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Volksleiden Fremdbestimmung: Warum wir mehr „Nein“ sagen sollten

Die Fähigkeit, das Wort Nein auszusprechen, ist der erste Schritt zur Freiheit“, bemerkte der Dramatiker Nicolas Chamfort im 18. Jahrhundert. Dazu gehört vor allem Mut, der von klassischen Handlungsmustern abweicht. Denn wer Erwartungen enttäuscht, muss auch mit Gegenwind rechnen und macht sich angreifbar.

Wer nicht nein sagen kann, tritt sein Leben an andere ab, indem er ihnen alles recht macht. Solche Menschen fühlen sich dann schnell ausgeliefert und neigen zu Resignation und Depression (medizinisch gesehen ist der Burn-out eine Form davon). All das wird verstärkt, je mehr das eigene Leben von äußeren Umständen abhängig gemacht wird. Die Selbstwirksamkeit – die Überzeugung, das Leben aus eigener Kraft zu gestalten und Probleme meistern zu können – wird aufgegeben. Wer allzu „nett“ ist, sendet die Botschaft, dass er kaum von Bedeutung ist: Es wird der Eindruck erweckt, sich die Zuneigung der anderen mit Unterwürfigkeit erkaufen zu müssen.

Wer aber seine Hilfsbereitschaft „dosiert“, wird ernster genommen als jemand, der inflationär damit umgeht. „Wer von allen geliebt werden will, führt sein Leben bald wie einen Wahlkampf – nicht ehrlich, sondern mehrheitstauglich“, sagt der Karriereberater Martin Wehrle. Auch er verweist auch darauf, dass Ja-Sagende eine Tendenz zum Workaholic haben und sich immer mehr Arbeit auf die eigenen Schultern laden. Ihre Gesundheit wird durch Überforderung langfristig geschädigt.

„Aus Gefälligkeit wird somit mal die Schicht getauscht oder der Feierabend nach hinten verschoben. Auch, wenn es einem selbst gar nicht so wirklich passt“ sagt Matthias Weichmann von consil med, einer Ärzte- und Fachpflegepersonalvermittlung. Durch dieses Verhalten wird auch suggeriert, dass es schwerfällt, klare Grenzen zu ziehen. „Das könnte möglicherweise erwünschte Aufstiegsmöglichkeiten verbauen, weil damit zwar Engagement, aber keine Führungsverantwortung gezeigt wird“, so Weichmann. Im Unternehmensblog zeigt er, wie auch Pflegekräfte lernen können, „Nein“ zu sagen. Das muss nicht „automatisch für schlechte Stimmung sorgen – vielmehr kommt es auf die Formulierung und Begründung an.“

  • Beziehungsfaktor: Viele Menschen fürchten auch vermeintliche negativen Konsequenzen, die durch eine Ablehnung eines Gefallens auf der Arbeit entstehen können.

  • Ego-Faktor: Pflegekräfte haben häufig ein ausgeprägtes Helfer-Syndrom: „Beim Absolvieren der zusätzlichen Überstunden oder ungünstigen Schicht ist der Körper aber wieder gestresst und das kurzzeitige Glücksgefühl verflogen.“

  • Gemeinschaftsfaktor: Gerade in Krisenzeiten wie in der Corona-Pandemie nimmt die Neigung zur Hilfsbereitschaft bei vielen Personen zu. Für den kollektiven Erfolg opfert man deshalb aus Gefälligkeit gerne einmal mehr als man eigentlich sollte.

  • Selbsteinschätzungsfaktor: Häufig resultiert die Bereitschaft für Gefälligkeiten aus falsch gesetzten Grenzen eines Individuums und aus einer fehlerhaften Selbsteinschätzung – gerade in Bezug auf die eigene Belastbarkeit.

  • Vorgesetzten-Faktor: Gerade, wenn der oder die Vorgesetzte um einen Gefallen bittet, fällt es umso schwerer, „Nein“ zu sagen.

Es wird vorgeschlagen, in respektvoller Art und Weise zu begründen, warum dem Gefallen nicht nachgekommen werden kann. Die Absage sollte freundlich und angemessen kommuniziert werden. Zudem könnten Alternativen aufgezeigt werden, wie das Problem anderweitig gelöst werden könnte. Auch sollte nicht sofort geantwortet werden, denn gute Antworten erfordern Zeit und Überlegung. Aber auch der „gesunde“ Egoismus als Selbstbehauptung spielt eine wichtige Rolle. Schon Goethe sprach vom „unentbehrlichen, scharfen, selbstischen Prinzip“, das auch im Moment der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden sollte.

Um mit sich selbst im Einklang leben, ist es auch wichtig, auf die eigene innere Stimme zu vertrauen, denn dann werden nur jene Erwartungen erfüllt, die sich auch mit den eigenen Überzeugungen decken. Für den Psychologen Gerd Gigerenzer stellt die innere Stimme eine Form von Intelligenz dar: Sie unterstützt unseren Instinkt für das Richtige und ist ein unbewusstes Werkzeug zum Nachdenken. Wann immer Menschen gegen ihr Herz entscheiden und ihre Werte aufgeben, spürt es die innere Stimme. Sie ist wie eine Alarmanlage, um den Einbruch ins eigene Wertesystem zu verhindern: „Nur erzeugt die Intuition keinen Höllenlärm wie eine Sirene, sondern ein leises Warngeräusch, das in der Hektik des Alltags schnell von Rationalisierungen überdröhnt wird.“ (Martin Wehrle)

Matthias Weichmann: Nein sagen lernen: 5 Tipps, die Dir dabei helfen

Warum wir nicht Ja sagen sollten, wenn wir Nein meinen

Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler. Heidelberg, Berlin 2021.

Martin Wehrle: Sei einzig, nicht artig! So sagen Sie nie mehr JA, wenn Sie NEIN sagen wollen. Wilhelm Goldmann Verlag, München 2015.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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