Natürliche Intelligenz: Der Schlüssel zu einer aufgeklärten Gesellschaft
Seit der Corona-Krise befinden wir uns in einer Phase extremer Ungewissheit, in der viele Sachverhalte schwer zu durchschauen sind, aber eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen werden müssen. Es wird deshalb immer wichtiger, den gesunden Menschenverstand zu nutzen, um Antworten zu finden, die dabei helfen, Unsicherheiten, Komplexität und Ängste auszuhalten – und zu lernen, die Wirklichkeit besser zu verstehen. „Die anhaltende Corona-Krise hat vor allem zweierlei schmerzhafte Erkenntnisse gebracht. Erstens: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Und zweitens: Ein Idiot bleibt leider ein Idiot, ganz unabhängig von einer Pandemie oder anderen Ausnahmesituationen“, schreibt Andreas Hock, Co-Autor des Buches „Und erlöse uns von den Blöden. Vom Menschenverstand in hysterischen Zeiten“, das er gemeinsam mit der Kabarettistin Monika Gruber geschrieben hat. Die Freunde kennen sich über die Comödie Fürth. Gruber schrieb damals das Vorwort für eines seiner Bücher. Seitdem blieben sie in Kontakt und tauschen sich regelmäßig über die „rasant vorangaloppierende allgemeine Verblödung“ und die „allgemeine Aufgeregtheit, die sich über unsere gesamte Gesellschaft gelegt hat“ aus. Das Buch entstand aus der Situation heraus. Monika Gruber zappte im Fernsehen herum, blieb bei einer Talkshow hängen und schrieb ihm dann eine SMS:
„... sovui kunn I gar ned sauffa, dass I mi ned aufregn muass!“
Beide stellten fest, dass sie sich über ähnliche Themen aufregten oder amüsieren. So reifte der Entschluss, gemeinsam ein Buch zu schreiben. Es „funktioniert“ wie eine gelungene Karikatur, die nur wenige, aber charakteristische Merkmale braucht, um ein Gesicht zu erkennen. Alle irrelevanten Details werden ignoriert, und die komplexe Wirklichkeit wird auf das Wesentliche reduziert. Die Aufmerksamkeit ist auf die „Schnappatmungsbereitschaft in unserer Gesellschaft“ fokussiert, die so enorm ist, „dass eigentliche Nichtigkeiten zwar ein riesiges Empörungspotential haben, aber nicht zu einer sachlichen Diskussion beitragen. Es gibt noch schwarz oder weiß, gut oder böse, Du bist gläubig oder ungläubig“, sagt Gruber. Ihre Alltagsbeobachtungen und Kommentare zeigen, dass einfach oft wirkungsvoller als kompliziert ist. Ihnen geht es um die wirklich wichtigen Angelegenheiten wie „effektivere Generationengerechtigkeit, die bessere Ausstattung unserer Schulen, eine Reform des viel zu teuren Pensionswesens, spürbarer Bürokratieabbau oder das sofortige Verbot aller gehirnzellenzersetzenden Reality TV-Formate“. Ein besonderer Menschenschlag, der von ihnen kritisiert wird, sind die leidenschaftslosen Bürokraten und Technokraten, die nicht in der Lage sind, sich auf Wesentliches zu konzentrieren. Sie meiden das Risiko und sind die Treiber der Bürokratie.
Indem die Autoren einen Fokus setzen, klären sie auch auf.
Unendlich viele Sonnenstrahlen werden durch ihre „Linse“ gebündelt. Der dadurch entstehende Strahl ist so stark, dass er ein Gedanken-Feuer bei den Lesern entzünden kann. „Einfachheit ist das Gegenteil der Doppeldeutigkeit, der Kompliziertheit, der Überheblichkeit“, schreibt der Philosoph Comte-Sponville - und ergänzt: „Einfachheit ist nicht Einfalt.“ Einfachheit sei gesunder Menschenverstand und Vernunft, das Gegenteil von Selbstverliebtheit, Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit. So sagt auch Monika Gruber in einem Interview: „Vielleicht sind die Auseinandersetzungen heutzutage nur deshalb so hitzig, weil sich alle viel zu wichtig nehmen und nicht mehr über sich selbst lachen können.“
Selbstironie ist für sie wie der gesunde Menschenverstand der Schlüssel zu einer aufgeklärten Gesellschaft.
Er wird vor allem dann gebraucht, wenn Risiken nicht berechnet werden können und unter hoher Unsicherheit entschieden werden muss. Häufig wird uns suggeriert, dass Algorithmen für uns alles entscheiden könnten, doch sie funktionieren am besten unter bekannten Risiken - nicht unter Ungewissheit. Umso wichtiger ist unser gesunder Menschenverstand, doch heute, wo „so eifrig an künstlicher Intelligenz geforscht wird“, scheint die natürliche Intelligenz „ganz offensichtlich vom Aussterben bedroht zu sein“, schreibt Gruber, die ebenfalls den Akademisierungswahn kritisiert. Dabei gibt es auch kluge Nichtakademiker, die sich vor allem durch eine „freischwebende Intelligenz“ auszeichnen. Der Begriff kommt aus der Soziologie. Er bezieht sich zwar auf Intellektuelle, aber es muss nicht jeder ein Intellektueller sein, der sich durch unabhängiges Denken und Handeln auszeichnet und unerschrocken gegen Bevormundung rebelliert. Für Monika Gruber wäre Corona „die Chance, viele Berufe in Ansehen und Bezahlung aufzuwerten und unter anderem aufzuzeigen, dass die anhaltende Akademisierung der Bildung ein Irrweg ist. Kurz gesagt: Wir brauchen in Deutschland wieder mehr Anpacker und weniger Quatscher, mehr Praxis und weniger Theorie. Und diesen Menschen muss der gleiche Respekt für ihre Tätigkeit entgegengebracht werden wie einem Arzt oder Wissenschaftler.“
Es ist zugleich ein Plädoyer, dass nicht alle Menschen der gleichen Meinung sein müssen, aber dennoch in der Lage sein sollten, anderen mit Respekt zu begegnen und ihre Meinung anzuhören und auszuhalten. Dieses Buch lässt sich nicht festlegen auf A oder B, es löst Grenzen im Kopf auf, verbindet das Unmögliche mit dem Machbaren und zeigt das ganze Alphabet. Auch wenn das dem akademischen Geist manchmal nicht passen sollte.
Weiterführende Informationen:
Monika Gruber / Andreas Hock: Und erlöse uns von den Blöden. Vom Menschenverstand in hysterischen Zeiten. Piper Verlag, München 2020.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.