Üben Sie Fröhlichkeitszwang aus?
Unser Umgang mit dem Stress, der Wut oder dem Kummer anderer wird davon beeinflusst, wie wir mit unseren eigenen Sorgen und Ärgernissen umgehen können.
Schlechte Laune ist ansteckend. Das sagt nicht nur der Volksmund, das ist wissenschaftlich erklärbar. Wenn die Chefin genervt guckt oder der Kollege einen anmuffelt und nur einsilbig antwortet, ist kurze Zeit später auch unsere Stimmung im Sinkflug. Schuld sind die Spiegelneuronen in unserem Gehirn. Das sind spezielle Nervenzellen, die auf die Stimmungen und Gefühle anderer Menschen reagieren und sie spiegeln, als wären sie unsere eigenen. Sie machen uns zu sozialen, mitfühlenden Wesen.
Die Laune unseres Gegenübers beeinflusst immer unseren Gefühlszustand
Gute Laune schwappt genauso über, wie sich negative Gefühle auf uns übertragen. Oftmals beziehen wir sie auch direkt auf uns, wir erleben sie wie ein unausgesprochenes Feedback. Wenn uns etwa jemand mürrisch anguckt, denken wir oftmals: „Habe ich wohlmöglich etwas falsch gemacht?“
Wie sehr man sich die Probleme oder Launen des anderen zu eigen macht beziehungsweise sich davon abgrenzt, ist allerdings unterschiedlich stark ausgeprägt.
Unser Umgang mit dem Stress, der Wut oder dem Kummer anderer wird davon beeinflusst, wie wir mit unseren eigenen Sorgen und Ärgernissen umgehen können. Es gibt Menschen, die nicht mal einen Hauch von Anspannung oder Sorge bei ihrem Gegenüber ertragen können. Ihnen fehlt in gewisser Weise die Möglichkeit, mit anderen mitzufühlen, ohne mitzuleiden. Sie machen sich die Probleme des anderen zu eigen – und sind davon so gestresst und überfordert, dass sie sehr viel dafür tun, um bloß alle bei guter Laune zu halten. Das kann gegebenenfalls in einen regelrechten Fröhlichkeitszwang kippen.
Welche Persönlichkeitstypen üben Fröhlichkeitsdruck aus?
Das übergroße Bedürfnis nach der immer glücklichen Familie, Partnerschaft oder auch spannungsfreien, kollegialen Zusammenarbeit kommt häufig bei besonders angepassten oder besonders autonomen Menschen vor – allerdings aus unterschiedlichen Gründen.
Überangepasste Menschen beobachten ständig, wie es ihrem Gegenüber geht. Sie leben in einer diffusen Angst, anzuecken, nicht gut genug zu sein und abgelehnt zu werden. Diese „angepassten Naturen“ sind deshalb bemüht, die Erwartungen und Wünsche des anderen zu erfüllen. Sie fühlen sich schnell als verantwortlich für die schlechte Laune des anderen.
Aber nicht nur die überangepassten sondern auch die autonomen Persönlichkeiten haben Probleme mit den verschiedenen Ausprägungen von Stress und Kummer. Ihnen sind ihre Unabhängigkeit und ihr persönlicher Freiraum immens wichtig. Persönliche Distanz – auch zu ihren eigenen Gefühlen – vermittelt ihnen inneren Halt und Schutz. Sie haben versucht, sich selbst die sogenannten schwachen Gefühle abzutrainieren. Wenn sie diesen Gefühlen bei ihrem Gegenüber begegnen, wissen sie nicht recht, wie sie damit umgehen sollen. Sie bagatellisieren oftmals: „Ist doch nicht so schlimm.“ Solche aufmunternden Sprüche sollen die schlechte Stimmung unterbinden und „schnell alles wieder gut machen“.
Warum wir negative Emotionen nicht negieren sollten
Funktioniert das? Nein! Kummer, Angst oder Missmut werden eigentlich nie dadurch aufgehoben, dass man sie wegorganisiert, kleinredet oder negiert. Sich all seinen Emotionen zu stellen und mit ihnen umzugehen, ist eine zentrale Entwicklungsaufgabe des Menschen. Sie beginnt mit der Geburt und begleitet uns über das Trotzalter, das Schulalter, die Pubertät bis ins hohe Lebensalter.
Der Anspruch, „always happy“ zu sein, ist für Beziehungen – ganz gleich welcher Art – also eine Belastung. Die Lösung ist eine Gratwanderung: Natürlich belastet uns der muffelige Mann, die nörgelige Freundin oder der dauergestresste Kollege. Aber wir müssen nicht in ihrem Emotionendebakel untergehen. Klar wollen wir alle es lieber lustig und entspannt haben. Aber mit übertriebenem Fröhlichkeitsdruck versuchen wir einfach nur, das auszublenden, was uns nicht leichtfällt. Das Leben wird dadurch letztlich aber gar nicht schöner, es wird nur weniger vielfältig.