Verantwortung mit Bauchansatz: Zur Aktualität von Ludwig Erhard
Gerade in diätischen Zeiten ist die Sehnsucht nach Opulenz besonders ausgeprägt - und nach Menschen, die durch ihr Wesen und ihre Erscheinung Wärme und Geborgenheit vermitteln. Ludwig Erhard, von 1949 bis 1963 Bundeswirtschaftsminister und von 1963 bis 1966 Bundeskanzler, 90 Kilo schwer, wurde als „Dicker“ vom Volk geliebt. Der füllige Mann habe so etwas „Menschliches“ und wirke wie ein „guter Onkel“, sagten die Deutschen, die den Hunger noch kannten, 1963 in einer Umfrage. Seinen beruflichen Werdegang begann er als kaufmännischer Lehrling ohne Pensionsberechtigung, auch hatte er nicht das Gefühl, dass eine Sechs-Tage-Woche mit 60-stündiger Arbeitszeit seine Gesundheit erschüttern könnte. Sein Ideal beruhte auf der Stärke, „dass der Einzelne sagen kann: Ich will mich aus eigener Kraft bewähren, ich will das Risiko des Lebens selbst tragen, will für mein Schicksal selbst verantwortlich sein." (1958)
Der Künstler Lutz Backes hat Ludwig Erhard nach lebendem Modell 1970 für seine erste Bonner Ausstellung in der "Parlamentarischen Gesellschaft" karikiert. Besonders beeindruckte ihn seine Zigarre, „seine kurze Nase, die dicken Wangen und im direkten Gegenüber seine traurigen Augen. Das war aber schon nach seinem politischen Abgang nach vielen Enttäuschungen.“ Bei der Karikatur als D-Mark-Denkmal meinte der Chefredakteur des HANDELSLATTES, bei dem Backes damals unter Vertrag war, dass man sich überlegt hätte, ob man zu dieser Aussage überhaupt noch einen Leitartikel brauche. Die D-Mark stand für Wohlstand, der für Erhard auch das Resultat von Kopf und Darmhirn war. Freiheit, Selbstverantwortung und Genuss standen für ihn nicht im Widerspruch. Der Bauch des bekennenden Genussmenschen war zugleich ein Symbol für sein authentisches Naturell. Muße und Freude am guten Leben waren für ihn mit Genuss und der Liebe zum Leben verbunden. Und heute? Vielen modernen Topmanagern schmeckt das gar nicht. Sie laufen täglich Marathon und zählen ihre Schritte. In der Politik setzt sich die „schlanke Linie“ nicht nur körperlich fort. Ludwig Erhard war auch ein Mensch der geistigen Fülle. Seine Gedanken und Ideen in Bezug auf soziale Gerechtigkeit sind zudem im aktuellen Nachhaltigkeitskontext anwendbar.
1977 kritisierte er das Klima, in dem die Wirtschaft dahinsiecht. Es sei gekennzeichnet durch Organisationswut, das Funktionärsunwesen, „durch Phantasielosigkeit, durch kleinkrämerisches Wirken an Details und insbesondere durch Unsicherheit." Ökonomie, Ökologie und Soziales, die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit, lassen sich nur in einem marktwirtschaftlichen und regelbasierten Ordnungsrahmen gemeinsam verfolgen, dessen Wesen Freiheit und Verantwortung sind. Die Regelungen haben hier die Aufgabe, Entwicklungen zu verhindern, die nicht im Einklang stehen mit den Anforderungen einer nachhaltigen Entwicklung. Werte wie Kraft, Leistung und Lernfähigkeit, Fleiß und Initiative waren für Ludwig Erhard nicht nur wesentlich für die Zukunft Deutschlands, sondern auch die Voraussetzung „einer auf die Initiative der Persönlichkeit begründeten Sozialen Marktwirtschaft" (1957).
Um dieser nachkommen zu können, wird der Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik sowie die Ludwig-Erhard-Medaille für Verdienste um die Soziale Marktwirtschaft vergeben. Doch was motiviert Unternehmen, sich an der Ausschreibung zu beteiligen, zumal es eine Vielzahl an CSR- und Nachhaltigkeitspreisen gibt? Vielleicht ist es der Mensch mit Haltung und Bauchansatz dahinter, der dem Preis die Anonymität nimmt – und sein Verständnis von nachhaltigem Wirtschaften. Mit der Bewerbung um den Ludwig-Erhard-Preis im Jahr 2012 wurde bei der Krieger + Schramm Unternehmensgruppe der Grundstein für eine unvergleichliche Entwicklung gelegt. „Es fehlt uns die strategische Flughöhe“, sagte damals die Teamleiterin des Assessoren-Teams. Diese Verbesserungspotentiale wurden sehr ernst genommen und konsequent an der strategischen Ausrichtung und deren Kommunikation gearbeitet. „Daraus entstand unter anderem das 7-Jahres-Zielbild, die Verknüpfung zu den Leitzielen sowie Jahreszielen etc., die gemeinsam in den Strategie-Workshops, Jahresmaßnahmenplanungen und Aktivseminaren weiterentwickelt wurden“, sagt Michael Fuhlrott, verantwortlich für Personal und Marketingmanagement im Unternehmen, das sich seit seiner Gründung 1992 von einem reinen Bauunternehmen zu einem modernen und leistungsfähigen Wohnungsbau-Spezialisten entwickelt hat. Alle Führungskräfte schenken dem gesamten Team Vertrauen und garantieren notwendige Freiräume damit jeder seinen Beitrag leisten kann. Wichtige Bestandteile sind u.a. Vertrauensarbeitszeit, flache Hierarchien, kurze Entscheidungswege sowie Gewinn- und Kapitalbeteiligung.
Dass das System, die Inhalte und Weiterentwicklungen „rund sind“ bestätigte auch das Assessoren-Team bei unserer Bewerbung im Jahr 2019. Hier konnte das Unternehmen einen Sprung von ca. 200 Punkten (im Jahr 2012) auf 574 Punkten erreichen. „Ein großer Erfolg für alle Beteiligten und MitunternehmerInnen sowie Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Auch aus dem Bewerbungs- und Assessment-Prozess 2019 konnten wir weitere Verbesserungspotentiale aufdecken und mit Erfolg umsetzen, u.a. das Vorantreiben des Digitalisierungsprozesses, das Einbinden der MitunternehmerInnen und beispielsweise das Fokussieren auf wesentliche Erfolgstreiber“, so Fuhlrott. Die Mitunternehmer-Kultur fördert die Eigenverantwortung und verschafft möglichst jedem Mitunternehmer sein persönliches berufliches Feld, auf dem er sich wohlfühlt, seine Stärken ausspielen und sich frei entfalten kann. „Natürlich werden auch die Zielplanung und die Ergebniskontrolle nicht vernachlässigt. Wichtig sind allerdings auch genügend Freiräume für Entwicklungen und ein Rahmen für die positive Identifikation der Mitunternehmer.“
Nach Silber im Jahr 2019 sollte mit der Bewerbung 2021 der nächste Meilenstein erreicht werden: „Wir wollten unbedingt die 600er-Marke „knacken“. Die Ausbildung weiterer MitunternehmerInnen zu EFQM-Assessoren und das Einbinden weiterer sollte die Basis sein. Die Bewerbungsunterlagen wurden intensiv erarbeitet und an das neue EFQM-Modell angepasst - mit Erfolg. Am 30. April 2021 erhielt das Unternehmen in einer zweistündigen Ergebnispräsentation die Zusammenfassung mit 6 TOP-Verbesserungspotentialen sowie 13 TOP-Stärken. Und einer bescheinigten Punktzahl über 600 Punkte – und damit den Gold-Status. „Wir empfinden dies als Lohn für die intensiven Bemühungen aller MitunternehmerInnen. Denn ein System kann noch so gut sein – das konsequente Umsetzen, Mitgestalten, Weiterentwicklung und das Leben des Systems macht den Unterschied zwischen Durchschnitt und Exzellenz“, sagt Fuhlrott.
Es geht nicht darum, Dinge einfach unreflektiert erledigen, sondern sie mit „Exzellenz“ zu versehen – einem Lebensprinzip, das von uns selbst verlangt, in allen Bereichen des Lebens nachhaltige Resultate zu erzielen, die außerhalb des Gewöhnlichen stehen. Wer seine Arbeit um das entscheidende Maß persönlicher nimmt, auch Bauchansätze zulässt und niemals mittelmäßig ist, macht das Leben interessanter und die Welt besser. Ganz im Sinne von Ludwig Erhard.
Wirtschaft weiter denken: Mitunternehmer sein statt Mitarbeiter
Nachhaltigkeit und Personalmanagement: Grundlagen zur Sicherung der Zukunftskompetenz
Interview mit Matthias Krieger und Lutz Backes in: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.