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Schluss mit dem paternalistischen Fürsorgestaat!

Die Coronapolitik hat viel zerstört: Unternehmen, Existenzen, Lieferketten und zuallererst Vertrauen. Strukturen wurden fragmentiert, logistische und menschliche. In der Gesellschaft, ja selbst zwischen langjährigen Geschäftspartnern, dominieren Misstrauen, Aggressivität und eine Kultur des „me first“. Wenn die Politik heute mehr Gemeinsinn einfordert, muss sie sich fragen lassen, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass dieser heute so selten geworden ist. Ansichten einer Unternehmerin.

Was die Coronapolitik der Bundesregierung zerschlagen hat, lässt sich nicht durch die aktuellen Versprechen der Parteien im Wahlkampf reparieren. Holz ist teuer wie nie, Computerchips sind Mangelware, lange geschlossene Branchen wie das Gastgewerbe klagen über ein massives Fehlen von Mitarbeitern. In vielen Gaststätten herrscht heute der Charme einer Autobahnraststätte: Selbstbedienung, weil Menschen fehlen, die die Gäste zu bewirten bereit sind. Sie sind abgewandert – ins Ausland oder einen Job, bei dem sie nicht auf Trinkgelder angewiesen sind, die ihnen kein staatlicher Zuschuss ersetzt. Einen Handwerker zu bekommen, ist heute schwerer als einen Termin für eine Herz-OP zu erhalten. Wer einen IT-Dienstleister braucht oder gerade eine dringende Reparatur, ganz gleich ob im Unternehmen oder als privater Häuslebauer, kann ein Lied davon singen. In etlichen Betrieben stehen Maschinen still, und Investitionen können nicht abgerufen werden. Ganze Baustellen leiden unter Materialmangel. Auf ein neues Firmenfahrzeug muss manches Unternehmen inzwischen mehr als ein Jahr warten.

Viele Lieferanten oder Dienstleister sind entweder pleite oder in massiven logistischen Nöten, weil sich eben viele Strukturen nicht mit Fördermilliarden und Subventionen haben erhalten lassen. Der Markt lässt sich nicht staatlich domestizieren. Unternehmer handeln nach dem Prinzip Vernunft, tanzen nicht nach der Pfeife der Politik und folgen nicht der Geldgießkanne des Staates. Wer etwas unternimmt, weil es subventioniert oder staatlich alimentiert wird, und nicht, weil es vernünftig ist, wird als Unternehmer nicht lange auf der Gewinnerseite sein. Und so hat auch hier der Staat zwar etwas Substanz erhalten, aber eben noch mehr Substanz zerstört. Er hat keine Zukunftsperspektiven gesichert.

Ehrlich gesagt, hat der Staat sogar eher Wettbewerbsverzerrung betrieben und unmoderne Strukturen in Form von Technologien oder Produkten künstlich am Leben gehalten, die im freien Wettbewerb ohnehin ins Schlingern geraten wären. Insolvenzpflicht ausgesetzt, Vergangenheit zementiert, weitere Zombieunternehmen geschaffen. Kein Wunder also, dass sich Unternehmer zunehmend gegenseitig misstrauen. Kein Geschäft mehr ohne doppelte und dreifache Bonitätsprüfung, am besten Vorkasse und ja keinen Millimeter „overdelivern“. Null Toleranz, um ja nicht nachher der Dumme zu sein. Neue AGB allenthalben: Man möchte sich nach allen Seiten absichern, um sich Vorteile für einen späteren Prozess zu sichern. In nicht wenigen Fällen wird dieser bereits im Vorfeld einkalkuliert.

Die Fördermilliarden und Sozialleistungsfüllhörner haben sicher in manchen Fällen einzelne Existenzen gerettet, aber sie haben keinesfalls systemisch gewirkt. Vieles von dem, was verloren gegangen ist, wird auch verloren bleiben. Es ist das typische Handeln der Politik: kurzfristig, wenig folgenabwägend, null strategisch und in Unkenntnis über Marktmechanismen und freies unternehmerisches Handeln.

Nun ist die Reaktion der Politik auf die Erkenntnis des eigenen Versagens leider nicht, auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zu setzen, auf Eigenverantwortung oder individuellen Mut zur Leistung, sondern sie setzt noch mehr auf staatliche Regulierung und Drangsalierung. Fast alle Parteien plakatieren Forderungen mit dem, was der Staat jetzt tun sollte, kaum eine Partei setzt auf die Innovationskraft der Unternehmen, der Erfinder und der Technologiepioniere. Mehr vom Falschen, so die Devise der Parteien. Man hat sich als Politiker ja auch an seine Allmacht gewöhnt, konnte bewundern, was ein Volk mit sich machen lässt, wenn genug Ängste im Spiel sind und Notlagen ausgerufen werden.

Der paternalistische Fürsorgestaat hat Konjunktur. Der mündige Bürger und der freie Unternehmer müssen eingehegt werden, weil sie ja so leicht der Unvernunft anheimfallen. Staatlich dirigistische Allmachtsfantasien statt Entfesselung der unternehmerischen Innovationskraft. Dazu der politische Stillstand durch die Wahlen. Jetzt soll keiner mehr verärgert werden. Versprechen allenthalben, der Staat wird es richten, Eigenverantwortung: nein danke.

Dieses staatliche Handeln wirkt immer weiter systemdestabilisierend. Das zwingt Unternehmer zum Handeln, allerdings nicht zum progressiven, sondern in sehr vielen Fällen zum degressiven, destruktiven oder zum verharrenden. Rette sich, wer kann!

Im Grunde folgen die meisten Unternehmer einem der drei folgenden Handlungsschemata:

  1. Kopf in den Sand und sparen, bis es quietscht, um irgendwie den Untergang zu verlangsamen, warten, bis wieder Klarheit herrscht. Die Folge: weniger Innovation, weniger Investitionen, weniger Prosperität und Zuversicht. Ein Unternehmen im Siechtum, das sein Eigenkapital nach und nach verzehrt und die Zukunft verschläft.

  2. Jetzt erst recht, jetzt Marktanteile sichern, koste es, was es wolle. Am besten mit öffentlichen Mitteln den Vorteil nutzen, der durch den staatlichen Markteingriff entstanden ist. Aggressives Wachstum, um zukünftig an der Spitze zu stehen. Das sind die Profiteure der Wettbewerbsverzerrung und die, die in letzten Jahren statt zu investieren, Eigenkapital gehortet haben. Alles richtig gemacht, mag man sagen. Jede Krise bringt auch Krisengewinner hervor. Allerdings wird hier auch alimentierte Verdrängung gefördert und die weitere Zerstörung von Strukturen. Die Konzentration nimmt zu, der Wettbewerb ab.

  3. Totale Neuausrichtung: Corona hat wie ein Brennglas alle bestehenden Probleme verschärft und die Optionen für eine langsame Anpassung geraubt. Nun ist radikales Umbauen gefragt: das Alte raus, Neues rein. Mitarbeiter, Produkte, Prozesse. Der Gedanke, ab jetzt alles anders zu machen, ist an vielen Stellen spürbar und sorgt für eine gewaltige Fluktuation und Fliehkräfte. Auch das mag grundsätzlich gut sein, hinterlässt aber viele Opfer. Häufig ist diese Art der Neuausrichtung ein radikales Downsizing: weniger Jobs, weniger Produkte, weniger Kooperation – eine Art Unternehmensbiedermeier.

Alle drei Handlungsschemata wirken in der Praxis systemdestabilisierend. Sie fördern Argwohn und Misstrauen gegenüber Dritten und eine Besinnung auf die eigenen Strukturen. Das Ziel: Kontrolle gewinnen, sich unabhängig machen von anderen, ein Hauch von Autarkie macht sich breit. Vorbei die Zeiten, in denen alles outgesourct wurde und Schnittstellen das Nonplusultra waren.

Die Wirtschaft wandelt sich vom „Wir“ zum „Ich“. Der Fokus liegt nunmehr auf der eigenen Existenzsicherung: meine Strukturen und mein eigenes Überleben sichern, meine Lieferketten bewahren, mein Eigenkapital erhalten. Die Methoden sind Technisierung, Automatisierung, Downsizing oder egogetriebenes Wachstum, die Aufgabe ganzer Geschäftsbereiche und eine Kostenreduktion zulasten von Lieferanten oder Mitarbeitern. Schließlich haben Unternehmer in den letzten Monaten gelernt, dass sie sich auf vieles, auf das sie vertraut haben, nicht verlassen können. Wer viele Reserven hatte, wurde zum Gewinner, wer gerade in Wachstum investiert hatte, wurde jäh gebremst und war gefühlt der Dumme. Raffen, hamstern und mehr Ich-Besinnung sind die logische Folge. Ja nichts riskieren, ja niemandem vertrauen, sondern das Bewahren, Absichern und Festhalten dominieren die aktuelle Geisteshaltung.

Noch nie haben sich Unternehmer so sehr gegenseitig mit Argwohn betrachtet, sich gegenseitig als Risiko identifiziert. Ob diese Kultur auf Dauer bleibt, muss sich erst noch zeigen. Allerdings: Der Staat fördert mit seinen getriebenen und kurzfristigen Entscheidungen diese Kultur. An was sollte man sein Handeln auch ausrichten? Dieses Phänomen ist kein rein deutsches. Wenn China seine Tech-Giganten und Fortschrittsgaranten nun mit der ganzen Macht des Staatsapparates beschneidet und ganze Geschäftsmodelle unmöglich macht, führt auch das zu zusammenbrechenden Märkten, Liefer- und Dienstleistungsketten. Unternehmen brauchen Stabilität und eine Strategie. Mal eben die Welt anhalten oder spontane politische Entscheidungen sind Gift für nachhaltiges Wachstum und dafür, dass sich Investitionen rentieren.

Das Ergebnis ist allenthalben sichtbar: mehr Insourcing, streben nach Autonomie, maximale Kostenoptimierung, weniger Kooperationen und Investitionen, abgegrenztes Agieren in einem engeren Kosmos, weniger internationale Zusammenarbeit und Inflation.

Auch die Mitarbeiter ändern ihr Verhalten analog. Auch hier dominiert zunehmend das „Ich“ das „Wir“. Spontane Kündigungen, plötzliche Branchenwechsel in vermeintlich sichere Häfen – hierunter leiden derzeit vor allem Kleinunternehmen, die Event- und Gastrobranche – unerfüllbare Forderungen und ein neues Machtgefühl gegenüber dem Unternehmer prägen in vielen Betrieben das Miteinander. Auch hier ist das Konfliktpotenzial gestiegen.

Kaum ein Unternehmer, der nicht konstatiert, dass die Bosheit zunimmt, Konflikte schneller eskalieren und der Ton rauer wird. Der Vertrauensverlust, initiiert und verstärkt durch die Politik der letzten Monate, bricht sich Bahn. Allzu schnell wird bei der kleinsten Reklamation mit dem Anwalt, schlechten Bewertungen und gar übler Nachrede gedroht. Shitstorms und Eskalationen sind die Folge. Hinzu kommen gestiegene Rechtsberatungskosten und sehr viel Zeit, um seine Rechte zu wahren. Kein Wunder das die Justiz überlastet ist. Dabei ließen sich die meisten Dinge, so wie früher auch, mit einem Gespräch, Verständnis und Kulanz lösen. Es wird allzu nicht mehr miteinander geredet. Die reale Wirtschaft folgt zunehmend dem harten Diskurs, der in den sogenannten sozialen Medien schon lange betrieben wird: Freund oder Feind, unbedingt Recht haben wollen, sachorienterter Diskurs nahezu unmöglich.

Es bleibt die Hoffnung, dass nach der Wahl eine Regierung weniger getrieben handelt und strategischer denkt, langfristig und mit ökonomischem Sachverstand. Die Politik muss retten, was zu retten ist – nicht mit Geld, sondern indem sie das Vertrauen wieder herstellt in staatliches Handeln und eine Gesellschaft, der man den Aufbruch auch persönlich zutraut. Es muss ein Versprechen geben: nie wieder Lockdown!

Die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal und der kopflose Aktivismus in Sachen Klima zeigen auch in anderen Themengebieten das Staatsversagen. Auch hier werden durch kurzfristiges Denken massive Folgeschäden in Kauf genommen. Die Anpassungen an den Klimawandel hätten längst stattfinden müssen. Und in Sachen Katastrophenschutz dachte man, Deutschland sei weiter. Aber es wurde eben auch hier nur von 12 bis Mittag gedacht. Das darf sich nicht fortsetzen. Denn wenn es sich so fortsetzt, dann drohen nach dem Corona-Notstand der Klima-Notstand und der ökonomische Kollaps. Die Politik muss lernen, unternehmerischer zu denken, systemischer, strategischer. Sie muss mehr auf die Wirtschaft und die Unternehmen hören, weniger auf die Lobbyisten aus den Verbänden, die ja zumeist selbst nicht Teil der Wertschöpfung sind. Sie erwirtschaften nichts. Die Risiken und Kosten tragen dann andere. Es herrscht an vielen Stellen organisierte Unverantwortung zulasten mittelständischer Unternehmen, des Wohlstandes und der privaten Innovationskraft. Es ist nicht die Regierung, nicht der Staat, der den Wohlstand schafft, es sind die Unternehmen.

Es steht jedoch zu befürchten, dass sich nichts an der grundsätzlichen Orientierung der Regierenden ändert. Die Unterschiede in punkto Staatsgläubigkeit zwischen den drei Kanzlerkandidaten sind eher graduell. Und vor Dezember wird es ohnehin keine neue Regierung geben. Vor Februar wird diese Regierung auch nicht handlungsfähig sein. Ein weiteres halbes Jahr Stillstand ohne Perspektiven, dafür aber mit wachsendem Groll und noch mehr Misstrauen. Vertrauen ist das neue Gold. Es ist die Währung der Zukunft. Und so bleibt uns nur, das Beste zu hoffen.

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Dieser Text ist Teil eines Spezials zur Bundestagswahl 2021 der XING News Redaktion. Ich nehme zudem teil am

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Thema: Es bleiben noch wenige Tage bis zu Bundestagswahl, und die wirtschaftlichen Herausforderungen sind angesichts von Automatisierung, Abschottung und einem Wettlauf der Wertesysteme enorm. Was muss die kommende Bundesregierung also anpacken, damit Deutschland auch künftig eine der größten Wirtschaftsnationen der Welt bleibt und prosperiert?

Darüber diskutieren wir in diesem Live Event zur Bundestagswahl 2021 – mit unseren Gästen aus verschiedenen Branchen und Unternehmen und mit Dir.

Wann: Mittwoch, 15. September von 12-13 Uhr

Hier geht's zur Anmeldung

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Wie denkt Ihr über die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft? Was muss von wem angepackt werden? Teilt Eure Erfahrungen mit mir in den Kommentaren.

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Vanessa Weber schreibt über Unternehmertum, Marketing, Nachfolge, Führung

Vanessa Weber ist Geschäftsführerin und Unternehmerin aus Leidenschaft. Heute ist sie neben ihrer Tätigkeit für ihre Firma als Vortragsrednerin tätig und vermittelt ihr Fachwissen sowie ihren Erfahrungsschatz an andere Unternehmer. Sie ist eine Frau aus der Praxis für die Praxis.

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