Umgang mit schwierigen Mitarbeitern
Die Fehlzeiten von Maike S. haben sich seit 2022 dermaßen gehäuft, dass sie zum Politikum in dem zwölfköpfigen Team von Karl-Heinz P. wurden. Denn der 57-jährige Ingenieur ließ der 24-jährigen Assistentin bis dato nahezu alles durchgehen, beließ es bei Ermahnungen und Appellen und verließ sich ansonsten auf sein Team, das kollegial die Ausfälle kompensierte.
Ein Dreierteam drängte auf ein Gespräch mit dem Teamleiter und forderte ihn ultimativ zum Handeln auf. In seiner Not wandte sich P. an einen befreundeten Führungskräftecoach mit therapeutischer Ausbildung. Schon im ersten Gespräch mit dem Fachmann wurde deutlich, dass P. konfliktscheu und letztlich harmoniebedürftig ist, was ihn auch in anderen Kontexten etwa mit seinen Vorgesetzten oder schwierigen Kunden in kritische Situationen manövriert.
Der Coach machte ihm bewusst, dass P.s Vater cholerisch war, in der Familie Angst und Schrecken verbreitete und der Sohn schon als Gymnasiast für sich klar hatte, niemals so werden zu wollen wie sein Vater.
In der zweiten Session konnte der Ingenieur aus der Automobilbranche erkennen, was ihn noch am Handeln hinderte: Das Team machte es ihm zu einfach, die Fehlzeiten von Maike zu ignorieren.
Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels lag in seinem Schatten auch die Sorge, die junge Frau könne kündigen und er finde keine Nachfolgerin für sie. Auch hatte P., der sich gern in technische Verfahren vertieft, größten Horror vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen bzw. sich überhaupt juristisch schlau zu machen, welche Möglichkeiten er hat, das Verhalten der Mitarbeiterin zu sanktionieren und welche Eskalationsstufen dann folgten. Sein Coach machte ihm bewusst, dass er als Führungskraft mehrere Hüte aufhat, die er nicht einfach verleugnen dürfe. So trägt er als Vorgesetzter sozial wie juristisch Verantwortung für die vermeintlich lebenslustige Frau, die gern auf Partys geht, übernächtigt und einiges mehr – und dann Fehlzeiten hat.
Sein Dulden war in dem Fall eine Kollaboration zum Schaden der jungen Frau, die durch sein Ignorieren nicht in ihre Verantwortlichkeit und Reife hineinwuchs und sich damit Verhaltensmuster antrainierte, die sie letztlich weder arbeitsmarkttauglich noch teamfähig machen. Köpfe-mäßig noch schwerer wog aber, dass P. sein gesamtes Team unter der ungeklärten Situation leiden ließ, damit seine Fürsorge gegenüber diesen involvierten Mitarbeitern verletzte und letztlich auch deren (innere) Kündigung riskierte. Schließlich hatte das Team in Form von Mobbing bereits zu Selbstjustiz gegriffen, die das Ansehen des Teams insgesamt belastete.
Dermaßen präpariert, wurde P. klar, was zu tun war: Bei der HR-Abteilung informierte er sich über Sanktionsmaßnahmen in solchen Fällen, zum Beispiel die Möglichkeit einer Abmahnung.
Über die Zeiterfassung recherchierte er die Fehlzeiten von Maike und deren jeweilige Reaktionen und Ausreden.
Dermaßen präpariert, „spielte“ er mit seinem Coach die Situation des Konfliktgesprächs mit der unzuverlässigen Mitarbeiterin durch. Dieser machte ihm vor allem bewusst, welche Gefühle in ihm als Chef nun präsent waren, nämlich vor allem Wut, dass die Mitarbeiterin „aus der Reihe tanzt“ und ihm Probleme bereitet; aber auch Angst, er könne nun im Konflikt etwas „falsch“ machen oder gar cholerisch wie sein Vater einst werden. Vor allem letztere Angst sei eindeutig durch die „Vaterwunde“ aus der Kindheit verursacht, was sich lohne, zu einem späteren Zeitpunkt noch separat ausgeleuchtet und bearbeitet zu werden, so der therapeutische Coach.
Durch diese Klärung komme P. letztlich in eine Souveränität, die sich dann ganz der jeweils konkreten Situation zuwenden kann und nicht durch „Altlasten“ überlagert ist. Mit der Mitarbeiterin vereinbarte der Vorgesetzte einen Termin - er konfrontierte die 24-Jährige mit den Fakten und bat sie, dazu Stellung zu nehmen. Zunächst versuchte sie es wieder mit Floskeln, Koketterie und Abwiegeln, doch als der Chef klar und ruhig blieb und mehrfach die Fakten – häufige Fehlzeiten, Belastung der Kolleginnen, Störungen im Team – wiederholte, stellte sich Maike den Vorwürfen.
Unter Tränen „gestand“ sie, dass ihr „das Ganze“ leidtue. Mehrfach habe sie Liebeskummer gehabt, teils schlechten Umgang und Stress mit ihrer Mutter. Das Weggehen und Partymachen habe sie von ihren Sorgen abgelenkt und in der Praxis sei doch „trotzdem alles gelaufen“. Diese falsche Wahrnehmung konnte P. nun widerlegen und er spürte, dass er dies schon viel früher hätte tun sollen. Das Gespräch und die Tränen der Mitarbeiterin hatten ihn zwar angestrengt, diese Klärung war aber nun auch reinigend und vor allem war das Gespräch nicht so konfrontativ geworden, wie er es sich vielfach zuvor „ausgemalt“ hatte.
Letztlich musste P. nicht mal die Sanktionen aussprechen, weil er das ehrliche Bedauern der jungen Frau spürte. Schließlich ließ er sie mit einer Selbstverpflichtung, dass dies nicht mehr vorkomme, gehen. Auch stellte Maike in Aussicht, mit ihrer Hausärztin über ihr Verhalten zu sprechen und eventuell eine Selbsthilfegruppe zu besuchen, um emotional stabiler zu werden.
Als letzten Schritt informierte P. sein Team über das Gespräch; entschuldigte sich, das Thema solange verschleppt zu haben und dankte den Mitarbeitern für ihre Loyalität und ihre Offenheit.
Daraus entstand die Idee, quartalsweise oder halbjährlich eine moderierte Teamentwicklung zu installieren, um künftig präventiv Störungen ansprechen und sich wechselseitig Rückmeldungen geben zu können.
Autor Leonhard Fromm ist Gestalttherapeut in Schorndorf bei Stuttgart. Er hat diesen Fall selbst erlebt und verfremdet hier skizziert. Der 59-Jährige bietet seit 2015 diverse Gruppen an, teils nur für Männer in Präsenz und online, gibt Wochenenden in Bildungshäusern und arbeitet mit Teams sowie Führungskräften im Einzel. www.der-lebensberater.net