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„Und eines Tages sind wir alle tot …“: Was bleibt von Manfred Krug?

Mutig, kraftvoll, unangepasst, laut und selbstgerecht, unerschrocken und wahrhaftig sind Attribute, die dem Schauspieler, Sänger, Schriftsteller Manfred Krug (1937–2016) zugeschrieben werden. Aber er war auch feinfühlig: „Wenn ich singe, zeige ich, was für ein Mensch ich wirklich bin.“

1996 begann er mit dem Tagebuchschreiben. Ihm war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst, dass ihm eine dramatische Zeit bevorsteht: Mit fast 60 wurde er noch einmal Vater einer unehelichen Tochter. Seine Frau Ottilie, die im Oktober 2020 in Berlin so leise und unauffällig starb, wie sie an seiner Seite gelebt hatte, ahnte, dass es eine Geliebte gab, wusste aber nichts von dem Kind (geb. 1995). Sie erfuhr erst ein Jahr vor den Dreharbeiten zu „Abgehauen“ durch Zufall von seiner Tochter Marlene, die er mit einer Schauspielkollegin gezeugt hat.

Während dieser Zeit verschlechterte sich auch der Gesundheit seines Freundes Jurek Becker, der im März 1997 starb. Drei Monate später hatte Krug einen schweren Schlaganfall, den er im ersten Teil seiner Aufzeichnungen aus den Jahren 1996–1997, „Ich sammle mein Leben zusammen“, beschreibt. Am Krankenbett begegneten sich Ehefrau, Geliebte und Tochter. Beide waren in einer kleinen Wohnung im Hinterhaus der Familie Krug, die vorn lebte, untergebracht. Das führte unweigerlich zu Spannungen.

Er entfernte sich von der Mutter seines kleinen Kindes, konnte allerdings die lange Trennung von ihm kaum ertragen. Er litt an seinen Widersprüchlichkeiten und seiner angeschlagenen Gesundheit, denn seit seinem Schlaganfall war nichts ist mehr, wie es war. „Auf alles, selbst auf den Schlaganfall, war ich irgendwie gefaßt. Aber nie hätte ich damit gerechnet, daß mein bulliges Knochengerüst nicht ausreichen könnte“, schreibt er am 2. Januar 1998. Eine Körperhälfte gehorchte nicht mehr, hinzu kamen Blutstürze aus der Nase und Vergesslichkeit. Er fühlte sich „nicht weit vom Siechtum“ und spürte, wie seine Kräfte schwanden.

Im Januar 1998 wollte er sich nicht länger mit seiner Gesundheit beschäftigen: „Denn was sich mir allmählich naht, kann eigentlich nichts anderes als der Tod sein. Dem will ich den Rücken zudrehen, so lange ich kann.“ Aber er kündigte sich immer wieder an und erschien ihm auch in anderen Kontexten. So notierte er im August 1998, dass der Fernsehmoderator Hans Joachim Kulenkampff an Krebs gestorben ist, und zitiert seine Worte des letzten öffentlichen Auftritts: „Ich weiß nicht, wohin ich gehe, aber ich gehe nicht ohne Hoffnung.“

Einem großen Publikum ist Manfred Krug als Maurer-Polier im DEFA-Film „Spur der Steine“ oder als Fernfahrer in der ARD-Serie „Auf Achse“ (1978 - 1996) bekannt. Als Anwalt in „Liebling Kreuzberg“ feierte er ebenfalls große Erfolge. Im Juni 1977 reiste er mit seiner Familie aus der DDR aus. Nach der Ausbürgerung des Sängers Wolf Biermann gehörten 1976 neben Manfred Krug auch Günter Kunert, Jurek Becker auch Christa und Gerhard Wolf sowie Sarah Kirsch zu jenen, die eine Petition dagegen verfasst und unterschrieben hatten.

Es folgten Repressionen, Parteiausschlüsse, Berufsverbote und andere Schikanen. Manfred Krug wurde ebenfalls jede Auftrittsmöglichkeit auf der Bühne und jede Filmtätigkeit genommen. Deshalb stellte er einen Ausreiseantrag und wurde dann auch schnell im Westen Deutschlands zu einem der gefragtesten Schauspieler – und zur Werbeikone für die Telekom, als diese an die Börse geht. Das war ihm allerdings eher unangenehm. Am 15. Februar 1998 schreibt er: „Ich fliege um 16.25 Uhr von Berlin nach Hamburg, wo ich morgen zwei weitere Telekom-Spots und ab Mittwoch den ‚Tatort‘ ‚Kulleraugen‘ zu drehen habe. Ich habe wirklich keine Lust und keine Kraft mehr. Ich möchte so gern über den Dächern Berlins sitzen, dem Verfall meines Körpers und dem Aufwachsen von Marlene zusehen.“

Seinen Text als Hamburger „Tatort“-Kommissar Paul Stoever musste inzwischen auf Zettel geschrieben werden, die er beim Drehen ablesen musste. Auch hatte er verstörende Träume, in denen ihm sein verstorbener Freund Jurek Becker, Frauen und Kollegen begegnen.

Gerhard Schröders Wahlsieg 1998, Kohls Parteispendensumpf, der Balkankrieg, Jelzins Ablösung in Russland durch das „schmale Jüngelchen“. Auch Alltagsmomente werden notiert, zum Beispiel ein Film über Armin Mueller-Stahl auf Arte: „Er ist eigentlich ein lieber Junge, er geht einem bloß so auf den Sack. Und eines Tages sind wir alle tot, und dann ist es sowieso egal.“ Den Schriftsteller Stefan Heym kann er von Jahr zu Jahr besser leiden, „und bald ist es das letzte Jahr.“

Christa Wolf erhält lobende Worte, weil sie in einem Interview auf 3sat Gutes gesagt hat: „… Ich habe lange vor dem Ende der DDR nicht mehr an der DDR gehangen … Es gab noch lange so was wie einen Phantomschmerz. Das wurde von manchen Nostalgie genannt. War es aber nicht … Jetzt leben wir in einer neuen Welt mit neuen Widersprüchen, die sich zu großen Konflikten ausweiten können. Wieder stehe ich auch dieser Welt kritisch gegenüber und äußere mich als Autorin. Für mich hat sich so viel nicht geändert …“

Innerlich verbunden fühlte Krug sich mit Albert Einstein, der, wenn er in jüngeren Jahren hinaus in die Sonne ging, keinen Hut aufsetzte. Wurde sie zu stark, knüpfte er Knoten in die Ecken seines Taschentuchs „und setzte die so gekrümmte Fläche als Mütze auf seinen Kopf.“ Manfred Krug machte es genauso, ohne von Einsteins Marotte zu wissen. Was er mit ihm gemein hat, ist, „daß uns beiden die Ansichten der Leute gleichgültig waren, sofern sie uns beide, Einstein oder mich, mit vierfach geknoteten Taschentüchern erblickt haben. Das genügt mir.“

Manfred Krug: Ich bin zu zart für diese Welt. Tagebücher 1998–1999. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Krista Maria Schädlich. Kanon Verlag, Berlin 2022.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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