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Ausschnitt Cover: Steve McCurry: Animals by TASCHEN (2019) - TASCHEN

Visueller Storyteller: Die Bedeutung des Fotografen Steve McCurry im Zeitalter der Bilder

Der amerikanische Fotograf Steve McCurry ist seit über 40 Jahren einer der wichtigsten Vertreter der zeitgenössischen Fotografie. Die Fotos des in Philadelphia geborenen Künstlers erschienen auf den Titelseiten namhafter Zeitschriften und Publikationen und sind weltweit in Ausstellungen zu sehen. 1979 reiste er erstmals 1979 nach Afghanistan, als die Sowjetunion militärisch in die innerafghanischen Konflikte eingriff, um (verkleidet in landestypischer Tracht) vom Kampf der Mudschahedin gegen Besatzer und regierungstreue Truppen zu berichten. Für seine Aufnahmen wurde er 1980 mit der Robert Capa Gold Medal ausgezeichnet. Seit dieser Zeit reiste der Fotograf, der sich selbst als „visueller Storyteller“ versteht, immer wieder in das Land am Hindukusch, um von seinen Menschen und ihrem Alltag in seinen Bildern zu erzählen. Die Vorliebe des Menschen für das „Storytelling“ entstand bereits in der kognitiven Revolution vor etwa 70.000 Jahren, als sich sein leistungsfähiges Gehirn entwickelte. Gutes Storytelling emotionalisiert, aktiviert und bindet die Menschen – in Wort und Bild.

Aus Geschosshülsen wachsen Rosen

Nachrichten sind ohne Bilder unvorstellbar – das war zu allen Zeiten so. Allerdings ist das 21. Jahrhundert „das“ Zeitalter der Bilder, denn im Internet sind Millionen Fotografien und Bilder nur einen Mausklick entfernt und jederzeit verfügbar. Umso wichtiger ist es, den tiefen Blick zu schulen, um uns ein eigenes „Bild“ zu machen, das für unsere Urteils- und Entscheidungsfähigkeit unverzichtbar ist. Gute Fotografen begleiten uns dabei und hinterlassen Nachhaltiges. Nach zahlreichen Reisen durch Indien, den Nahen Osten und Afghanistan gründete Steve McCurry 2004 ImagineAsia mit dem Ziel, Kindern und jungen Erwachsenen in Afghanistan Bildungsmöglichkeiten zu geben. Es gehört zu seinem Verständnis von Nachhaltigkeit, nicht nur ein Land zu bereisen, sondern auch später etwas für den Ort zu tun, den er einst betreten hat. Denn wo immer wir sind, tragen wir auch Verantwortung.

Afghanistan - das häufig „das Land dazwischen“ war, eine zerrissene und umkämpfte Region voller Gebirge, Überschwemmungsebenen und Wüsten - hat er gut verstanden, denn er schaute in die Herzen der Menschen und hielt das Gesehene fotografisch fest: blutende Verletzte, misshandelte Spione auf dem Weg zu ihrer Hinrichtung, Bauern und Kinder, eingestürzte Häuser, die steinige und trockene afghanische Steppe, abgelegene Dörfer und Regionen sowie traumatisierte Menschen. Sein Fotobuch „Afghanistan“ zeigt Aufnahmen aus vier Jahrzehnten Afghanistan, das im „Großen Spiel“ zwischen Russland und England zum Gegenstand geostrategischer Interessen wurde und für Chaos aus Aufständen, ethnischen Konflikten, Kolonial- und Bürgerkriegen und religiösem Terror steht. Eine Botschaft dominiert das Buch: Es ist Krieg, und den Menschen geht es schlecht. Achtzig Prozent von ihnen sind Analphabeten. Steve McCurry hat denen, die nicht gesehen und gehört werden, ein Gesicht und eine Stimme gegeben. Sie spricht aus den Fotos zu uns in einer Sprache, die jeder versteht, weil sie direkt ins Herz geht.

Der Bildband „Animals“ gehört – obwohl er viele andere Seiten des Fotografen zeigt – auch in den Kontext des Afghanistan-Buches: So ist unter anderem ein Mann mit seinem Hund neben einem Taxi zu sehen, das bei den Bombardements in der afghanischen Hauptstadt Kabul zerstört wurde, ein Kalasha-Schäfer füttert tief im an Afghanistan grenzenden Hindukusch während des traditionellen Winterfestes seine Ziegen, gezeigt werden auch die berühmten Vogelhändler in den Straßen Kabuls, ein räudiger Straßenhund, der eingerollt neben seinem Herrchen schläft, ein Kamel, das während des ersten Golfkrieges ins Schussfeld gerät, ein Hund, der versucht, den Fluten des Monsuns zu entkommen, ein Mann, der mit aufgespanntem Schirm während der Monsunzeit in Sri Lanka auf einem Elefanten reitet und das Kaninchen eines Wahrsagers. Präsentiert werden aber auch Designer-Hunde aus Beverly Hills, Rennpferde auf einem Dach in Hongkong, Elefanten in Thailand und Hunderte weiterer Aufnahmen aus McCurrys umfangreichen Archiven.

Sein fotografischer Blick sensibilisiert auch für die Empfindungen der Tiere sowie ihre soziale Bedeutung und Würde. Die Freundschaft zum Tier überragt an Dauer und Intensität auch manche Menschenfreundschaft und steht für viele Menschen sogar weit über der flüchtigen Liebesleidenschaft. Vielleicht ist deshalb bei vielen Menschen die Freundschaft zum Tier so innig, weil sie eine funktionierende Kunst des Lebens lehren, „geboren aus der Kontemplation, dem Rückzug nach Innen, der Melancholie, unabhängig von ökonomischen, politischen oder ideologischen Interessen“ (Wilhelm Schmid).

Literatur:

  • Steve McCurry: Afghanistan. Texte von William Dalrymple. Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch. TASCHEN Verlag, Köln 2017.

  • Steve McCurry: Animals. Hg. von Reuel Golden. Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch. TASCHEN Verlag, Köln 2019.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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