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Nachhaltiger Minimalismus: Wie wir für die richtigen Dinge im Leben Platz schaffen können

Beim Minimalismus geht es nicht darum, Dinge zu zählen, sondern darum, für Dinge Platz im Leben zu schaffen, die uns wirklich wichtig sind. Davon erzählt die Kreativdirektorin und Autorin Lina Jachmann in ihrem Buch „Einfach leben“. Dabei bestimmt jeder selbst, wie viel es wovon sein darf, denn feste Regeln gibt es nicht, auch kein schwarz-weiß. Das Thema ist bunt, lebendig und individuell.

Was brauche ich wirklich?

Für viele Menschen ist Minimalismus heute eine Chance, das eigene Leben wieder in den Griff zu bekommen, Überblick und Kontrolle darüber zu gewinnen. Damit verbunden sind folgende Fragen:

• Wie, mit wem und womit möchte ich leben? Macht mich das glücklich?

• Womit verbringe ich meine Zeit?

• Wie viel Geld gebe ich dafür aus?

• Wie kann ich mein Leben entrümpeln und mich von Überflüssigem befreien, um mich wieder fokussieren und innere Autonomie erlangen zu können?

Die gebürtige Hamburgerin Lina Jachmann lebt und arbeitet in Berlin und beschäftigt sich bereits seit Jahren mit den Themen Lifestyle und Zeitgeist. Ihr Interesse gilt besonders dem nachhaltigen Minimalismus und Menschen, die ihre Ideen von einem befreiten und entschleunigten Leben umsetzen. In bebilderten Homestorys und Interviews werden sie in ihrem Buch vorgestellt. Daneben sind praktische Tipps rund um die Themen Wohnen, Mode, Körper und Lifestyle enthalten. Gezeigt wird, dass DIY auch unter Minimalisten ein großer Trend ist, wie sich das Credo „möglichst viel, möglichst billig“ zu „gut und langlebig“ wandelte und warum es wichtig ist, sich für Dinge bewusst zu entscheiden, weil wir sie brauchen und lieben.

Vor allem in der Mode zeigt sich seit einigen Jahren, dass die Herausforderungen der Gegenwart nicht mehr mit Gold und Glitzer übertüncht werden können. Um die Probleme zu schultern, brauchen wir das Solide und den praktischen Zugriff auf die Dinge des Lebens. Dabei müssen Kopf und Hände frei sein. Selbst Luxusdesigner setzen heute auf den Rucksack oder moderne Turnbeutel-Rucksäcke, von denen viele aussehen, als stammen sie aus den Neunzigern. Darunter sind auch zahlreiche Luxusprodukte, die einfach wie ein Päckchen geschnürt und auf den Rücken geworfen werden können.

Dass solide Zeiten angebrochen sind, zeigt sich auch in der Sehnsucht nach der Leichtigkeit des Seins und leichtem Gepäck. „Sag nein zu totem Gewicht“ lautet heute die Devise. Allerdings formulierten schon die Berliner Wandervögel vor dem Ersten Weltkrieg: „Packt euren Rucksack leicht! Zieht euch leicht und schön an“. Das Gefühl, autark zu sein, nimmt ihnen die Sorge, sich in der komplexen Außenwelt zu verlieren. Vor allem die Generation Y sieht kritisch auf das Sicherheitsdenken der „Älteren“, die oft zu viel einpacken und die Verzichtsangst des “Was wäre wenn…” nicht ablegen können. Sie folgen der Logik: Je mehr mitgenommen wird, desto besser sind sie gegen alle Eventualitäten geschützt.

Vieles mutet fast philosophisch an, wenn sie über das Reisegepäck sprechen, etwa über das 80/20-Prinzip: „Nimm 20 Prozent der Ausrüstung mit, die 80 Prozent der Situationen unterwegs abdecken.“ Alles andere liegt buchstäblich auf dem Weg und kann unterwegs erworben werden. Deshalb raten sie: „Kauf dir einen kleinen Rucksack.“ (https://www.planetbackpack.de) Das Limit für eine mehrtägige Wanderung beträgt etwa zehn Kilo. Christof Herrmann betreibt den Blog „Einfach bewusst — minimalistisch, nachhaltig & vegan leben“ (http://www.einfachbewusst.de): Von seinem Wohnort Nürnberg aus machte er sich mit acht Kilogramm Gepäck auf den Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung wird begleitet vom Song “Leichtes Gepäck“ von Silbermond:

„Eines Tages fällt dir auf,

dass du 99 Prozent nicht brauchst.

Du nimmst all den Ballast

und schmeisst ihn weg,

Denn es reist sich besser,

mit leichtem Gepäck.“

Der menschliche Reichtum lässt sich an den Dingen messen, „die er entbehren kann, ohne seine gute Laune zu verlieren“, schrieb schon Henry David Thoreau in seinem Klassiker „Walden oder das Leben in den Wäldern“ (1854). Es ist das erste Aussteigerbuch der Moderne, das einer langen Tradition selbstaufklärerischen Denkens folgt: „Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hatte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müßte, daß ich nicht gelebt hatte.“ Zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage lebte Thoreau spartanisch in einer winzigen Holzhütte, in der er herausfinden wollte, ob ein Leben mit der Natur möglich ist, und ob das Denken freier fließt, wenn auf zivilisatorischen Ballast – das, was uns an Bewegung und Wahrnehmung hindert, verzichtet wird. Thoreau wurde zur Ikone der Umweltaktivisten. Sein konsumkritischer Ansatz findet sich heute auch in der Freizeitindustrie. Rucksäcke sind dafür ein greifbares Symbol: So wiegen die von Ultralight-Wanderen nur ein paar Hundert Gramm.

Der Schriftsteller Hermann Hesse packte sein „Zeug“ bei Wanderungen in einen verschlissenen grünen Jägerrucksack. Noch die Flüchtlinge und Emigranten des vergangenen Jahrhunderts brachten hier ihre Habseligkeiten unter: Er bestand aus robustem Leinen oder Segeltuch und wurde von Hand gewebt. Später im Tessin transportierte Hesse in seinem Rucksack auch seine Malutensilien. Heute setzen sogar Luxusdesigner auf den Rucksack oder moderne Turnbeutel-Rucksäcke, von denen viele aussehen, als stammen sie aus den 1990er Jahren. Auch bei jungen Menschen sind die lange verpönten Turnbeutel aus Stoff wieder sehr gefragt. Beliebt sind besonders Biobaumwollbeutel, vielseitige Zuziehbeutel aus besonders hochwertiger Bio-Baumwolle, die mit zwei kräftigen Kordeln zu schnüren sind und als kleiner Rucksack, Schuh- oder Turnbeutel verwendet werden.

Immer mehr Menschen achten heute allerdings beim Kauf von Rucksäcken auf die Aspekte umweltfreundlich, fair und vegan. Zur Herstellung werden ausschließlich Fairtrade oder GOTS-zertifizierte Naturtextilien verwendet. Es gibt viele Möglichkeiten, uns bewusst und ohne große Einschränkungen für Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu entscheiden“. Ob im Privatleben oder bei beruflichen Entscheidungen: „Es gibt fast immer eine Option, es besser zu machen“ schreibt der österreichische Bergsteiger und Sportwissenschaftler Stefan Gatt in seinem „Survival Handbuch Führung“, in dem er sich auch mit der Frage beschäftigt, wie nachhaltig führen, denken und handeln richtig funktionieren kann.“ Denn es geht um Überlebenskunst – im Kleinen und im Großen.

2008 brachte die schwedische Outdoormarke Fjällraven einen Rucksack auf den Markt, mit dem jedes schwedische Kind aufgewachsen ist. Es gab eine Bewegung namens „Mulleskole“, die eine Art Naturschule war: „Jede Woche gingen alle Kinder in die Wälder, um Feuer zu machen, Beeren zu sammeln. Und wirklich jedes Kind hatte so einen Rucksack von Fjällraven. Dann verschwand er und tauchte erst vor ein paar Jahren wieder auf“, sagt Sebastian Westin, Firmengründer der Marke Sandqvist, die in den vergangenen Jahren vom Rucksackboom profitiert hat. Die etwas altmodisch anmutenden Rucksäcke aus festem Baumwollstoff mit Lederriemen gehören zu ihren bestverkauften Produkten. Zu den Käufern gehört vor allem die Generation der heute 40-Jährigen, die damit nostalgische Kindheitserinnerungen verbindet: Der Kånken-Rucksack des schwedischen Outdoor-Ausstatters Fjällräven wurde in den 70er-Jahren als Schulrucksack entwickelt. Heute tragen ihn die groß gewordenen 40-Jährigen, „um zum Beispiel ihren Laptop zu transportieren - und vielleicht auch als Ausdruck einer erweiterten Jugend“. Als das Unternehmen gegründet wurde, verglichen Mitarbeiter und Inhaber die Marke mit dem alten Volvo aus den 80ern, der ein echter Volkswagen war, außerdem haltbar, einfach zu reparieren und ohne Extravaganzen. So sollten auch die Rucksäcke sein.

Viele Rucksäcke werden heute aus Bio-Baumwolle, Bio-Leder, gebrauchter LKW-Plane oder anderen Upcycling-Materialien hergestellt. Ein Vorreiter ist beispielsweise das mittelständische Familienunternehmen VAUDE, das konsequent auf Umwelt- und Sozialverträglichkeit setzt: Das Green Shape Logo kennzeichnet Produkte aus nachhaltigen Materialien und ressourcenschonender Herstellung. Als Mitglied der unabhängigen Non-Profit-Organisation Fair Wear Foundation verpflichtet sich VAUDE, deren strengen Verhaltenskodex (Code of Labour Practices) einzuhalten. Der Hauptstoff ihrer Rucksäcke (zum Beispiel "PETali") besteht vielfach zu 45 Prozent aus Recyclingmaterial, das Futter sogar zu 100 Prozent. Sie sind für Veganer geeignet und enthalten keine tierischen Bestandteile (Quelle: memolife). Auch vegane Solar-Rucksäcke aus wetterfestem Material, die aus wiederverwertetem PET hergestellt hergestellt sind, liegen im Trend. Nylon, AZO-Farben, Nickel, Cadmium oder Weichmacher kommen nicht zum Einsatz.

Allein an solchen einfachen Beispielen zeigt sich, dass es viele Möglichkeiten gibt, „uns bewusst und ohne große Einschränkungen für Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu entscheiden“. Ob im Privatleben oder bei beruflichen Entscheidungen: „Es gibt fast immer eine Option, es besser zu machen“, sagt Stefan Gatt, der sich in seinem Buch auch mit der Frage beschäftigt, wie nachhaltig führen, denken und handeln richtig funktionieren kann. Mit dem Aspekt der Nachhaltigkeit ist allerdings noch eine weitaus schwierigere Aufgabe verbunden. Denn es geht auch darum, dafür zu sorgen, „dass man nicht mehr so viel arbeiten muss, nur um zu überleben und ein Dach über dem Kopf zu haben“ (Theodore Zeldin). Es geht um (Über)Lebenskunst.

Weiterführende Informationen:

  • Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut in Mode: Wissenswertes über nachhaltige Bekleidung und Textilien. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

  • Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

  • Von Lebensdingen: Eine verantwortungsvolle Auswahl. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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