Wa(h)re Worte: Gesellschaft der Ghostwriter
Wie die „Zeit“ berichtet, hat Maja Göpel – von ihrem Verlag als „Politökonomin und Nachhaltigkeitswissenschaftlerin an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft“ bezeichnet – ihr Buch „Unsere Welt neu denken“ (2020) in Zusammenarbeit mit einem Journalisten geschrieben. Genannt wird er darin auf eigenen Wunsch nicht, weil er um sein Renommee gefürchtet hat, „wenn bekannt werden sollte, dass er bloß Maja Göpels Ghostwriter ist, ein Auftragsschreiber“. Deshalb gab es mit dem Verlag „eine Art Stillschweigepakt“. Das Honorar wurde allerdings zu gleichen Teilen zwischen beiden aufgeteilt. Die Debatte um das Thema Ghostwriting zeigt vor allem, dass wir unsere Erwartungen an Menschen, die uns als vorbildlich auf allen Ebenen präsentiert werden, herunterbrechen sollten.
Und es sollte auch nicht so dargestellt werden. Das liegt zum großen Teil auch an Fehlentwicklungen in der Gesellschaft selbst: Menschen werden zu schnell hochgepusht, ohne dass sie innerlich mitwachsen können. Sie fühlen sich geehrt, wenn sie in Gremien berufen werden, als Redner:innen gefragt sind, in Talkshows eingeladen werden und auch als „Stars“ ihres Faches medial präsent sind. Das, was einst „inwendig“ war, gehaltvoll und eigen, wird dadurch „auswendig“. Die eigene „Marke“ funktioniert so lange, bis es einen Kratzer am Gehäuse gibt, und schließlich die ganze Schicht abblättert. Die Übermedialisierung der Gesellschaft hat dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen perfekt darstellen (lassen): als charismatisch, klug, kameratauglich, überzeugend, mitreißend und als „Bestsellerautoren“ im Buchmarkt.
Der „Business-Experte, Berater & Bestsellerautor in Europa“ (Website-Angaben) Hermann Scherer engagiert ebenfalls Menschen, die seine Bücher schreiben: „Ich finde das nicht verwerflich, das zu tun, denn sie bringen in meine Gedanken, in meine Ideen und in mein Wissen Struktur und sorgen dafür, eine noch bessere Textqualität zu erreichen.“ Das würden sogar Verlage empfehlen: „Lass lieber einen guten Ghostwriter arbeiten, der eine garantierte Qualität bringt, als dass du als Autor versuchst, selbst zu schreiben, obwohl du das gar nicht gut kannst.“ Die Zeit, ein Buch selbst zu schreiben, ist ihm zu kostbar, weil seine „Kompetenz woanders liegt.“ Während ein anderer sein Buch schreibt, kann er „zumindest soviel Umsatz machen, wie er kostet.“
Aber warum noch auf „eigene“ Bücher setzen, wenn eine Kompetenz in einem anderen Bereich besonders ausgeprägt ist? Weil ein Buch das beste Marketinginstrument ist? Weil das eigene Selbstbewusstsein damit aufgewertet wird und der Marktwert steigt? Der Speaker lobt in seinem aktuellen Buch eine „großartige Ghostwriterin“, die in sechs Wochen „ein fantastisches Buch“ für ihn fertiggestellt hat: „Es wurde veröffentlicht und landete sofort auf der Bestsellerliste der ,WirtschaftsWoche‘. Wahrscheinlich deshalb, weil wir es nicht selbst geschrieben hatten. Dann kamen die ersten Anfragen von Unternehmen, die einen Vortrag zum Buch wollten. So blöd es klingt, ich musste erst einmal lesen, was in dem Buch überhaupt drinstand.“
Das zu lesen dürfte all jenen wehtun, die klug und nicht schlau agieren und dabei oft den Kürzeren ziehen, denn viele Verlage unterstützen das, um zu überleben, weil Buchkontingente abgenommen werden und Ghostwriter mit ihnen eng zusammenarbeiten. Auch verkauft sich ein solches Gesamtbild gut, weil alle partizipieren. Wenn dann aber etwas schiefgeht, geht alles auf die eine Person zurück, die sich auf die entsprechenden Vermarktungsstrategien eingelassen hat. Die Fäden, die zu ihr gehörten, sind kaum mehr auszumachen im Gestrüpp all der anderen, fremdgesteuerten, die sie eingeschnürt haben. Und so setzen sich viele „eingeschnürte“ Erfolgsmenschen selbst immer weiter unter Druck, auch in Gebieten perfekt sein zu müssen, in denen sie es nicht sind. Ein guter Redner muss beispielsweise kein guter Autor sein und umgekehrt.
Zuweilen habe ich mich auch selbst von vermeintlichen Autoren täuschen lassen. Sie waren allerdings dann doch leicht erkennbar: Häufig haben sie keine Zeit, tiefergehende Fragen zu ihren Büchern zu beantworten. Hinter ihnen steht häufig ein aufgeblasener Apparat (Vorträge, Medienanfragen etc.). Meine Erfahrung ist: Wer selbst antwortet, Themen mit- und weiterdenkt, schreibt in der Regel auch selbst. Die anderen weichen aus und wiederholen ständig auswendig gelernte Sätze zu ihren Publikationen. Auch sind sie daran zu erkennen, dass sie sich in ihren Wiederholungen nicht langweilen. Die wirklich Klugen tun das nämlich nicht. Sie wollen sich immer weiterentwickeln, sind neugierig, fern von jeder Eitelkeit und widmen sich einem Thema immer wieder aus einer anderen Perspektive. Sie halten es mit Goethes Vers aus dem „Buch der Sprüche“ (Gedichtsammlung „Westöstlicher Diwan“): „Getretner Quark wird breit, nicht stark". Leider wollen viele Medien nur getretenen Quark, weil er leichter zu schmieren ist (glattes Erscheinungsbild).
Eine Liebeserklärung für diesen Berufsstand hat uns der Publizist Roger Willemsen hinterlassen. In seinem Aufsatz „Die Raupe“ schreibt er: „Ein guter Lektor tut viel. Er liest all das Schadhafte und Fadenscheinige weg. Hat die Jacke drei Arme, fällt es ihm auf, ist die Seide bloß Viskose, schüttelt er, ganz gute Hausfrau, darüber den Kopf und zeigt aufs Etikett.“ Sein Lektor und idealer Leser hieß Jürgen Hosemann. Sie hatten „lebenslänglich“. Hier war nichts angeklebt, sondern ist zusammengewachsen, weil es eine innere Verbindung gab. Echte Nachhaltigkeit, die weniger laut und geltungsbedürftig, aber sehr präsent ist.
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Hermann Scherer: Mach deine Marke zu Gold. Wie du es schaffst, sichtbar und begehrt zu werden. Campus Verlag Frankfurt / New York 2022.
Insa Wilke (Hg.): Der leidenschaftliche Zeitgenosse. Zum Werk von Roger Willemsen. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2015.