Smart Homes: Wie kann Digitalisierung zu einem nachhaltigeren Leben beitragen?
Interview mit den IT-Experten Marc Böhm, Tobias Lehmann und Elmar Loth
Elmar Loth: Die Augmentierung, das heißt die Erweiterung konventionellen Wohnens, durch die Nutzung von Technologien. Ziel ist es, das Wohnen und Leben durch Automatisierung bequemer und sicherer zu machen. Darüber hinaus kann ein smartes Zuhause seine Bewohner dabei unterstützen, Energie einzusparen.
Tobias Lehman: Ganz konkret heißt das: Diverse Geräte wie z.B. Steckdosen, Licht, Jalousien, Wetterstation, Heizung, Alarmanlage sind miteinander vernetzt, können mit entsprechender Technologie automatisiert und zentral gesteuert werden. Das bringt vor allem mehr Komfort und Lebensqualität – wenn z.B. die Jalousien automatisch heruntergefahren werden, wenn es dunkel wird und ich nicht mehr selbst zu jedem einzelnen Fenster laufen muss.
Marc Böhm: Die Vernetzung der einzelnen Geräte allein macht ein Zuhause noch nicht smart. Es ist die Software, die dazu beiträgt, dass aus einem Signal oder einem Messwert eine Aktion folgt, im Idealfall selbst lernend, sich stetig adaptierend und so automatisiert, dass die Technik für den Bewohner ein echten Mehrwert generiert.
Elmar Loth: Informationen – z.B. Messwerte und Sensordaten – stehen heute zu vergleichsweise geringen Kosten zur Verfügung. Das bietet viel Potenzial für Automatisierung und Optimierung durch Künstliche Intelligenz. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass wir uns von technischen Systemen abhängig und – mangels besseren Wissens - in der digitalen Welt angreifbar machen. Hier sind unabhängige Experten gefragt, die Interessierte bei der Auswahl der passenden Lösung unterstützen.
Tobias Lehmann: Eine weitere Herausforderung ist die Kompatibilität der unterschiedlichen Geräte im Smart Home. Viele Hersteller nutzen eigene Standards, so dass ich – mehr oder weniger – dazu gezwungen werde mich auf einen Anbieter festzulegen, wenn ich nicht einen größeren Aufwand betreiben will. Eine höhere Standardisierung würde mehr Kompatibilität und damit eine individuellere Gestaltung des eigenen Smart Homes erlauben.
Marc Böhm: Noch hat sich die Idee des Smart Homes nicht in der breiten Masse durchgesetzt. Das hat einerseits mit den Investitionskosten für ein Smart Home und dem sehr heterogenen Marktangebot zu tun. Da ist es für den Laien schwierig sich für die passende Lösung zu entscheiden. Weiterhin ist das Thema Datenschutz und Funktionssicherheit für Fachfremde kaum zu verstehen und zu überblicken. Wo werden die Daten, die mein Smart Home sammelt, gespeichert und verarbeitet? Kann ich mein Smart Home weiterhin steuern, wenn die Internetverbindung ausfällt? - Wir stehen noch am Anfang der Entwicklung, die aber rasant an Fahrt aufnehmen wird – spätestens, wenn die Generation Z ihr eigenes Zuhause gestalten will, werden integrative Smart Home Technologien selbstverständlicher Teil des Wohnens werden.
Elmar Loth: Es besteht aus den üblichen Gewerken wie z.B. Licht, Sonnenschutz, Heizung und einer zentralen Einheit – häufig Home Server genannt. Die zentrale Einheit vernetzt Komponenten, automatisiert Abläufe und stellt Interaktionswege für Benutzer, z.B. visuell über Tablets aber auch akustisch durch Sprachassistenten, bereit.
Tobias Lehmann: Die Verbindung der verschiedenen Geräte erfolgt dabei mittels Funk-Technologien wie Bluetooth, WLAN oder kabelgebundenen Bus-Systemen wie KNX. Sensoren, wie z.B. Präsenzmelder oder Wetterstation liefern Informationen, auf deren Basis, die sogenannten Aktoren Aktionen auslösen – beispielsweise das Herunterfahren der Jalousien bei einer bestimmten Helligkeit und Temperatur.
Marc Böhm: Wesentliche Funktionen eines Smart Homes sind die Vernetzung verschiedenster Elemente, die Integration unterschiedlichster technischer Standards, Kommunikationsprotokolle, von Sensorik- und Messdaten sowie die Automatisierung von Routinen und Aktivierung von Szenarien. Das kann sowohl proaktiv durch die Bewohner erfolgen, entsprechend definierter Parameter und Logiken oder durch maschinelles Lernen.
Elmar Loth: Wenn ich mein Zuhause „smart“ gestalten möchte – muss ich einerseits meine persönlichen Rahmenbedingungen berücksichtigen. Plane ich ein neues Haus oder gibt es eine bestehende Infrastruktur? Andererseits sollte ich mir darüber klar werden, wie mein Smart Home gestaltet sein soll. Was will ich steuern und wie? Was soll automatisiert werden? Weiterer Punkt ist die persönliche Investitionsbereitschaft. Erst wenn diese Aspekte geklärt sind, kann ich mich mit weiteren Kriterien wie Wartungsaufwand, Erweiterbarkeit und Flexibilität des Smart Homes sowie Sicherheit und Zuverlässigkeit des Betriebs befassen.
Tobias Lehmann: Gerade die persönliche Wohnsituation definiert einige Eckpunkte eines Smart Homes. Wird ein Smart Home „nachgerüstet“ ist in den meisten Fällen nur eine kabellose Lösung möglich. Im Neubau kann eine kabelgebundene Lösung wie z.B. KNX gewählt werden. Sie hat u.a. den Vorteil, dass es viele unabhängige Hersteller gibt, die diesen Standard nutzen. Auch in puncto Sicherheit hat eine Kabellösung Vorteile gegenüber einer Funklösung.
Marc Böhm: Neben diesen technischen Fragen gibt es noch einige „weiche Faktoren“, über die man sich bereits zu Anfang Gedanken machen sollte: Wie individuell soll mein Smart Home sein und wie viel möchte ich darin selbst beeinflussen können, z.B. durch die Gestaltung eigener „Szenen“ oder die „Programmierung“ von Schaltern? Wie technisch affin bin ich, um mich mit den verschiedenen Technologien auseinanderzusetzen? Oder bin ich eher der Typ: „Es soll einfach funktionieren? Über meine persönlichen Antworten auf diese Fragen sollte ich mir bereits vor der Konzeptionierung Gedanken machen.
Marc Böhm: Tatsächlich leben wir alle drei in einem Pilotprojekt, wenn man es so will. Als meine Frau und ich 2011 unser gemeinsames Haus planten, war für mich klar, dass ich auch meinen Traum realisieren und es „smart“ gestalten will. Gleichzeitig musste ich feststellen, dass die Lösungen am Markt meinen Anforderungen an Sicherheit, Individualität und Einfachheit nicht gerecht wurden. Also habe ich mich kurzerhand dafür entschieden, eine eigene Softwarelösung zu entwickeln. Mit Tobias Lehmann und Elmar Loth habe ich Gleichgesinnte gefunden, die sich ebenfalls beim Bau ihres Eigenheims „smart“ ausgerichtet haben und die Software nun selbst einsetzen und weiterentwickeln.
Tobias Lehmann: Technikaffin war ich schon immer und so hat es in der Vesper- bzw. Mittagspause nicht viele Gespräche mit Marc und Elmar benötigt damit ich überzeugt war und mir dachte – das brauche ich auf jeden Fall auch! Noch bevor die eigentliche Hausplanung startete, war bereits ein kompletter Testaufbau konzipiert und programmiert. Funktionen wie die automatische Steuerung von Licht, Jalousien und vieles mehr möchte ich heute nicht mehr missen.
Elmar Loth: Für mich war von vorneherein klar, dass mein neues Haus über möglichst viele Möglichkeiten verfügen soll die Tagesabläufe der Bewohner zu unterstützen. Technisch gehört dazu ein solides und robustes Bus-System zur Vernetzung des Hauses und aller Gewerke. Im Lauf der Zeit ändern sich Abläufe und Wünsche, daher ist eine flexible und einfach konfigurierbare Software die ideale Ergänzung.
Marc Böhm: Das „Tiny Smart Home“ ist das Spielhäuschen meiner Kinder. Da sie beide in einem smarten Zuhause aufwachsen, ist es für sie „normal“, dass z.B. die Jalousien licht- und temperaturgesteuert herunter-und hochfahren. Irgendwann kam dann die Frage, warum denn ihr Spielhäuschen keine automatisierten Funktionen habe. So entstand die Idee, das Häuschen als „Konzepthaus“ auszubauen. Um zu zeigen, dass ein smartes Zuhause robust, energiesparend und einfach zu bedienen sein kann. Über die Funktionen und die Umsetzung schreiben wir in unserem Blog unter seveno.org.
Elmar Loth: Laut Statista sollen 2021 fast 8 Mio. der deutschen Haushalte über Smart-Home-Elemente verfügen. Die Bandbreite, was alles ein Smart-Home ausmacht ist allerdings sehr groß. Bei solchen Zahlen sind bereits Objekte enthalten die lediglich smarte Lautsprecher-Systeme verwenden. Der Prozentsatz „echter“ Smart Homes, die unterschiedliche Gewerke vereinen und steuern, liegt eher im unteren einstelligen Prozentbereich.
Marc Böhm: Aus einem aktuellen Bericht der ct wird davon ausgegangen, dass die Zahl der Smart Homes sich bis 2025 mit rund 20 Millionen Haushalten sogar mehr als verdoppeln soll.
Elmar Loth: Ansatzpunkt zur Energieeinsparung gibt es viele: die intelligente Steuerung der Beschattung, die Einbeziehung von Wettervorhersagen in die Heizungssteuerung und Bewässerung, das Ausdimmen von Lichtern oder auch der Heizung in ungenutzten Bereichen oder auch die Warnung vor offenen Fenstern. Die Technologie kann dabei unterstützen, Unachtsamkeit oder Fehlbedienungen von Bewohnern auszugleichen und so den Energieverbrauch zu optimieren.
Tobias Lehmann: Darüber hinaus kann z.B. die Vernetzung von Wetterstation, der Photovoltaik-Anlage und von Stromverbrauchern ebenfalls dazu beitragen, dass Energie besser genutzt wird. Die Waschmaschine wird dann z.B. bei Sonnenschein gestartet und dafür der aus Sonnenkraft gewonnene Strom genutzt.
Auch die Reduktion des Standby-Verbrauchs von Geräten kann dazu beitragen den Energieverbrauch zu reduzieren. Der Standby-Betrieb von Geräten kann von der Präsenz der Bewohner abhängig gemacht werden und Geräte komplett abgeschaltet werden, wenn keiner im Haus ist.
Marc Böhm: Entscheidend ist das Zusammenspiel verschiedener Elemente in meinem Zuhause, die ich durch Automatisierung und Optimierung der zeitlichen Abläufe so steuern kann, dass Energie eingespart wird.
Elmar Loth: Die Bedenken sind nachvollziehbar und teilweise berechtigt. Gerade für Laien ist es schwer einschätzbar, bei welchen Lösungen meine Daten sicher sind und wo nicht. Grundsätzlich würden wir eine Nutzung von Systemen empfehlen, die keine Cloud erfordern, so dass die Daten sprichwörtlich im eigenen Haus liegen und nicht missbraucht werden können. Auch der Einsatz von Open-Source-Systemen ist vorteilhaft, weil Open-Source-Software von einer aktiven Entwicklergemeinde stetig weiterentwickelt wird und somit auch von einer erhöhten Sicherheit auszugehen ist. Zudem macht man sich nicht von einzelnen Herstellern abhängig.
Hybride Lösungen können eine Alternative sein, wenn man z.B. auf die Vorteile einer Cloud-basierten Sprachsteuerung wie Alexa oder Siri nicht verzichten möchte. Hybrid bedeutet, dass ich den wesentlichen Teil der Infrastruktur „im Haus“ habe und nur an den Stellen Cloud-Lösungen zulasse, an denen es für die Funktion – also z.B. die Sprachsteuerung – notwendig ist. Auch da würde ich immer sicherheitskritisch sein und das Verschlusssystem einer Haustür nicht per Sprachbefehl und damit über eine Cloud steuern.
Tobias Lehmann: Die Empfehlungen des Bundesamts für Sicherheit und Informationstechnik können bei der Einrichtung eines Smart Home Systems Orientierung bieten. Das BSI empfiehlt beispielsweise bereits vor dem Erwerb bzw. der Einrichtung eines Smart Home Systems Sicherheitsfragen mit dem Anbieter zu klären. Dann gilt es sich mit Sicherheitsmaßnahmen befassen und diese umzusetzen. Indem man die Geräte entsprechend einstellt, sichere Passwörter wählt, und ganz wichtig: für die Smart-Home-Infrastruktur, für Gäste und Surfen ein separates Netzwerk einrichtet. Für die Steuerung von unterwegs kann ein sicherer VPN-Zugang eingerichtet werden.
Marc Böhm: Woran es unserer Erfahrung nach oftmals mangelt, ist eine Orientierung für den technischen Laien. Der Anwender muss sich auf die Angaben der Anbieter und Hersteller verlassen. Es gibt keine Standardisierung oder gar Gütesiegel von unabhängiger Stelle.
Elmar Loth: Durch die Funktionen des Smart Homes können Energieprozesse in die Wohnsituation vollständig integriert werden. Durch Vernetzung, Datenanalyse und Automatisierung kann das Zusammenspiel nachhaltiger Energiequellen wie Photovoltaik und Solarthermie, der Energiespeicherung in eigenen Speichermedien und die Energienutzung selbst optimiert werden.
Tobias Lehmann: Nachhaltigkeit sollte auch bei der Auswahl der Smart Home Technologie und Komponenten eine Rolle spielen. Ich stelle damit die Weichen für die Zukunft meines Smart Homes. Die Wahl eines Kommunikationsprotokolls wie KNX, das als sehr „stabil“ gilt und von vielen Geräteanbietern unterstützt wird, gibt Zukunftssicherheit, weil es Erweiterungen und Ausbaustufen zulässt.
Marc Böhm: Setzt man zudem von Anfang an auf qualitativ hochwertige Komponenten, statt billiger Baumarktware, wird man an seinem Smart Home lange und nachhaltig Freude haben.
Die Personen:
Marc Böhm, geboren 1981, ist freier IT-Berater und leidenschaftlicher Softwareentwickler. Bereits als 12-Jähriger hat er seine ersten Programme geschrieben. 2005 wagte er gemeinsam mit einem Kompagnon den Weg in die Selbstständigkeit und gründete die CHILIBYTES GmbH, ein Unternehmen für individuelle Softwareentwicklung. Sein Beruf ist gleichzeitig sein Hobby – mit dem Hausbau 2012 realisierte er seinen Traum eines „Smart Homes“. Dabei setzte er von Anfang an auf die Eigenentwicklung einer App, die er inzwischen mit zwei Gleichgesinnten weiterentwickelt und im privaten Umfeld einsetzt. Mit „SEVEN|O“ verfolgt er seine ganz persönliche Vision, die reale mit der Software-Welt sinnvoll und sicher zu verbinden.
Tobias Lehmann, geboren 1985, ist Softwarearchitekt in einem Identity- und Access-Management-Projekt. Nach erfolgreichem Abschluss des Bachelor-Studiums der Softwaretechnik an der Hochschule Esslingen folgte ein Master-Studium in „Distributed Computing Systems Engineering“ an der Brunel University London. Seit 2010 ist er Angestellter der intension GmbH, bei der er in einem Projekt zur automatischen Traktorsteuerung die ersten Erfahrungen in der „App-Entwicklung“ sammelte. Seit der Planung des eigenen „Smart Homes“ Ende 2016 ist die Entwicklung der gemeinsamen App „SEVEN|O“ nicht nur ein großes Hobby, sondern die Bereitstellung grenzenloser Möglichkeiten in der Steuerung und Automatisierung des Eigenheimes.
Elmar Loth, geboren 1971, ist freiberuflicher IT-Berater. Direkt nach seinem Informatik-Studium hat er sich mit Kommilitonen selbstständig gemacht und war zwei Dekaden geschäftsführender Gesellschafter einer Software-Schmiede im Umfeld des Identity Managements. Durch und durch Technologie-Enthusiast hat er mit dem Aufkommen der Industrie 4.0-Ära eine neue Herausforderung in der Verknüpfung der realen Welt mit in Software gegossenen Prozessen gefunden. Im eigenen Haus Smart Home-Lösungen einzusetzen, zu optimieren und neue Wege des Machbaren zu finden, gehört selbstredend dazu. Mit SEVEN|O teilt er die Leidenschaft seiner Co-Autoren, eine Smart Home-Lösung zu schaffen, die intelligent und unaufdringlich die Bewohner beim Leben unterstützt.
Ich danke Ulrike Böhm für die Koordinierung des Beitrags.
Marc Böhm, Tobias Lehmann, Elmar Loth: Zuhause – smart und nachhaltig. In: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2021.