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Sei dein Wort! Was sich hinter dem Satz „Wir schaffen das!“ verbirgt

Alles ist Handwerk

Kein Satz hat Deutschland seit dem 31. August 2015 mehr in Atem gehalten als Angela Merkels „Wir schaffen das!“ Dahinter steckt eine Philosophie des Handelns in einer Könnensgesellschaft, ohne die eine reine Wissensgesellschaft verloren wäre. „Cucula“ ist ein afrikanisches Wort und bedeutet „Wir schaffen das“. So heißt auch ein Berliner Verein, der eine Werkstatt betreibt, in der sich Flüchtlinge handwerkliches Können aneignen, indem sie Möbel bauen. Wir alle müssen Könner werden und immer wieder üben, um anschließend die Probleme der Gegenwart meisterhaft bewältigen zu können.

Schließlich geht es heute um die dringliche Frage, wer in der Lage ist, die Probleme der Gegenwart zu lösen: erfahrene Menschen mit Können und Ideen. Der Managementexperte Niels Pfläging nennt sie „Könner“. Das wird man allerdings nicht allein durch Wissen und Büffeln, sondern durch reflektierte Erfahrung in Form von disziplinierter Praxis. Dazu braucht es einen Meister, einen gestandenen Handwerker seines eigenen Lebens, der schon ein echter Könner ist (ihn erkennt man daran, dass er das eigene Können nicht überschätzt und die Kompetenzen anderer nicht unterschätzt) und in der Lage, andere anzuleiten.

Zu ihnen gehört auch der Unternehmer und Autor Matthias Krieger, der seine Erfahrungen im Buch „Die Lösung bist Du! Was uns wirklich voranbringt“ zusammengefasst hat. Der Diplom-Ingenieur hat seit 1992 die prägende Leitung der Unternehmensgruppe Krieger + Schramm. Der Hauptsitz von K + S befindet sich in Dingelstädt/Eichsfeld. Der Landkreis Eichsfeld im Bundesland Thüringen ist zentral gelegen, in hohem Maße handwerklich geprägt und verfügt über lange Handwerkstraditionen. 2013 zeichnete die TU München sein Unternehmen als das beste Bauunternehmen Deutschlands aus. Um außerhalb des Tagesgeschäfts die Bindung zu den Handwerkern zu erhöhen, wird pro Projekt ein gemeinsames Frühstück veranstaltet, zudem werden alle anwesenden Handwerker zum Richtfest für die Kunden des Unternehmens eingeladen. Auf diese Weise soll bei Kunden und Baupartnern das Gefühl gestärkt werden, dass es sich um ein Gemeinschaftsprojekt aller am Bau Beteiligten handelt. Qualität und Handwerk sind hier die solide Unternehmensbasis.

Hermann Scherer fragt in seinem Buch „Fokus!“, was wäre, wenn es das Handwerk nicht gäbe: „Keine Häuer. Keine Räder. Keine Maschinen. Keine Werkzeuge. Es gäbe gar nichts.“ Wer sich mit dem Flüchtlingsthema und dem afrikanischen Wort „Cucula“ beschäftigt, wird sein Buch von durch seine „Anschlussfähigkeit“ als wertvolle Ergänzung empfinden. „Sei dein Wort!“ ist das Plädoyer von Hermann Scherer. Denn es geht heute darum, ein Versprechen einzuhalten, das man aus freien Stücken mit sich selbst eingegangen ist. „… ein wesentlicher Grund, warum die meisten Menschen ihr Leben vor dem Tod nicht wirklich leben, liegt darin, dass sie ihren Fokus nicht auf ihr eigenes Wort legen.“

Warum die Welt auch Grenzen braucht

Scherer verweist auch auf die Bedeutung der Grenze als Abgrenzung bzw. als Ergebnis einer Trennung: „Nach dieser Trennung können wir das eine vom anderen unterscheiden und den beiden getrennten Dingen Begriffe zuordnen. Erst dann können wir sie begreifen.“ Genauso läuft der Erkenntnis- und Schöpfungsprozess ab: „zuerst abgrenzen, dann benennen, dann begreifen und erkennen, dann sich freuen.“ Um die Welt begreifen zu „können“, schafft der Mensch Grenzen. Daraus werden Möglichkeiten des Denkens, Handelns und Lebens gewonnen.

Auch das ist eine Erkenntnis des Wortes „Cucula“: dass auch eine „Willkommenskultur“ Grenzen hat und endlich ist, ja „dass Deutschland ein Land der begrenzten Fähigkeiten ist. Moralisch. Wirtschaftlich. Nervlich.“ (WirtschaftsWoche 33/12.8.2016) Manchmal braucht es Meister, die das sehen, aussprechen und den Könnern die Augen öffnen, damit sie handlungsfähig bleiben. Als Frank-Jürgen Weise Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wurde, übernahm er diese Aufgabe zusätzlich zu seinem Amt als Chef der Bundes-Arbeitsagentur (BAMF). In dieser Funktion gab er dem Journalisten und Autor Mario Müller-Dofel vor einigen Jahren ein Interview, das sich in seinem Buch „Karriere ohne Studium“ findet: Junge Menschen sollten sich das Handwerk unbedingt wieder genauer anschauen, sagt Weise und wirbt zugleich für mehr Praxisbezug an den Hochschulen, damit sich Akademiker zum Start ihres Berufslebens richtig einschätzen und schnell produktiv werden können. Auch Weise hat keinen akademischen Weg „absolviert“, sondern ist ihn handfest und pragmatisch „gegangen“.

Vielleicht kam ihm der Fokus auf das Wesentliche zugute. So mussten in kurzer Zeit im Flüchtlingsmanagement vor allem strukturelle Grundlagen verbessert werden - in den Prozessen und in der Führung. Bezogen auf das Flüchtlingsmanagement sagte Weise in einem Interview mit der WirtschaftsWoche (12.8.2016): „Natürlich schaffen wir das. Bezogen auf die Integration in den Arbeitsmarkt füge ich hinzu: und wir machen etwas daraus.“ Interessant ist auch hier eine Parallele zum Scherer-Buch, in dem es heißt: „Wenn ich einen Weg habe, werde ich ihn einschlagen. Wenn ich aber keinen Weg habe, dann werde ich einen finden. Und wenn ich keinen finde, dann werde ich einen machen.“ Das ist echtes Commitment: nicht nur etwas können, wollen oder dürfen, sondern es „außerdem auch tun werden“ (Hermann Scherer).

Weiterführende Literatur:

Matthias Krieger: Die Lösung bist Du! Was uns wirklich voranbringt. BusinessVillage Verlag, Göttingen 2011.

Hermann Scherer: Fokus! Provokative Ideen für Menschen, die was erreichen wollen. Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2016.

Niels Pfläging, Silke Hermann: Komplexithoden. Clevere Wege zur (Wieder)Belebung von Unternehmen und Arbeit in Komplexität. Redline Verlag, München 2015.

Mario Müller-Dofel: Karriere ohne Studium. Zum Umdenken und Mut machen: Zehn Interviews mit erfolgreichen Nichtakademikern und renommierten Personalexperten. Springer Fachmedien Wiesbaden 2015.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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