Sind wir noch ganz sauber?
Über Schmutz wird in unserer Konsumgesellschaft zu wenig nachgedacht
Der Begriff smuz ist seit dem 15. Jahrhundert in der Bedeutung von „anhaftender Dreck, Schmiere, Fett“ gebräuchlich und verwandt mit dem englischen Wort smut für „Schmutzfleck“ und „Ruß“: Auch die Wurzel mu für „feucht, modrig“ ist enthalten. Der Schmutz des 21. Jahrhunderts ist laut Duden „etwas, was irgendwo Unsauberkeit verursacht“. Hanne Tügel beschreibt in ihrem aktuellen Buch „Sind wir noch ganz sauber?“, dass der Mensch die modernsten Schmutzvarianten selbst in die Welt gebracht hat: „Nun sammeln sie sich an zwischen Himmel und Erde, als Weltraumschrott im All und als Mikroplastik im Meer.“
In Deutschland werden jährlich etwa 220.000 Tonnen Haushaltsreiniger sowie circa 260.000 Tonnen Geschirrspülmittel verkauft.
Die in diesen Produkten enthaltenen Chemikalien können Umwelt und Gesundheit belasten. Viele Inhaltsstoffe wie Phosphonate, optische Aufheller, Polycarboxylate, Koservierungsmittel, Silicone, Paraffine, Duftstoffen und Farbstoffe sind biologisch oft schwer oder nicht vollständig abbaubar, können sich in der Umwelt und in Organismen anreichern und die Gewässer belasten. Zusätzlich tragen bestimmte Inhaltstoffe (z. B. Phosphor- oder Stickstoffverbindungen) zu einer Überdüngung der Gewässer (Eutrophierung) bei.
„Wir verwenden weit mehr und weit aggressivere Mittel als es uns selbst und unserer Umwelt guttut.“ (Hanne Tügel)
Ein Blick in die Haushaltabteilungen der Drogeriemärkte bestätigt das: Staubmagnete, Dampfbesen, Wischroboter und Regale voller Chemiekeulen und Reinigungsmittel mit Pistolenaufsätzen suggerieren uns, dass der Krieg gegen den Schmutz mit Leichtigkeit zu gewinnen ist. Haushaltsreiniger gelangen früher oder später ins Abwasser.
Was der Verbraucher so selbstverständlich im Alltag einsetzt, ist für die Gewässer allerdings eine große Belastung.
Die Haushaltschemikalien können Wasserorganismen schädigen und zur Eutrophierung (Überdüngung) der Gewässer beitragen. Aber nicht nur dort können sie Schaden anrichten und sich anreichern. Viele handelsübliche Reinigungsmittel enthalten allergene Duftstoffe und Konservierungsmittel, die auch die Gesundheit gefährden können.
Ökologische Reinigungsmittel verzichten auf synthetische Konservierungsmittel, chlorchemische Zusätze und synthetische Duftstoffe. Auch werden viele Bio-Putzmittel, die zudem völlig ökologisch abbaubar sind, aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt. Verantwortungsvolle Unternehmen wie die memo AG in Greußenheim setzen auf leistungsstarke Wirkstoffe aus der Natur wie Essig, Soda oder Orangenöl. Gleichzeitig wird auf umweltschädliche Chemikalien wie Phosphate, Borate, Formaldehyd, PVC oder halogenorganische Verbindungen verzichtet. Auch verwenden die meisten ökologisch ausgerichteten Unternehmen wiederverwertbare Verpackungen oder bieten Nachfülllösungen an.
Das geht an die Wäsche
In einer konventionellen Waschmittelmarke finden sich als Enthärter schwer abbaubare und für Wasserlebewesen giftige Phosphonate. Das Verfärben soll die Chemikalie PVPP verhindern, Flecken entfernen genetisch veränderte Enzyme, und waschaktive Substanzen sind aus Erdöl, außerdem ist der allergieauslösende Konservierungsstoff Methylisothiazolinon enthalten.
„Wer viel wäscht, befreit sich vom eigenen Dreck – und gibt die Reste samt einer satten Dosis Chemie an die Gemeinschaft weiter.“ (Hanne Tügel)
Wenn all das nicht an die eigene Wäsche soll, sind Öko-Waschmittel zu empfehlen – allerdings ist es nicht immer leicht, Greenwashing von echten Alternativen zu unterscheiden, was daran liegt, dass die EU-Ökoverordnung ausschließlich für Lebensmittel gilt. Echte Öko-Waschmittel waschen mit Seifen, die aus Bio-Ölen hergestellt wurden oder mit Tensiden aus pflanzlichen Rohstoffen (vor allem Palmkern- oder Kokosöl sowie Mais- und Weizenstärke). Sie sind in Bio-Läden oder ökologischen Onlineshops erhältlich. Enthaltendes Soda und Silikate, natürliche Mineralsalze, machen das Wasser alkalisch und unterstützen so die Waschkraft.
Für Bio-Läden und Bio-Onlineanbieter hat der Bundesverband Naturkost Naturwaren Kriterien für ökologische Wasch und Reinigungsmittel festgelegt, die nur gentechnikfreie Enzyme erlauben, mehr biologische Abbaubarkeit als der Gesetzgeber fordern und viele problematische Stoffe ausschließen. Echte Öko-Waschmittel werden von externen Kontrollstellen wie ECOCERT (eine Organisation zur Bio-Zertifizierung, die Inspektionen in über 80 Ländern durchführt) und Ecogarantie (das Qualitätssiegel überprüft Kosmetik-, Wasch- und Reinigungsprodukte sowie Meersalz auf der Basis eigener Kriterien und denen der EU-Öko-Verordnung) zertifiziert und tragen deren Siegel. Eine Zertifizierung setzt unter anderem voraus, dass alle eingesetzten pflanzlichen Rohstoffe aus kontrolliert biologischem Anbau stammen und in ökologisch einwandfreien Produktionsabläufen verarbeitet werden.
Das Vollwaschmittel „Eco Saponine“ aus Seifenkraut kommt beispielsweise ohne Duft- und Farbstoffe sowie ohne chemische Zusätze aus. Die darin enthaltene natürliche Milchsäure reduziert Kalkablagerungen und spart den Enthärter für die Waschmaschine (Quelle: memolife). Es ist auch nach den strengen Kriterien des Nature-Care-Product-Standard (NCP) zertifiziert. Der von der Gesellschaft für angewandte Wirtschaftsethik (GfaW) vergebene Standard für verschiedene Produktbereiche verbietet Mikroplastik, Gentechnik, Tierversuche (außer den gesetzlich verpflichtenden), Silikone und Tenside sowie radioaktive Bestrahlung. Palmöl darf nur dort eingesetzt werden, wo es sich nicht vermeiden lässt und muss dann aus kontrolliert biologischem Anbau stammen. Zusätzlich muss die Verpackung der Produkte umweltverträglich, recyclingfähig oder wiederverwendbar sein.
Das Vollwaschmittel, das seit dem Jahr 2011 angeboten wird, ist seit März 2018 in einer Flasche aus 100 % Kunststoffabfällen erhältlich. Sie entstehen durch den privaten oder gewerblichen Endverbraucher (post consumer waste). Das benötigte Material ist bereits vorhanden und muss nicht neu hergestellt werden - das spart wertvolle Rohstoffe, Energie und CO2 ein. Zudem landen Kunststoffe, die wiederverwertet werden, gar nicht erst als Müll in der Umwelt. Auch bereits recycelter Kunststoff lässt sich - ebenso wie neu gefertigter - erneut recyceln. Zusätzlich ist das Waschmittel auch nach den strengen Kriterien des Nature-Care-Product-Standard (NCP) zertifiziert.
Natürlicher Schmutz ist dagegen für Hanne Tügel nichts, vor dem sich Menschen fürchten müssen.
„Staub ist der Ur-Schmutz, aber auch unser Ur-Ahn: Ohne ihn gäbe es uns nicht. Er begleitet uns von Anfang bis Ende“, schreibt sie und zeigt, dass Schmutz zum Leben gehört und unser Bedürfnis verhöhnt, alles unter Kontrolle zu bringen. Seit 1995 ist die Journalistin Redakteurin bei GEO. Dort war sie verantwortlich für Titelgeschichten wie „Einfach besser leben“, „Wer erklärt uns die Welt?“, „Kreativität“ und „Meditation“ und die erfolgreiche Serie „Weisheit“. Zu ihren bisherigen Buchveröffentlichungen gehören u.a. „Wege zur Weisheit. Der Traum vom richtigen Leben“ (2013). Vor diesem Hintergrund ist auch der weitverzweigte, interdisziplinäre Ansatz ihres Buches „Sind wir noch ganz sauber?“ zu verstehen, das immer wieder zu uns hinführt und uns zeigt, dass Hygiene nicht keimfreie Ultraeinheit bedeutet, sondern auch das Bewahren und Fördern von Gesundheit.
Dabei hilft auch ein Blick auf die griechische Göttin Hygieia, Tochter von Asklepios, dem Gott der Heilkunst, und Epione, der Göttin der Schmerzlinderung. Ihre Schwester ist Panakeia, die Göttin der Kräuterkunde und Zauberei. Hygieia selbst ist für die ganzheitliche Gesundheit zuständig. All das bildet einen nachhaltigen Rahmen für den richtigen Umgang mit Schmutz: „Im Vordergrund steht nicht ein Picobello-blitzblank-Ambiente, sondern eine Umgebung, die dem Wohlbefinden dient.“ (Hanne Tügel)
Weiterführende Informationen:
Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.
Hanne Tügel: Sind wir noch ganz sauber? Edel Germany GmbH, Hamburg 2019.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut in Mode: Wissenswertes über nachhaltige Bekleidung und Textilien. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.