Navigation überspringen
article cover
Cover-Ausschnitt: Klaus Honnef: Gerhard Richter ( TASCHEN Verlag, 2019). - Gerhard Richter/TASCHEN

Unvorstellbares wird sichtbar und entzieht sich dem Be-Greifen: Eine Annäherung an den Künstler Gerhard Richter

„Ich mag alles, was keinen Stil hat: Wörterbücher, Fotos, die Natur, mich und meine Bilder.“ (Gerhard Richter)

Der deutsche Maler, Bildhauer und Fotograf Gerhard Richter bleibt der wichtigste Künstler der Welt. In der Bestenliste des "Kunstkompass", den die Kölner Kunstkritikerin Linde Rohr-Bongard einmal im Jahr in der Zeitschrift "Capital" veröffentlicht, folgen auf ihn der US-Künstler Bruce Nauman und die beiden Deutschen Georg Baselitz und Rosemarie Trockel. Zwischen abstrakten Arbeiten und fotobasierten Gemälden sprengte Richter die Grenzen des Mediums und erinnert auch im Zeitalter der Digitalisierung an die Bedeutung und Dringlichkeit malerischer Bildprozesse. Von seinen frühen, fotografischen Gemälden, über den berühmten RAF-Zyklus, bis zu den späten abstrakten Bildern – immer begegnet man in seinen Werken dem Unerwarteten: „Ich verfolge keinen Absichten, kein System, keine Richtung. Ich habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen […]. Ich fliehe jede Festlegung, ich weiß nicht, was ich will, ich bin inkonsequent, gleichgültig, passiv; ich mag das Unbestimmte und Uferlose und die fortwährende Unsicherheit.“

Dem Ungewissen und Hoch-Komplexen ist nicht durch Analysen beizukommen, sondern nur durch konzentriertes Schauen und Entdecken. Auch der „Pingpong“ von Versuch und Irrtum (Trial and Error) muss dabei berücksichtigt werden, denn der ist Bedingung seiner künstlerischen Praxis. Richter ist auch ein Beispiel dafür, dass die Fähigkeit zu bedeutenden kreativen Leistungen nicht mit einem bestimmten Alter in Verbindung gebracht werden kann. Entscheidend ist der eigene Denkstil. Richter ist ein experimenteller Innovator, ohne dass er schon von Anfang an das fertige Bild bzw. eine „Lösung“ im Kopf hat. Vieles verdankt sich auch produktiven und unfruchtbare Zufälle, bleibt umrisshaft vergegenständlicht und vage verzeitlicht. Alles hat einen Anfang, aber kein Ende - aus der Perspektive der Gegenwart ist alles unbestimmt, gleich wichtig und unwichtig. Dabei fordert jeder Pinselstrich „eine Reaktion heraus, die einen mehr oder minder gewichtigen Einfluss auf das Gesamtgefüge eines gemalten Bildes hat.“

Gerhard Richter, Jahrgang 1932, war von 1971 bis 1993 Professor für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf. 1950 wurde sein Aufnahmeantrag für die Hochschule für Bildende Künste Dresden abgelehnt. 1951 trat er dann sein Studium an der dortigen Kunstakademie an. 1955 schuf Richter für sein Vordiplom ein Wandgemälde (Abendmahl mit Picasso) für die Mensa der Dresdner Akademie. 1956 folgte ein weiteres Wandbild in den Räumen des Dresdner Hygienemuseums (Lebensfreude) für seine Diplomarbeit. Von 1957 bis 1961 arbeitete Richter als Meisterschüler an der Akademie und übernahm Staatsaufträge der DDR. Ende Februar 1961 flohen Gerhard Richter und seine Frau über West-Berlin nach Westdeutschland. Sie ließen sich am 1. März 1961 in Düsseldorf nieder. Seine in der DDR geschaffenen Kunstwerke blieben zurück, teilweise hat er sie noch vor seiner Abreise verbrannt.

Im Westen begann er seine malerische Praxis mit einer kurzen Phase, in der er sämtliche Ausdrucksformen und Stile der modernen Malerei erprobte (zwischen Antoni Tàpies und Francis Bacon). Die Werke verbrannte er später im Innenhof der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf. Von 1961 bis 1964 setzte Richter sein Kunststudium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Ferdinand Macketanz und Karl Otto Götz fort. Bereits 1962 schrieb er in seinen Notizen, dass „Mitteilungsbedürfnis“ seine Antriebsfeder zum Malen sei. Es hat für ihn nichts „mit Denken nichts zu tun, denn beim Malen ist das Denken malen.“ Während der ersten Hälfte der 1960er Jahre kooperierte er in gemeinsamen Ausstellungen mit Sigmar Polke, Konrad Lueg und Manfred Kuttner. Im Juni 1964 hatte Richter unter dem Titel „Gerd Richter. Fotobilder, Portraits und Familien“ eine erste Einzelausstellung in der Galerie Friedrich & Dahlem in München. 1971 erhielt er an der Düsseldorfer Kunstakademie eine Professur für Malerei (hier lehrte er bis zum Jahre 1993).

1968 führte er mit Günther Uecker, seinem Freund und Studienkollegen, eine Aktion in der Kunsthalle Baden-Baden durch. Das Gebäude wurde besetzt und Uecker erklärte: „Auch Museen können Wohnorte sein.“ 1972 war er im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig mit der Werkgruppe 48 Portraits vertreten. Im gleichen Jahr setzte er sich mit Uwe Johnson, Heinrich Böll, David Hockney, Günther Uecker, Henry Moore, Richard Hamilton, Peter Handke und Martin Walser für seinen Kollegen Joseph Beuys ein, dem vom damaligen nordrhein-westfälischen Kultusminister Johannes Rau die Lehrerlaubnis entzogen worden war.

Richter gehörte zur ersten Generation in Deutschland, die sich vor allem mit Hilfe fotografischer Bilder in Printmedien und Privatalben ihr „Bild von der Welt“ gemacht haben. Seit 1962 malt er fotografische Bilder, wenngleich er die Fotografie schon als Heranwachsender für sich entdeckt hatte: Seine Mutter schenkte ihm 1945 eine kleine Kassettenkamera. In einem Labor, das sich ein Freund seines Vaters eingerichtet hatte, lernte er das Entwickeln und Abziehen fotografischer Bilder. „Weitermalen“ wurde später zu Richters Devise. Das durch die Fotografie optisch Festgehaltene, das im Augenblick des Auslösens der Kamera vergangen ist, behält durch seine gemalten fotografischen Bilder seine Gegenwärtigkeit.

1962 begann Richter auch mit seinem Atlas, in dem er Zeitungsausschnitte, Fotografien, Entwürfe, Farbstudien, Landschaften, Porträts, Stillleben, historische Stoffe und Collagen sammelt. Vielfach waren es Vorlagen für Gemälde, die er zuweilen erst Jahre später aufgegriffen hat. 1996 kaufte das Münchner Lenbachhaus den Atlas mit damals 583 Werken an. Seither hat ihn Richter um weitere Stücke erweitert. 1997 wurde er auf der Documenta X in Kassel gezeigt und in einem Bildband dokumentiert. Richter wurde in den Jahren 1993/1994 eine umfassende Retrospektive mit Stationen in Paris, Bonn, Stockholm und Madrid gewidmet. 2002 feierte ihn das Museum of Modern Art, New York, anlässlich seines 70. Geburtstags mit einer umfassenden Retrospektive. Am 20. August 2004 wurden die Gerhard-Richter-Räume im Dresdner Albertinum eröffnet. 2006 wurde in Dresden das Gerhard Richter Archiv ins Leben gerufen. Seit 1983 lebt Richter in Köln.

„Unvorstellbares wird sichtbar. Doch es entzieht sich irgendwie dem Be-greifen. Wie sich Richters Werk dem Be-Greifen von neuem entzieht.“ (Klaus Honnef)

Eine kenntnisreiche Einführung in sein Werk, das auch fünfzig Jahre kultureller, ökonomischer und politischer Ereignisse einbezieht, gibt Klaus Honnef, ehemaliger Honorarprofessor für Fototheorie an der Kunsthochschule Kassel sowie Mitorganisator der documenta 5 und der documenta 6 in Kassel, in seinem Band „Gerhard Richter“, das in der Kleinen Reihe von TASCHEN erschien. „Schluss mit teuren Kunstbüchern!“ Unter diesem Leitmotiv ging sie 1985 mit einem Band zu Picasso an den Start. Es war damals die erste Eigenproduktion des Verlages. Mittlerweile sind rund 200 Einzelbände erschienen, die in über 20 Sprachen übersetzt wurden und sie zur erfolgreichsten Kunstbuchreihe der Welt machten.

Klaus Honnef: Gerhard Richter. TASCHEN Verlag, Köln 2019.

Kommentare

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

Artikelsammlung ansehen