr tut, als er muss.“ Meutsch ist sich bewusst, dass man ins Handeln kommen muss, um etwas zu bewegen – gemäß der Redewendung: „Die Erinnerungen, die du später haben willst, musst du jetzt in die Tat umsetzen.“
Zunächst absolvierte Reiner Meutsch eine Ausbildung zum Verwaltungsangestellten und leitete ab 1979 Leitung des väterlichen Busunternehmens MESO-Touristik. Von 1989 bis Juni 2009 war er Geschäftsführender Gesellschafter des Reisedirektanbieters Berge & Meer Touristik GmbH. 1986 begann er parallel seine Moderatoren-Karriere beim Radiosender RPR1., bei dem er seitdem wöchentlich seine eigene Sendung MEIN ABENTEUER leitet und moderiert. Seit 2003 besitzt er die Privatpiloten-Lizenz und seit 2009 die HPA-und Helikopter-Lizenz. 2014 wurde er für seine Verdienste mit dem Columbus-Ehrenpreis der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten ausgezeichnet, 2020 erhielt er das Bundesverdienstkreuz.
Reiner Meutsch war bei der Bundeswehr, wo er eine Ausbildung als Hubschrauberpilot begann, und stieg dann in den elterlichen Busbetrieb seines Vaters ein. „Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie hart das war, überhaupt Geld zu verdienen.“ Oft wusste die Familie nicht, ob es Weihnachten Geschenke gab, denn das Busgeschäft war sehr volatil. Im Sommer waren viele Menschen unterwegs – deshalb funktionierte auch der Linienverkehr. Im Winter gab es allerdings kein Geschäft. So erfand er mit seinem Vater und seinem Bruder die berühmten Touren nach Lloret de Mar: zehn Tage Vollpension für 299 Mark. Auf diese Weise konnte die Liquidität gesichert werden. Die Llorett-de-Mar- und Potoroz-Touren sicherten kontinuierliche Einnahmen.
In jungen Jahren konnte er seinem Bauchgefühl allerdings noch nicht recht trauen.
Das zeigte sich beispielsweise darin, dass er im Unternehmen nie aus seiner Haut herauskonnte, weil er immer Flugreisen anbieten wollte. Heute sagt er deutlich, was er möchte und was ihm wichtig ist. „Ich vergeude keine Zeit für irgendwelches dummes Gelaber. Da warst du als 20- oder 30-Jähriger ohne die notwendige Lebenserfahrung anders. Da hast du viele Stunden und Tage mit Leuten verbracht, was eigentlich sinnlos war. Ich umgebe mich mit Menschen, mit denen ich mich wohlfühle.“ Erst mit knapp dreißig Jahren hörte er auf sein Bauchgefühl und verließ das Unternehmen, um bei seinem Freund Klaus Scheyer seinen beruflichen Werdegang fortzusetzen. Dieser hatte ein Geschäft, das vor allem Reisen nach Korsika organisierte. Nach drei Monaten, 1989, sagte er, dass es mit der Vision des Direktvertriebs von Reisen irgendwann möglich ist, die Nummer eins in Deutschland zu werden. Diese Vision erzählte er auch seinem Vater am Totenbett und erklärte ihm, was er mit der Firma "Berge & Meer" vorhat. Sein Vater, der in seinem Leben fast nie gereist war und mit nur 58 Jahren starb, machte ihm Mut: „Mach das, wovon du träumst!“
Als sein Freund und er das Unternehmen verkauft hatten, sagte Klaus Scheyer in seiner Verabschiedungsrede: "Reiner hat einmal gesagt, dass wir die Nummer eins werden in dem Segment, das wir bedienen. Da habe ich ihn fast ausgelacht." Doch beide sind die Nummer eins geworden und bauten als erste einen Reiseveranstalter auf, der den Direktvertrieb an den Kunden über Tchibo, über Aldi, über RTL und Zeitungen betrieb. Auch waren sie die ersten mit einem Call-Center in Deutschland.
Die Unternehmenskultur ist in Zeiten des demografischen Wandels von besonderer Bedeutung.
Sie zu pflegen und dafür Sorge zu tragen, dass sie mit der Kultur der Leistung, Professionalität und Effektivität der Organisation übereinstimmt und zu deren Funktionieren beiträgt, ist eine der wichtigsten Managementaufgaben der Zukunft. Gewinnmaximierung stand bei Reiner Meutsch nie im Fokus – ihm war wichtig, dass die Mitarbeiter glücklich sind und gern für das Unternehmen arbeiten, sich mit den Unternehmenszielen identifizieren und mit Elan bei der Sache sind (heute gilt das auch für seine Stiftung). Das funktioniert nur mit einem guten Arbeitsklima und der Möglichkeit, dass alle Beteiligten eigene Ideen einbringen dürfen. Meutsch war sich immer bewusst, dass viele hierarchische Ebenen die Produktivität verhindern und den Mitarbeitern auch eigene Handlungsspielräume eingeräumt werden müssen, „so dass nicht jede Entscheidung durch fünf verschiedene Hände gehen muss.“ Starke Kontrolle, Hierarchiedenken und starre Arbeitszeitmodelle weichen heute der „Forderung nach einer offenen und dialogorientierten Unternehmenskultur“, bestätigt auch Werner Neumüller, Personalexperte und Geschäftsführer der Neumüller Unternehmen.
Er ist davon überzeugt, dass die Zeit der Kontrolle und des autoritären Führungsstils mit der Generation Y und der neuzeitlichen Denkweise zunehmend vorbei ist. Seinen Mitarbeitern werden beispielsweise Angebote gemacht, mehr Geld für mehr oder bessere Leistung zu verdienen, ohne sie mit Nachdruck dazu anzuhalten: „Jeder kann so größtenteils auf seinen Verdienst und seine berufliche Weiterentwicklung sowie zukünftige Position im Unternehmen selbstbestimmt Einfluss nehmen. Manche entscheiden sich für ein jeweiliges Mehr und arbeiten engagiert darauf hin. Andere definieren sich aus Werten außerhalb des Beruflichen und entscheiden sich für mehr Freizeit.“ Zusätzlich werden Arbeitnehmern Möglichkeiten zur gesundheitlichen und psychischen Entlastung u.a. durch Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) angeboten.
Wie Reiner Meutsch sieht er Mitarbeiter mehr als Familienmitglieder. Menschen sind für ihn nicht wie im kapitalistischen Sinn „Produktionsgüter“, mit denen man Gewinnmaximierung betreibt, sondern Individuen, die ein Recht auf Beschäftigung bis in das Rentenalter haben. Kerngeschäft des Unternehmens ist die Rekrutierungsunterstützung über die Personaldienstleistung vor allem im akademischen Umfeld und bezüglich Ingenieurqualifikationen.
Seit vielen Jahren unterstützt Neumüller die Stiftung FLY & HELP von Reiner Meutsch. Hauptziel der 2009 von ihm gegründeten Stiftung ist die Förderung von Schulbildung. Mit Hilfe der Spenden errichtet sie neue Schulen in Entwicklungsländern. Alle Spendengelder fließen 1:1 in die Projekte, da Reiner Meutsch alle Kosten der Stiftung privat trägt bzw. diese durch Sponsoren finanziert werden. Die Vermittlung und das Engagement des gemeinnützigen Engagements ist auch ein zentraler Kulturbestandteil der Neumüller Unternehmen. Sie können allerdings nicht verordnet, sondern nur von innen gelebt werden. Kein Unternehmen ist überlebensfähig, wenn es nicht ein stabiles Wertegerüst hat, das auf einem tragfähigen und soliden Fundament basiert. Wertschätzung, Offenheit, Zuverlässigkeit und Mitbestimmung sind wie ein Planetensystem, das um eine Sonne kreist.
Werte tragen bei Neumüller wesentlich zur Erneuerung der inneren Haltung und Kultur von allen Beteiligten bei. Dafür braucht es eine effektive Entscheidungskultur (bei der auch das Bauchgefühl nicht zu vernachlässigen ist) und Rahmenbedingungen, innerhalb derer Mitarbeiter und Führungskräfte ihr Handeln als sinnvoll erachten. Der Erfolg von Reiner Meutsch und Werner Neumüller basiert aber auch auf Teamarbeit. Beide eint zudem die Überzeugung, dass sich Profit und Sinnstiftung nachhaltig miteinander verbinden lassen, wenn gesellschaftliches Engagement kein Marketing-Gag oder Selbstzweck ist.
Weiterführende Literatur:
Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller: Antrieb der Wohltäter: FLY & HELP: Wie sich sinnstiftende Unternehmer von anderen abheben von Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Sylvia Jost: KINDERLACHEN. Vom Glück, lernen zu dürfen. Länder, Menschen und Geschichten von FLY & HELP. Eigenverlag, Prime Promotion GmbH, Kroppach 2019.
Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.
Reiner Meutsch: „Tu es!“ Wie mit FLY & HELP das Gute in die Welt kommt. In: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler. Heidelberg, Berlin 2018.