Warum die Schreibmaschine nicht verschwinden wird
Denkender Kreislauf
Viele Menschen fragen sich heute, ob der Verlust ihrer Merkfähigkeit mit dem Älterwerden zu tun hat oder mit dem „Ergeben“ in die neuen Technologien, die etliche „alltägliche Leistungen des Merkens, zugleich aber die tägliche Übung der Merkfähigkeit abnehmen“, wie der österreichische Autor, Kritiker und Herausgeber Karl-Markus Gauß in seinem Buch „Der Alltag der Welt“ schreibt. Auch wenn das Internet eine nie versiegende Quelle für schnelle Antworten ist, bleibt das Wissen an der Oberfläche, wenn es sich nicht mit Selbstdenken und Entnetzung verbindet. Begreifen ist nur durch begreifbare Dinge zu haben, deren Funktion sichtbar und gedanklich nachvollziehbar ist.
Vielleicht erlebt die Schreibmaschine als letztes Instrument des selbstbestimmten Schreibens heute deshalb ein Revival. Natürlich spielt hier auch der Sicherheitsaspekt mit hinein: Es gibt keine Hackerangriffe und keine Einsichtnahme ins Digitale – aber das ist nur ein Aspekt von vielen. Das Bewahrende, Individuelle und Langsame ist für die meisten Liebhaber dieses Objekts allerdings weitaus wichtiger. Und die eigene Geschichte, die hier „prägend“ im besten Wortsinn festgehalten wird. Christopher D. Hermelin, ein Autor aus Brooklin, schreibt beispielsweise auf seiner Schreibmaschine für jeden, der mag, eine eigene Short Story. Entweder auf einer Parkbank in New York oder einfach für alle, die woanders leben, im Netz. Interessierte können ihm Vorschläge für die Umsetzung senden www.rovingtypist.com oder ihm freie Hand bei der „Handlung“ lassen.
Faszination Schreibmaschine
Zu allen Zeiten übte die Schreibmaschine auf Menschen eine besondere Faszination aus: Als Kind liebte Claudia Silber, die heute die Unternehmenskommunikation bei der memo AG leitet, alte amerikanische Filme von Hitchcock bis Doris Day: „Ich saß, so oft es ging, vor dem Fernseher. Einer meiner Lieblingsschauspieler war Jerry Lewis, der alleine durch sein Auftauchen in einer Szene die Menschen zum Lachen gebracht hat. Seine Mimik in Verbindung mit seinem etwas schlabbrig wirkenden Körperbau haben mich sofort in ihren Bann gezogen. Heute ist meine Euphorie etwas abgeebbt, aber nach wie vor halte ich ihn für einen der besten Komiker, die es je gab. Und dazu brauchte es keine Worte.“ Bing! Inzwischen erleben die Remingtons, Olivettis, Adlers und Olympias im Handel eine Renaissance. Claudia Silber verweist darauf, dass inzwischen auch wieder Schreibmaschinen im Sortiment beim ökologischen Onlinehändler zu finden sind: zwei Modelle von Olympia.
Scharfe Denker und präzise Schreiber
Es sind vor allem Menschen mit einem scharfen Verstand, die ihren Geist nicht stumpf werden lassen wollen durch neue Technologien, die nur auf Effizienz setzen. Richtiges Denken und Schreiben braucht Struktur und Präzision. Das finden Geistesgrößen durch die Schreibmaschine. Der Dramatiker, Lyriker und Schauspieler Franz Xaver Kroetz sammelte sie mit Leidenschaft. Für jeden Anlass die richtige: auf Reisen oder im Büro. Auf ihr zu schreiben ist harte Arbeit: „Je schwerer das Tippen, desto besser, und das Ergebnis ist nicht löschbar, es wehrt sich gegen seine Wiederauflösung! Das bleibt!“ (Süddeutsche Zeitung, 14./15.2.2015) Wenn Kroetz wieder Literatur schreiben wird, dann nur mit der Schreibmaschine. Auch Literaturnobelpreisträger Günter Grass wollte auf seine Olivetti-Schreibmaschine nicht verzichten. Aus Spanien besorgte er sich Pakete fabrikneuer Farbbänder.
Es sind prägende „Typen", von denen im Zeitalter ständiger Reproduzierbarkeit und Austauschbarkeit ein unverwechselbares Profil ausgeht, weil sie ihren eigenen Maßstäben folgen. Man kann auch von einer selbstbestimmten (Tipp-)Gemeinschaft sprechen, die vor allem Autoren betrifft, die nicht auf das Gefühl verzichten wollen, sich und ihre Welt selbst gestalten zu können. Sie findet sich auch an Dritten Orten wie Flohmärkten, die oft die letzte Chance für Dinge sind, die noch eine Weile halten.
Der Alltag der Welt
Die Bücher „Der Alltag der Welt von Karl-Markus Gauß und „Wiener Flohmarktleben“ von Richard Swartz sind ein Plädoyer für die Nachhaltigkeit der Dinge, die noch nicht aus der Zeit gefallen sind. „Der richtige Gegenstand hilft, unsere Lieben in Erinnerung zu rufen und sie, obwohl tot, noch für eine kurze Weile am Leben zu halten“, so Swartz. Beide Bücher geben uns für den Augenblick des Lesens etwas zurück, das wir vielleicht schon verloren glaubten: eine Welt, die noch nicht verschwunden und im besten Wortsinn „ganz“ ist. Die Autoren schreiben gegen das Vergessen an – für ihre Überzeugungen. Sie finden die Welt im Nebensächlichen und in ihrem Kopf – aber sie finden sich niemals ab mit Gedankenlosigkeit.
Denk-Mal für die Schreibmaschine
Der Schreibmaschine hat Karl-Markus Gauß in seinem Buch ein besonderes Denk-Mal gesetzt. Er erzählt darin beispielsweise die Geschichte des 44-jährigen Zimmermanns Peter Mitterhofer aus Südtirol, der sich im Dezember 1866 auf einen vergeblichen Weg machte: Drei Jahre arbeitete er an einer Maschine, die das Schreiben zu einer maschinellen Angelegenheit machte. In seiner Tischlerwerkstatt erfand er die Schreibmaschine, wurde bei Hofe aber nicht vorgelassen. Die Gutachter seines Kaisers hielten seine Erfindung für überflüssig. Aus der Ferne beobachtete er, dass der Amerikaner Christopher Latham Sholes jenes Ziel erreichte, das auch seines gewesen war:
„Sholes hatte aber auch nicht an den Kaiser von Österreich, sondern den König von Amerika, den Waffenfabrikanten Remington, appelliert, der ihn nicht mit zweihundert Dollar entließ, sondern seine Erfindung prüfte, ihren Wert erkannte und dann generalstabsmäßig mit seinem neuen Produkt den Markt eroberte.“ Zwanzig Jahre später starb Mitterhofer verbittert – „da waren bereits Abertausende Schreibmaschinen der Marke Remington in die Monarchie importiert worden“.
Gauß erinnert aber auch daran, wie es früher zum Beispiel bei Behördengängen aus allen Zimmern monoton geklappert hat, „aber nicht gleichmäßig und nicht eintönig, denn es kannte Takte, in denen es sich beschleunigte, und Pausen, in denen es abrupt stockte, und je schneller es voranging, umso höher schien die Tonlage zu werden, während die von ungelenker Hand nur sporadisch gesetzten Anschläge bedeutungsschwer tief klangen.“ Der Schreibmaschinenklang, das rhythmische Hämmern, war wie Musik in seinen Ohren.
Heute ist die Schreibmaschine aus den Büros verschwunden. Für die Zeitschrift „Literatur und Kritik“, die Gauß herausgibt, senden lediglich zwei Mitarbeiter ihre Texte auf dem Postweg als Typoskripte zu, „die mit Schreibmaschine verfertigt wurden und die sie mit etlichen handschriftlichen Korrekturen versehen.“ Größere Passagen werden mithilfe jenes weißen Plättchens korrigiert, das zwischen Papier und Farbband fixiert wird, damit die falschen Buchstaben entfernt werden können. Korrekturplättchen, Korrekturflüssigkeit und Kohlepapier sind heute auf der Liste der bedrohten Arten zu finden und werden nach Ansicht von Schreibmaschinenliebhabern „noch höchstens in kafkaesken Zollstuben oder stromlosen Leuchttürmen anzutreffen sein“, sagt Thomas Klinger, Inhaber von Quintessenz Manufaktur für Chroniken.
Die Beschäftigung mit nachhaltigen Dingen wie einer Schreibmaschine ist vielleicht ein letztes Aufbegehren gegen das Vergessen. Es ist gut, wenn die digitalen Medien dazu beitragen, dass sich Erinnerungsstücke, Erlebtes und aktuelle Entwicklungen durchdringen und etwas von der Welt ins Ich retten, wie Karl-Markus Gauß sagen würde. In seinem Buch über den Alltag der Welt findet sich ein Passus, der etwas mit allen „macht“, die nostalgische Momente suchen, aber sich niemals in ihnen verlieren, weil sie gegenwärtig und selbstbestimmt sind: „Was war das eigentlich, das ich gerade gelesen habe, war das jetzt traurig oder heiter, erbittert oder versöhnt? Vermutlich bin ich also ausgerechnet in der Literatur wieder einmal dem Leben selbst begegnet.“
Weiterführende Literatur:
Karl-Markus Gauß: Der Alltag der Welt. Zwei Jahre, und viele mehr. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2015.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Von Lebensdingen: Eine verantwortungsvolle Auswahl. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Richard Swartz: Wiener Flohmarktleben. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2015.