Männer haben schlechte Tage, Frauen sind hysterisch
Ein kritischer Blick auf Emotionen und Geschlechterrollen im Business.
Einen meiner besten Freunde lernte ich in einer ungewöhnlichen Situation kennen: Wir standen uns in einem Yogastudio gegenüber und brüllten uns an. Danach gingen wir bestgelaunt zusammen Kaffee trinken. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Wir hatten uns nicht gestritten, sondern an einem Theaterworkshop teilgenommen. Die dort durchgeführte Schrei-Übung war ein prägendes Erlebnis, das mir im Nachhinein eine tiefere Einsicht in die Dynamik von Führung und Emotionsmanagement gab.
Vor der Theaterklasse war ich das letzte Mal als Kind im Kampfsportverein laut geworden. Und auch hier wieder nur, weil ich von meinen Trainern liebevoll gezwungen wurde: Kampfschreitraining – für mich mit Abstand die schlimmsten Trainingseinheiten. Burpees, Liegestütze, Kniebeugen: Alles war besser als das. Klar, auch ich bin mal wütend. Allerdings hatte ich nie gelernt, meiner Wut Ausdruck zu verleihen und mal richtig Dampf abzulassen. Ich hatte nie gelernt, laut zu werden. Ich vermute, es hat etwas mit sozialer Prägung zu tun: „Mädchen machen sowas nicht, das gehört sich nicht …“
Stereotype über Bord werfen
Auch in der Geschäftswelt beobachte ich diese doppelten Standards: Wenn eine Frau laut wird, wird sie als hysterisch oder überemotional abgetan. Ein Mann in derselben Situation gilt dagegen als durchsetzungsstark oder einfach nur als gestresst. Diese Klischees nerven, sind frustrierend – und untergraben die Wirksamkeit weiblicher Führungskräfte. Es wäre toll, wenn wir in 2024 einiges über Bord werfen könnten – solche Stereotype zum Beispiel! Ehrlich gesagt, Wut kann eine mächtige Triebfeder sein, wenn man sie richtig nutzt. Es geht nicht darum, die Kontrolle zu verlieren oder unprofessionell zu werden. Nein, es geht darum, Grenzen zu setzen – und deutlich zu machen, was nicht okay ist. Ein Beispiel:
Bei Gesellschafterversammlungen und anderen Business-Meetings bin ich oftmals die einzige Frau unter 30, die nicht dem Catering angehört, sondern tatsächlich als Teilnehmerin am Tisch sitzt. Es dauert nicht lange, bis ich mir Kommentare über mein Aussehen und neugierige Fragen zu meinem privaten Leben anhören darf. Nicht zu vergessen das „Mansplaining“: Männer, die mir ungefragt die Welt erklären, als ob ich die letzten Jahre abgeschottet in einer Höhle gewohnt hätte. Solche Begegnungen können einschüchternd sein, doch sie verstärken auch mein Gefühl von Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit. Muss ich solche Kommentare einfach akzeptieren? Ist das der Preis für einen Platz am Entscheidungstisch? Ich denke nicht!
Den richtigen Grauton treffen
Es gibt Momente, in denen ich Missstände ansprechen muss – ob im Unternehmen oder bei solchen Veranstaltungen. Dabei ist es entscheidend, trotz Wut im Bauch den richtigen Ton zu treffen. Ich habe gelernt, meine Grenzen deutlich, aber höflich zu ziehen. Wird das Gespräch zu persönlich, bringe ich es wieder auf professionelle Themen. Versucht jemand, mir seine Sicht der Dinge aufzuzwingen, präsentiere ich ruhig und klar meinen Standpunkt. Es ist oft ein Balanceakt, dabei nicht als „hysterisch“ oder „überempfindlich“ etikettiert zu werden. Ich muss je nach Situation den richtigen Grauton zwischen den Extremen wählen. Aber es ist immer ein Sieg, wenn ich ernst genommen werde, ohne mich verleugnen zu müssen.
Was können wir tun?
An alle Führungsfrauen da draußen: Setzt ihr eure Wut als strategisches Mittel ein und zeigt klare Kante mit Nachdruck? Oder bevorzugt ihr es, die Dinge mit einer Portion Diplomatie und Feingefühl zu handhaben?
Und an die Männer: Habt ihr schon mal mitbekommen, wie diese altbackenen Stereotype in eurer Arbeitswelt greifen? Seid ihr Zeugen davon geworden, wie Frauen für ihr Durchsetzungsvermögen kritisiert werden, während das gleiche Verhalten bei Männern als Führungsstärke gewertet wird? Was können wir tun, um solche veralteten Sichtweisen zu überwinden und ein ausgewogeneres Arbeitsumfeld für alle zu schaffen? Ich freue mich auf eure Anregungen!