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Daniel Lieberberg ist seit Anfang 2018 Chef für Kontinentaleuropa und Afrika bei Sony Music Entertainment. - Foto: PR, Imago, Getty (2)
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Schwere Vorwürfe gegen den Europachef des Musik-Konzerns

Daniel Lieberberg gilt als unangreifbar im Konzern. Nun haben sich Mitarbeiter an Vorstandschef Rob Stringer gewandt. Eine interne Ermittlung läuft. Lieberberg bestreitet ein Fehlverhalten.

Berlin. Erst dachte sie, es wäre ihre Schuld. Kathrin Berger* schämte sich, wenn Daniel Lieberberg sie wieder mal vor versammelter Mannschaft zusammenfaltete. Nichts war dem Europachef des Labels Sony Music gut genug. Nicht ihr Musikgeschmack, nicht ihre Managementleistung. Mit der Zeit begann Berger, an sich zu zweifeln.

Sie war damit nicht allein. Manche Kolleginnen und Kollegen trauten sich kaum noch in Konferenzen. „Ich muss hier raus“, dachte sich Berger und ging.

Nun, einige Zeit später, hat die Rechtsabteilung von Sony Music nach Informationen des Handelsblatts eine Ermittlung gegen Lieberberg eingeleitet. Auslöser waren zwei Brandbriefe von Mitarbeitern. Ein Schreiben ging an den Betriebsrat, das andere an Konzernchef Rob Stringer.

Beide Briefe beschreiben Lieberberg als „cholerisch, hysterisch, respektlos und unbeherrscht“ gegenüber Mitarbeitern. Lieberberg stelle seine eigenen Interessen und die von Verwandten über das Interesse des Konzerns. Mitarbeiter berichteten dem Handelsblatt, Lieberberg würde sie regelmäßig verbal niedermachen; Frauen berichten davon, dass er sie unaufgefordert zur Begrüßung geküsst habe.

Über seinen Anwalt ließ Daniel Lieberberg die Vorwürfe rundherum zurückweisen. Der in New York angesiedelte Mutterkonzern Sony Music erklärte: „Wenn uns Beschwerden erreichen, so wie jüngst aus Deutschland, gehen wir den Vorwürfen umgehend und gewissenhaft nach“. Die internen Ermittlungen dauern an.

Die Regeln der Branche

Die Geschehnisse werfen ein Licht auf eine Branche, die wie kaum eine andere geprägt ist von persönlichem Geschmack. Und die Manager haben mit ihrer Meinung ein ungeheures Gewicht – nicht nur für Künstler, sondern auch für alle anderen in der Branche. Sie ist ein Netz von persönlichen Beziehungen, in dem die Grenze zwischen Beruf und Privatleben verwischt. „Wir treffen uns auf Konzerten wie auch auf privaten Feiern“, berichtet Kathrin Berger. Auch heute noch treffe sie Lieberberg, „auch wenn ich versuche, es zu vermeiden“.

Die Branche ist klein, und gegenseitige Gefälligkeiten gehören zum Geschäft; bestimmte Entscheider können anderen mit bloßen Andeutungen eine ganze Karriere verbauen.

Daniel Lieberberg ist so ein Entscheider. Er arbeitet seit Anfang 2018 als Präsident für Kontinentaleuropa und Afrika bei Sony Music Entertainment. Lieberberg verantwortet damit einen Umsatz von rund einer Milliarde Euro und eine Belegschaft mit einigen Hundert Mitarbeitern. Nach Universal Music ist die Tochter des japanischen Mischkonzerns Sony Corp. die Nummer zwei auf dem weltweiten Musikmarkt.

Im Oktober 2020 verlegte der 50-Jährige die Sony-Europazentrale von München in ein neu errichtetes Gebäude im Berliner Stadtteil Schöneberg mit 8000 Quadratmeter Bürofläche. Von hier aus führt Sony Sänger wie Roland Kaiser und Andrea Berg, internationale Stars wie Adele, Bob Dylan und Travis Scott sowie deutschsprachige Rapper wie Apache 207 und RIN.

Bevor er zu Sony wechselte, arbeitete Lieberberg seit 2002 bei Universal Music Germany, zuletzt als Leiter des nationalen Geschäfts. Er begann seine Karriere als Booker und Talent Buyer in der Konzertagentur seines Vaters Marek Lieberberg, Deutschlands führendem Konzertveranstalter. Gerade diese Konstellation verschafft Daniel Lieberberg noch mehr Einfluss. Niemand in der Branche möchte es sich mit ihm verscherzen, wie mehrere Menschen aus der Branche und von Sony Music erklären.

Beschwerde-Mail an die Chefetage

Einige Beschäftigte beschreiben Lieberberg als Tyrann. „Lieber Rob, […] wir möchten dich über die Stimmung hier in Berlin informieren, die von Daniel Lieberberg geprägt wird. Sie ist furchtbar“, beginnt eine E-Mail von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Rob Stringer, den Weltchef von Sony Music. Das Schreiben vom 29. Februar dieses Jahres wie auch eine Eingangsbestätigung liegen dem Handelsblatt vor.

Schon der kleinste Anlass reiche oft aus, dass Lieberberg „jegliche Fassung, Respekt und Anstand“ verliere. Sein „Zynismus“, seine „herablassende Arroganz“ und seine „bösartige Demagogie“ schafften ein Klima der Angst. Lieberberg führe mit „einer Art psychologischer Gewalt“, die bei den Betroffenen oft in Tränen ende.

Das Hauptquartier der Sony Music Entertainment in Berlin-Schöneberg. Hierhin hat Lieberberg die Zentrale verlegt. - Foto: imago images/Fotostand
Das Hauptquartier der Sony Music Entertainment in Berlin-Schöneberg. Hierhin hat Lieberberg die Zentrale verlegt. - Foto: imago images/Fotostand

Die Autorinnen und Autoren bezeichnen ihren Brief als „Hilferuf“. Einige sind dem Handelsblatt bekannt, möchten aber anonym bleiben. In persönlichen Gesprächen berichten sie gleichsam von verbalen Attacken hinter verschlossenen Türen und Abkanzlungen vor zahlreichen Teilnehmern in Konferenzen. Drei Mitarbeiterinnen begaben sich in medizinische Behandlung. Schuld daran soll auch das Verhalten von Lieberberg sein, wie mehrere Personen erklärten.

Dabei ist es nicht so, dass Mitarbeiter Lieberbergs Regime so einheitlich negativ bewerten. Einige von ihnen bestätigen, dass der Chef auch begeistern könne. Der bald zwei Meter große Mann wirke jugendlich, könne charmant sein und durch die Leichtigkeit beeindrucken, mit der er durchs Leben geht. Auch die Geschäftszahlen bestätigen ihn. Lieberberg steht etwa für das Wachstum in Afrika mit hohen Zuwachsraten. Konzernchef Stringer lobte Lieberberg bei seiner Einstellung 2018 als „eine der herausragendsten kreativen und zukunftsorientierten Führungskräfte“.

Vor allem Mitarbeiterinnen berichten nun über den Preis, den sie dafür zahlen. Wen Lieberberg nicht mag, vernichte er mit seinem beißenden Spott. „Eine Kollegin konnte an einem Tag nicht mehr zur Arbeit, sie saß im Auto und weinte“, erzählt eine Angestellte.

Mitarbeiterin: „Er packt einen an beiden Schultern“

Doch auch auf der scheinbar guten Seite von Lieberberg sei es schwierig. „Er packt einen an beiden Schultern und schmatzt einen auf beide Backen“, schildert eine Mitarbeiterin. Fünf weitere aktuelle oder frühere Mitarbeiterinnen – darunter Kathrin Berger – berichten, sie seien ebenso begrüßt worden. Alle sechs wollten nicht geküsst werden. Der Griff sei zu fest und die Wangenküsse einfach eine Spur zu lang, berichten sie im Gespräch. Auch drei Mitarbeiter bestätigen dieses Ritual.

Lieberbergs Anwalt bestreitet die Darstellung. Sein Mandant habe zu „keinem Zeitpunkt weibliche Mitarbeiter gepackt und ihnen Küsse aufgezwungen“.

Etliche Angestellte empfinden vor allem die regelmäßig stattfindenden Konferenzen als psychische Folter. Manche dieser Treffen sind auf acht Stunden angesetzt. Mal geht es um Budgetfragen, mal stellt jeder Teilnehmer Künstler und Künstlerinnen vor, die unter Vertrag genommen werden sollen. Lieberberg kommentiere dann die vorgespielte Musik mitunter mit „Das ist doch Schrott“ oder „Was ist das für Schwachsinn?“ Sechs aktuelle und frühere Mitarbeiter bestätigten, dass diese Sätze in den Meetings gefallen sind.

Das Schlimmste an Lieberbergs Kritik sei ihre Unerbittlichkeit, die nicht enden wolle. Mehrere Teilnehmer berichten von einem Meeting, in dem ein Mitarbeiter einen Künstler lobte, der Lieberberg nicht gefiel. „Daniel warf ihm dann vor, dass er keine Ahnung von Musik hat“, erzählt ein Augenzeuge. Lieberberg habe immer und immer wieder auf den jungen Mann eingeredet. Nach dem Meeting sei er im Kopierraum in Tränen ausgebrochen, berichten Teilnehmer, die ihn dort gesehen haben.

Der Anwalt von Lieberberg bestreitet die Darstellung. Weder weise sein Mandant ein solches Verhalten auf, noch entsprächen die genannten Zitate seinem Sprachgebrauch.

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Sony Music hatte bereits Compliance-Fall in Australien

Für Sony-Chef Rob Stringer ist es nicht der erste Fall dieser Art. Im April 2021 feuerte das Unternehmen erst einen hochrangigen australischen Manager, drei Monate später den Landeschef Denis Handlin.

Beiden wurde „unangemessenes Verhalten“, Mobbing und mehr vorgeworfen. Vor allen am Umgang mit Handlin entzündete sich viel Kritik.

Für Sony-CEO Rob Stringer ist es nicht der erste Fall von möglichem Manager-Fehlverhalten. - Foto: IMAGO/Pacific Press Agency
Für Sony-CEO Rob Stringer ist es nicht der erste Fall von möglichem Manager-Fehlverhalten. - Foto: IMAGO/Pacific Press Agency

Nach Angaben von Mitarbeitern waren die Wutausbrüche und Tiraden von Handlin im Unternehmen seit Langem bekannt. Trotzdem hielt sich der Manager 51 Jahre lang bei Sony, 37 davon an der Spitze in Australien. Sein Führungsstil war so toxisch, dass die jährliche Mitarbeiterfluktuation bei Sony Music Australia zeitweise bei 50 Prozent lag. Nach seinem Abgang sagte seine Sekretärin: „Das Freundlichste, was ich über Denis sagen kann, ist, dass er alle gleich schlecht behandelt hat.“

Mitarbeiterinnen, die sich beklagten, habe Handlin angeschrien: „Ich werde dich vernichten! Du wirst nie wieder in der Musikbranche arbeiten!“ Nach Angaben des zuständigen Personalchefs ordnete Handlin die Entlassung von Mitarbeitern an, die ihn „nicht anlächelten“. All das sei lange bekannt gewesen, doch Handlin habe sogar eine interne Überprüfung überstanden, bevor er schließlich gehen musste.

Handlin wies die Vorwürfe zurück. Konzernchef Stringer sagte im Juli 2021, es sei bei Sony Australia „Zeit für einen Führungswechsel“.

Die Formulierung verärgerte viele. „Das hat uns am meisten aufgeregt, dass Sony sagte, oh, wir haben gerade von diesem Problem erfahren, das ist gerade ans Licht gekommen“, sagte der ehemalige australische Finanzvorstand Alan Terrey. „Das war absoluter Blödsinn.“ Der ehemalige Personalchef Greg Lockhart nannte den Umgang mit Handlin eine „Beleidigung aller Mitarbeiter, die jahrelang unter ihm litten“.

Nun läuft eine Untersuchung zu Daniel Lieberberg. Nach Informationen des Handelsblatts spielen dabei auch Vorwürfe von Vetternwirtschaft eine Rolle. Insider zeigen auf die Firma Wasted Talent, einen auf Music Publishing spezialisierten Verlag in Berlin, der gesellschaftsrechtlich im Besitz der Familie Lieberberg ist.

Lieberbergs private Geschäfte

Wasted Talent werde von Sony „einseitig mit Umsätzen versorgt“, steht im Brief der Sony-Whistleblower. „Der Einkauf erfolgt ohne marktübliches Prozedere. Absprachen finden im vertrauten Kreis und ohne Verhandlungen statt.“

Sony-Mitarbeiter berichteten dem Handelsblatt, sie würden unter Druck gesetzt, bei Wasted Talent unter Vertrag stehende Songschreiber oder Künstler zu protegieren. Dem Handelsblatt liegen E-Mails vor, in denen Lieberberg sich persönlich für eine Einbindung eines in Deutschland unbekannten Produzenten und Songschreibers starkmacht, der bei Wasted Talent ist. Lieberberg schlägt dabei eine Session mit einem sehr bekannten deutschen Künstler vor. Mehrere Mitarbeiter bestätigen dieses Vorgehen.

Lieberbergs Anwalt erklärte dazu: Es entbehre jeder Grundlage, dass sein Mandant sich in Verbindung mit seinen Gesellschaften compliancewidrig verhalten habe. „Dies ist schon aufgrund des bestehenden Administrationsvertrages ausgeschlossen.“ Nach Angaben von Sony Music hat Lieberberg seine Beteiligungen bei seiner Einstellung offengelegt. Diese seien geprüft und genehmigt worden, sagte eine Sprecherin.

Nach Informationen des Handelsblatts läuft die von den Whistleblowern ausgelöste Untersuchung zu Lieberberg noch. Erste Gespräche hätten Vorwürfe aus den beiden Briefen an den Betriebsrat und Konzernchef Stringer bestätigt, berichten mehrere Personen, die mit dem Vorgang vertraut sind. Lieberberg selbst hat vor wenigen Tagen Mitarbeiter und Führungskräfte informiert, dass eine Berichterstattung drohe, dabei aber nicht die Untersuchung durch die Rechtsabteilung erwähnt. Ein Mitschnitt liegt dem Handelsblatt vor.

Negative Bewertungen auf Jobportal

Es gebe einen Beitrag auf einem Jobbewertungsportal, sagte Lieberberg demzufolge. „Da geht es um eine toxische Unternehmenskultur bei Sony Music Europe, bei Sony in Berlin. Ich werde da beschuldigt, Leute anzuschreien, zu bedrohen und zu mobben. Ich habe einen Anwalt kontaktiert.“ Lieberberg sagte, er sei „natürlich ziemlich entsetzt und angewidert“.

Es gebe auch den Vorwurf eines Interessenkonflikts wegen seiner Beteiligung an der Publishing Firma, obwohl er dafür in seinem Vertrag mit Sony eine Erlaubnis habe. „Ich habe die Firma noch während meiner Zeit bei Universal gegründet, da hatte ich auch schon eine Erlaubnis“, sagte Lieberberg. Es gebe da aber auch einen Journalisten, der herumtelefoniere. Lieberberg wolle seine Kollegen deshalb warnen, „damit ihr das von mir zuerst hört“.

Die Vorwürfe seien verrückt, sagte Lieberberg. Der Journalist habe sich auch schon in der Sony-Zentrale in New York gemeldet. Dort habe man ihm gesagt, dass es keine Grundlage für die Anschuldigungen gebe. Lieberberg könne aber nicht verhindern, „dass jemand Lügen verbreitet“.

Noch während die Untersuchung zu Lieberberg läuft, bemüht sich das Unternehmen um eine Tilgung von Negativbewertungen des Europachefs. Auf dem Jobbewertungsportal Kununu lautete bis vor Kurzem ein Eintrag, der Arbeitstag bei Sony Music in Berlin sei „kaum noch zu ertragen“. Ein anderer schrieb: „Ob man in der Firma erfolgreich ist, hängt nur von der persönlichen Gunst des Europachefs ab.“ Lieberbergs Verhalten wirke „oft willkürlich und ist nicht an Kompetenz gekoppelt“.

Die Bewertungen sind inzwischen von der Internetseite verschwunden. Ein Sprecher von Kununu erklärte, Sony habe sich wegen dreier Einträge gemeldet und „angezweifelt, dass die bewertenden Personen tatsächlich dort arbeiten oder gearbeitet haben“. In diesen Fällen würde eine Bewertung vorläufig offline genommen und Kununu wende sich an die Verfasser. Könnten diese ihre Tätigkeit bei Sony nachweisen, gingen die Bewertungen wieder online.

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