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Warum wir eine Humanisierung in der Arbeitswelt brauchen

In einer gesunden Wirtschaft geht es nicht nur um eine „effiziente Zuordnung von Kapital“, sondern auch von Talent, schreibt Arianna Huffington in ihrem Buch „Die Neuerfindung des Erfolgs“. Darin untersucht sie die westliche Unternehmenskultur, die auf Stress, Schlafentzug und Burnout beruht und von einer Geschäftskultur geprägt ist, die sich auf die Maximierung kurzfristiger Gewinne und das Übertreffen von Wachstumsvoraussagen konzentriert. Andererseits belegt sie, dass die Bilanz eines Unternehmens langfristig gesehen eng mit der Gesundheit seiner Angestellten zusammenhängt.

Das bestätigt auch Michael Porter, Professor an der Harvard Business School, der Unternehmen empfiehlt, sich mehr um „Vorsorge, regelmäßige Untersuchungen und aktives Management chronischer Leiden“ zu kümmern. Führungskräfte stehen angesichts der wachsenden Komplexität der Systeme, in denen sie richtig navigieren müssen, unter massivem Druck. Globalisierung, Digitalisierung und demografischer Wandel sind nur einige Beispiele für die aktuellen Herausforderungen, zu denen auch die Erkenntnis gehört, dass es künftig nicht mehr darauf ankommen wird, nur in einem Unternehmen zu arbeiten, sondern vor allem an einem Unternehmen zu arbeiten.

Mehr Achtsamkeit

Achtsamkeit hilft dabei, genauer wahrzunehmen, was Menschen im Leben und in ihrer Arbeit erfüllt und glücklich macht. Und es braucht die kollektive Klugheit von Menschen, gemeinsame mentale Modelle, die die Selbstbestimmung fördern. „Wer über seine Aktivitäten selbstbestimmt entscheiden kann, empfindet weniger Stress und ist gesünder“, bestätigt Ulrich Schnabel, Autor des Buches „Muße“, das Untersuchungen des britischen Epidemiologen Michael Marmor enthält, der in London mehr als zehntausend Beamte nach ihrer Arbeit befragte und zugleich ihren Gesundheitszustand prüfen ließ. Das Ergebnis: Je weiter unten die Angestellten in der behördlichen Hierarchie standen, umso häufiger litten sie unter Stress und wurden krank. Die Beamten auf der untersten Stufe meldeten sich dreimal häufiger krank als ihre obersten Chefs – und ihre Wahrscheinlichkeit, früh zu sterben, war bei gleichem Alter dreimal so hoch. „Je weniger die Beamten selbst darüber bestimmen konnten, wie und wann sie ihre Arbeit verrichteten, umso mehr fühlten sie sich gestresst und umso höher war ihr Risiko, an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall zu sterben“, so Schnabel.

Zum Tag der Arbeit am 1. Mai veröffentlichte FullFocus das Whitepaper „Gesund Führen“. Darin widmet sich die Autorin und FullFocus-Gründerin Ulrike Michels aktuellen Studienergebnissen und neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Auswirkungen von Stress und psychischen Erkrankungen.

In nur neun Jahren …

… hat sich die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund von psychischen Erkrankungen um das 2,6-fache erhöht – von 41 Mio. Tagen 2008 auf 107 Mio. Tage 2017.

… haben sich die Kosten von Produktionsausfällen aufgrund von psychischen Erkrankungen verdreifacht – von 3,9 Milliarden auf 12,2 Milliarden Euro (Quellen: „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2008“ und Ausgabe 2017 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin).

„Die Welt retten, Ideale verwirklichen, für andere einstehen. Wo soll diese Kraft herkommen, wenn nicht aus dem Körper?“, schrieb der experimentelle Schriftsteller Christian Zippel im Debatten-Magazin „The European“ im Juli 2014. Der Körper ist für ihn Komfort- und Kulturzone – erst dann wird er auch zur Kraftzone, aus der ein Mensch erwächst, der mit sich im Einklang ist. Der inneren Stabilität und Motivation als dem Bewegenden und Tragenden kommt dabei ein hoher Wert zu, weil die Gesellschaft immer komplexer und instabiler wird. So verwischen auch die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben immer mehr. Sozialkontakte und die Gestaltung von Beziehungsreichtum, die sich vor allem in der Pflege von Freundschaften ausdrückt, werden vor dem Hintergrund des demografischen Wandels künftig wichtiger sein als wachsender Konsum. Denn unsere Wohlfühlhormone „produzieren“ mit Bindung, Vertrauen und Wertschätzung auch gleich positive Energie mit. Der Energiehaushalt ermöglicht unsere Regenerationsfähigkeit – ihn nachhaltig zu pflegen, bedeutet, die Balance halten. Wer aber immer das Letzte bis zur Erschöpfung gibt, handelt nicht nachhaltig.

Führungskräfte aus der Wirtschaft bestätigen dies. Claudia Silber, Leiterin der Unternehmenskommunikation bei der memo AG, lädt ihre Energie vor allem im privaten Umfeld auf: durch Zeit mit ihrer Familie und mit Freunden. Zu Freundschaft gehören für sie gegenseitiges Vertrauen, Respekt, eine große Portion Nachsichtigkeit und der Mut, sich auf einen Menschen einzulassen. Mit Energiezufuhr verbindet sie auch ruhige Momente ganz für sich selbst, um zu reflektieren und Dinge zu überdenken. Andererseits holt sie sich auch im beruflichen Umfeld durchaus neue Energie: Das kann durch ein erfolgreich abgeschlossenes Projekt, durch spannende und konstruktive Kontakte im Alltag oder auch durch den Besuch einer inspirierenden Veranstaltung sein.

Mit Lebensenergie verbindet sie etwas sehr Positives: „Sie gibt Antriebskraft, ist Triebfeder für Motivation, Entschlossenheit und Mut zu Neuem.“ Ohne diese Energie würde nur wenig bis gar nichts gelingen. Mit Energiefressern assoziiert sie beispielsweise die täglichen schlechten Nachrichten, die oft mutlos machen, aber auch Menschen, die nur an sich selbst denken oder deren Universum sich ausschließlich um sich selbst dreht, Kollegen oder Freunde im Alltag, „die dauernörgelnd Kraft entziehen“. In einem solchen Umfeld kann keine neue Energie entstehen, weil keine Energie mehr vorhanden ist und durch die Energiefresser vollständig verbraucht wurde. Wenn jedoch ein "kleiner Funke" Energie vorhanden ist, kann er schon durch einen weiteren "kleinen Funken" zu einem "Brand" werden. "Für etwas brennen" bedeutet ja, eine Unmenge an Energie zur Verfügung zu haben. Ein alltägliches Beispiel: „Die Laune am Morgen ist nicht ganz so gut, und der Bürotag läuft schlecht an. In diesem Moment kann ein nettes Wort, eine nette Geste oder ein kleines Lob Wunder vollbringen.“ Auch wenn es nicht leicht ist: Sie versucht, sich von diesen vielen "Kleinigkeiten" nicht zu sehr vereinnahmen zu lassen, was nicht immer gelingt. Dann helfen ihr "kleine Auszeiten", um Energiefresser zu ermitteln und auszuschalten.

In ihrer beruflichen Laufbahn erlebte sie es immer wieder, dass viel Energie vor allem durch politische Befindlichkeiten und durch die Beachtung konstruierter Hierarchien innerhalb der Unternehmen verloren geht: „Wenn ich mir jede Minute darüber Gedanken machen muss, was ich wann zu wem sagen darf oder nicht darf, dann kostet das eine Menge Energie, die durchaus sinnvoller eingesetzt werden kann. Wenn Status mehr zählt als Kompetenz und Einsatz, dann läuft etwas falsch. Eine ähnliche Beobachtung machte der Philosoph Paul Valéry, der an sich selbst beobachtete, dass unter den Menschen, denen er begegnete, die einen in ihm so etwas wie Energie erregten, „spontane Wärme und eine vertrauensvolle Öffnung“, die andern den gegenteiligen Effekt, der dazu führte, dass er sich verschloss, ja einschloss und entfernte.

Der HR-Experte und Geschäftsführer solopia GmbH, Jürgen Zahn, verbindet mit Energieverlust in der Arbeitswelt Geldsorgen und Existenzängste, schwere Krankheitsfälle in der Familie und ständige Erreichbarkeit. „Unternehmen, die schlechte Planungen vorweisen, haben oft gestresste Mitarbeiter, und diese lassen es wieder an anderen Kollegen aus. Das ist eine typische Kettenreaktion. Die größten Energiekiller sind definitiv gestresste und unangenehme Vorgesetzte und Kollegen. Genauso wie eine schlechte Zeitplanung, Zeitdruck oder Angst Fehler zu machen.“ Er empfiehlt, sich mit Menschen zu umgeben und auszutauschen, die einem gut tun. Beruflich ist es wichtig, „nicht alles so nahe an sich ran zu lassen und auch das kleine Lob, das man bekommt, anzunehmen.“

Weiterführende Literatur:

  • Alexandra Hildebrandt: Kopf oder Bauch? Wie wir heute die richtigen Entscheidungen treffen. Amazon Media EU S.à r.l. 2017.

  • Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Kommentare

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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