Milliardenmarkt der Lieferdienste: Rewe kontert die Offensive der Konkurrenz
Gorillas, Picnic und Knuspr greifen an, jetzt schlägt Rewe zurück: Der Händler schließt seinen letzten weißen Fleck im Ruhrgebiet und plant fünf neue Logistikstandorte.
**Köln.**Angesichts des härter werdenden Wettbewerbs durch neue Lieferdienste geht Rewe im E-Commerce in die Offensive. „Wir haben die Entscheidung getroffen, das Ruhrgebiet jetzt auch mit einem regionalen Lieferdienst zu bedienen“, sagt Rewe-Digitalchef Christoph Eltze dem Handelsblatt. Der Händler schließt damit seinen letzten großen weißen Fleck in Deutschland bei der Belieferung mit Lebensmitteln.
Starten soll der Service im Spätsommer, voraussichtlich in der Region Gelsenkirchen. „Wir bauen jetzt einen zentralen Lieferstandort für diese Region auf“, erklärt der Rewe-Vorstand. „Dann werden wir den Betrieb verdichten und weitere Lieferzentren aufbauen.“ Entsprechende Stellenanzeigen deuten darauf hin, dass das neue Zentrallager in Bochum sein wird.
Rewe ist zwar der Pionier in diesem Geschäft in Deutschland, 2011 als erster Händler in den Lieferdienst gestartet und immer noch Marktführer. Doch in den vergangenen Jahren haben immer mehr Wettbewerber Lieferdienste in Deutschland aufgemacht, meist in einzelnen Ballungsgebieten. Investoren haben Milliardensummen in Start-ups wie Gorillas, Flink, Picnic, Knuspr oder Bringmeister gesteckt und damit die Konkurrenz verschärft.
Keiner dieser aggressiv wachsenden Anbieter arbeitet bisher profitabel – auch Rewe nicht. „Beim Abholservice schreiben wir operativ schon eine schwarze Null. In den Lieferservice investieren wir noch“, räumt Eltze ein. Es gebe bereits einzelne Standorte, die positiv sind. „Wir sind überzeugt, dass wir das durch die Optimierung in allen Standorten erreichen können“, sagt der Rewe-Digitalchef.
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Unternehmensangaben zufolge konnte der Umsatz im vergangenen Jahr um etwa 50 Prozent gesteigert werden. Den konkreten Umsatz im Lieferdienst beziffert Rewe nicht. Nach Informationen aus Unternehmenskreisen hat er im vergangenen Jahr jedoch bei rund 700 Millionen Euro gelegen.
„Wir werden auch weitere Standorte eröffnen“, erklärt Eltze. „Deshalb sind wir auch noch bereit, Verluste zu akzeptieren.“ Eltze macht keinen Hehl daraus, dass das auch der harten Konkurrenz geschuldet ist, die ihre Expansion um jeden Preis forciert. „Wir denken da ähnlich wie Start-up-Gründer“, sagt er. „Unsere Wettbewerber haben ja Geld ohne Ende, die gehen ja auch hart ins Wachstum.“
Lieferdienst: Potenzial von fünf Millionen Einwohnern im Ruhrgebiet
Auch Experten sehen Rewe unter Zugzwang. „Im Bereich des Online-Wocheneinkaufs mit großen Warenkörben befindet sich Rewe mit seinen Online-Aktivitäten gerade in der Transformation vom Vorreiter einer Branche zum Gejagten“, sagt Matthias Schu, E-Commerce-Experte von der Hochschule Luzern. Als maßgebliche Angreifer sieht er dabei neue Anbieter wie Knuspr mit starkem Fokus auf Bioartikel, aber auch den norwegischen Lieferdienst Oda, der in der zweiten Jahreshälfte nach Deutschland kommen will.
Dass Rewe mit seinem Lieferdienst bisher in dem wichtigen Ballungszentrum Ruhrgebiet nicht präsent ist, ist ein starkes Handicap im Wettbewerb. Welches Potenzial diese Region mit mehr als fünf Millionen Einwohnern hat, zeigt schon der niederländische Lieferdienst Picnic, der bisher in Deutschland nur in Nordrhein-Westfalen tätig ist und dort in diesem Jahr gut 300 Millionen Euro Umsatz machen wird.
Die Unternehmensstruktur von Rewe ist schuld daran, dass die Lieferwagen des Händlers bisher um das Ruhrgebiet einen Bogen machen. So sind die dortigen Kaufleute in einer eigenen Genossenschaft organisiert, der Regionalgesellschaft „Rewe Dortmund“, die lange mit dem Onlinehandel eher fremdelte.
E-Commerce: Knuspr will in den 15 größten Städten angreifen
Doch der Erfolg des Rewe-Lieferdienstes und der Boom des Onlinehandels mit Lebensmitteln haben nun zu einem Sinneswandel bei den Dortmunder Genossen geführt. Die ersten Kaufleute der Region sind schon mit ihrem eigenen Lieferdienst auf die zentrale Plattform aufgeschaltet. Rund 100 Kaufleute aus dem Ruhrgebiet bieten darüber bereits einen Abholdienst an.
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Für die Offensive ist es höchste Zeit. „War Rewe einst Visionär und an vorderster Front im E-Food unterwegs, ist es seit der Coronapandemie merklich still um den einstigen Primus geworden“, beobachtet E-Commerce-Experte Schu. Rewe habe jedoch noch die größte Liefergebietsabdeckung in Deutschland.
Doch genau die wollen die neuen Konkurrenten dem Händler jetzt streitig machen. So ist Picnic auf dem Sprung, das Liefergebiet deutlich auszubauen. So sucht das Unternehmen Mitarbeiter für neue Lagerstandorte in Frankfurt und Hannover. Auch Hamburg und Berlin sollen in der Planung sein.
Besonders ambitioniert ist Knuspr, die Deutschland-Tochter des erfolgreichen tschechischen E-Commerce-Unternehmens Rohlik. In München und im Frankfurter Raum liefert der Mitte vergangenen Jahres an den Start gegangene Anbieter schon, bis Ende 2024 will er in den Regionen um die 15 größten deutschen Städte präsent sein, wie Knuspr-Chef Erich Comor ankündigt. „Dann wollen wir ein Drittel des Onlinemarkts für Lebensmittel besetzen“, sagt Comor selbstbewusst.
Potenzial bietet der Markt genug, denn er wächst stetig. Lag der Anteil des Onlinehandels am Gesamtumsatz des Lebensmittelhandels im vergangenen Jahr noch bei nur zwei Prozent, könnte er bis zum Jahr 2030 nach Schätzung des Handelsforschungsinstituts IFH auf bis zu acht Prozent steigen. Damit würde sich der Onlineumsatz mit Lebensmitteln von 4,5 auf 22 Milliarden Euro fast verfünffachen.
„Unsere Umfragen zeigen: Die Nachfrage nach gelieferten Lebensmitteln ist groß, viele Kunden und Kundinnen würden diesen Service gerne nutzen“, sagt Eva Stüber, Handelsexpertin vom IFH. Doch trotz der Dynamik im Markt hätten erst wenige Kunden eine echte Auswahl bei Onlineshops für Lebensmittel. „Weil sich die neuen Anbieter auf die Großstädte und Ballungsräume konzentrieren, hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung sogar gar keinen Zugang zu einem Lieferdienst“, so Stüber.
Rewe kann sich Übernahme von Konkurrenten vorstellen
Genau da will Rewe durch den weiteren Ausbau in der Fläche punkten. Der Händler hat deutschlandweit schon zwölf spezialisierte Food-Fulfillment-Center plus sieben weiteren Logistikstandorten, aus denen auch Lebensmittel geliefert werden.
In den kommenden zwölf Monaten sollen fünf zusätzliche Auslieferungszentren für Lebensmittel eröffnet werden, eins davon in Frankfurt. „Wir schauen uns immer neue Gebiete an, ob man dort sinnvoll einen regionalen Lieferservice anbieten kann“, sagt Digitalchef Eltze.
Beim Erschließen der Fläche sollen auch die selbstständigen Kaufleute ein wichtiger Faktor sein. Denn überall da, wo sich eine zentral organisierte Auslieferung wirtschaftlich nicht rechnet, können die Kaufleute mit Abholstationen oder einem eigenen Vor-Ort-Lieferdienst die Lücken füllen.
Da erweist sich heute als Vorteil, dass die Kaufleute sehr früh in die Entwicklung des Onlineangebots eingebunden wurden – auch um ihnen die Angst vor der digitalen Konkurrenz im eigenen Haus etwas zu nehmen. „Deswegen wurde auch die Einbeziehung der Kaufleute speziell im Abholservice, aber auch im Lieferdienst von Anfang an bei der Entwicklung der technologischen Plattform berücksichtigt“, berichtet Eltze.
Um das eigene Geschäft abzusichern, könne sich Rewe sogar vorstellen, bei einer Konsolidierung des Marktes auch Unternehmen zu übernehmen, sagt der Digitalvorstand. Am Schnelllieferdienst Flink ist Rewe schon beteiligt. Die Voraussetzung für weitere Übernahmen sei jedoch, dass sie das Geschäftsmodell sinnvoll erweitern können, so Eltze. „Jeder der Partner muss dann etwas zur Party mitbringen.“
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