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Welternährung: Warum ökologischer Landbau kein Luxus für die Reichen ist

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat im Jahr 1979 den 16. Oktober als weltweiten Welternährungstag ausgerufen. Der Gedenktag soll darauf aufmerksam machen, dass weltweit über eine Milliarde Menschen an Hunger leiden. Im Jahr 2018 waren es über 820 Millionen Menschen. Gleichzeitig gibt es in den Industrie- und Schwellenländern immer mehr Übergewichtige. Beide Extremen fordern eine entschiedene Ernährungspolitik, die über politische Ressort- sowie Kontinentalgrenzen hinweg handelt und das Wachstum des industriellen Lebensmittelsystems auf Kosten von Umwelt und Gesundheit reguliert.

Die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben sich mit ihren „Zielen für eine Nachhaltige Entwicklung“ (SDGs) vorgenommen, bis 2030 den Hunger auf der Welt zu beenden. Für Slow Food ist eine solche Klimaanstrengung untrennbar mit einer ganzheitlichen Ernährungspolitik verbunden. „Dass unsere Art, uns zu ernähren einen großen Einfluss auf unser Klima hat und der Zustand des Klimas darauf, was und wie viel Nahrung uns zur Verfügung steht – dieses Wechselspiel ist nicht neu. Neu hingegen ist die Deutlichkeit, mit der es die Öffentlichkeit diskutiert. Dazu tragen buchstäblich brennende Anlässe wie im Amazonas bei. Ernährung berührt Bildung und Soziales, Wirtschaft, Umwelt und natürlich Landwirtschaft. Mit Tunnelblick auf einzelne Verantwortungsbereiche, eigene Interessen und freiwillige Zugeständnisse der Lebensmittelindustrie wird es keine soziale Gerechtigkeit, keinen Frieden und kein ‚weniger‘ an Hunger geben“, sagt Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland. Notwendig sei eine Ernährungspolitik, die traditionelles Wissen, die Vermehrung von Artenvielfalt und von gesundem, fruchtbarem Boden sowie faire Wirtschaftsbeziehungen fördere und das Klima schütze. Um eine annähernd gerechte Welternährung zu erreichen kommt es aber auch auf jeden Einzelnen an.

Als Bauernjunge und Sohn eines Gutsverwalters auf der Domaine des Barges im Unterwallis, einem Landwirtschaftsbetrieb im Besitz der Aargauer Tabakdynastie Burger Söhne, erlebte Hans R. Herren am eigenen Leib, was „intensive Landwirtschaft“ schon damals bedeutete: Gegen die Raupen der Motten und Nachtfalter an den Tabakblättern sowie gegen Pilzkrankheiten wurden hochgiftige Insektizide und Fungizide verspritzt, die neben den Schadinsekten und Pilzen auch Nützlinge wie Bienen vernichteten. Seine Dissertation schrieb er bei Vittorio Delucchi, Professor für Entomologie (Insektenkunde), der in der Schweiz als Pionier der Idee gilt, in der Landwirtschaft keine Insektizide, sondern natürliche Feinde gegen schädliche Insekten einzusetzen. Später war Herren 27 Jahre in Afrika und in der biologischen Schädlingsbekämpfung tätig.

Seine Erfahrungen und das erworbene Wissen machten ihm bewusst, wie wichtig es ist, dass die Landwirtschaft und unser gesamtes Ernährungssystem grundlegend nachhaltig transformiert werden müssen, weil die Fleischproduktion immer mehr industriell in Massentierhaltungssystemen stattfindet und das Haltungsform mit dem Einsatz großer Mengen von Antibiotika verbunden ist (weltweit gehen 70% des Antibiotikaverbrauchs auf das Konto der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Der enorme Antibiotikaeinsatz begünstigt die Entwicklung von Resistenzen. Folglich sterben in Europa ca. 25.000 Menschen jährlich an Infektionen durch antibiotikaresistente Erreger. Die Fleischproduktion erfolgt immer mehr industriell in Massentierhaltungssystemen, was mit dem Einsatz großer Mengen von Antibiotika verbunden ist. 70 % des Antibiotikaverbrauchs gehen weltweit auf das Konto der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Durch den Einsatz von Pestiziden erleiden jährlich drei bis fünf Millionen Bäuerinnen und Landarbeiter Vergiftungen - davon enden jährlich etwa 220.000 tödlich.

Die Landwirtschaft, die Herren sich wünscht und für die er sich einsetzt, treibt nicht den höchsten, sondern den nachhaltig möglichen Ertrag an - und sie ist multifunktional: „Sie schont Böden und Gewässer, regeneriert und erhält die natürliche Bodenfruchtbarkeit und fördert die Biodiversität.“ Um der Vielfalt der Systeme gerecht zu werden, seien lokale Ansätze nötig, eine Verlagerung der Forschung vom Labor ins Feld, aber auch eine bessere Integration der Bäuerinnen und Bauern vor Ort sowie regionale Forschungsnetze. Wenn die Welt mit neun Milliarden Menschen gesund ernährt werden soll, dann ist das nach Ansicht von Herren nur mit einem agrarökologischen Ansatz und einem solidarisch verantwortungsbewussten Verhalten möglich.

Die Produktion von Pestiziden und Mineraldünger braucht viel Erdöl. Auch deshalb ist der Treibhausgasausstoß im ökologischen Landbau viel geringer als in der konventionellen Landwirtschaft, da er weitgehend ohne Agrochemikalien auskommt. Eine Welt mit genügend und gesunder Nahrung für alle, produziert von gesunden Menschen in einer gesunden Umwelt - das ist seine (Bio-Vision). All das gibt es zwar nicht gratis, doch die finanziellen Mittel, die dafür eingesetzt werden, verhindern weitaus höhere Kosten für die kommenden Generationen. Deshalb ist eine nachhaltige Ausrichtung zugleich eine Investition in die Zukunft. Ökologischer Landbau ist kein Luxus für die Reichen, sondern eine „Überlebensnotwendigkeit“.

Weiterführende Literatur:

Hans R. Herren: So ernähren wir die Welt. Rüffer & Rub Sachbuchverlag GmbH, Zürich 2016.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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