Wie Beamte wirklich arbeiten – und welche Tücken es gibt
Jobsicherheit und Gemächlichkeit: Der Staat gilt vielen als Traumarbeitgeber. Doch stimmen die Klischees? Über die Arbeit in einem System der Widersprüche.
Eine Karriere im öffentlichen Dienst ist für viele Menschen attraktiv, gerade in der Generation Z. Und die Zahl der beim Staat Beschäftigten steigt kontinuierlich – genauso wie der Personalbedarf.
Der Wirtschaftsweise Martin Werding hält eine grundlegende Reform des Beamtentums für notwendig. Im Handelsblatt-Interview erklärt er, wie sie aussehen könnte.
Ob als Referentin, Sachbearbeiter, Diplomatin oder Lehrer: Beim Staat werden Jobsuchende mit unterschiedlichen Hintergründen fündig. Für ein Jobprofil ist der Personalbedarf besonders groß.
Doch rechnet sich eine Karriere als Beamter im Vergleich zur Privatwirtschaft? Eine exklusive Modellrechnung macht anhand eines Beispiels deutlich, welcher Karriereweg sich mit Blick auf das Lebenseinkommen mehr lohnt.
Berlin. Feierabend um Punkt fünf Uhr, gemächliches Arbeitstempo, Jobsicherheit: An all das dachte Silke Lehnhardt nicht, als sie 2021 von der Topmanagerin zur Amtsleiterin wurde. Sie wollte nur eins, sagt sie: sinnstiftend arbeiten, etwas für die Gesellschaft tun. Und zwar im Amt für Innovation, Organisation und Digitalisierung der Stadt Wiesbaden.
Lehnhardt, 60, hatte jahrzehntelang erst in den Führungsetagen von Lufthansa und Telekom gearbeitet, war unter anderem Vorständin bei Lufthansa Cargo gewesen. Danach wurde sie selbstständige Interimsmanagerin. Zum Ende ihrer Karriere habe sie noch einmal etwas Neues ausprobieren wollen. In den öffentlichen Dienst ging sie in einer Phase ihres Arbeitslebens, „in der man Geld auch mal etwas relativieren kann“.
Für die Amtsleiterin mag die Hoffnung auf Sicherheit, Planbarkeit und geringe Belastung nicht die entscheidende Rolle gespielt haben. Für viele andere Menschen machen diese vermeintlichen Traumbedingungen den Reiz des Staates als Arbeitgeber aus. „Der öffentliche Dienst ist attraktiv“, sagt Rainer Bernnat, der bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC für den öffentlichen Sektor zuständig ist.
Öffentlicher Dienst und Beamtenkarriere: Bei der Gen Z gefragt
Besonders gut kommt der Staatsdienst offenbar bei jungen Menschen an. In einer Studie der Beratungsgesellschaft EY gibt fast ein Viertel der 2000 befragten Studierenden an, dass der öffentliche Sektor für sie ein besonders attraktiver Arbeitgeber sei. Unter den Studentinnen kann sich sogar fast jede Dritte eine Zukunft beim Staat vorstellen.
PwC-Partner Rainer Bernnat kann das nachvollziehen. Er sagt: Die Arbeit im öffentlichen Dienst passt zu den Ansprüchen vieler Mitglieder der Generation Z. „Viele Jobs sind sinnstiftend, gut planbar, sicher – und es steht nicht notwendigerweise das Finanzielle im Vordergrund.“ Bernnat sagt, er kenne sogar viele hochbezahlte Beraterkollegen, die für eine Stelle im öffentlichen Dienst auf viel Geld verzichten würden.
Angesichts der wirtschaftlichen Lage ist das kein Wunder. Im Zuge der Transformation bauen viele Unternehmen Stellen ab, schreiben immer weniger neue aus. Beschäftigte geraten unter Druck: Wo gespart wird, muss bald jeder Einzelne seinem Arbeitgeber beweisen, dass er zu den Unverzichtbaren gehört – denen, die weder durch KI noch in der nächsten Restrukturierung ersetzt werden können. Ein Problem, das Beamte nicht haben: Sie sind nahezu unkündbar.
Denen, die deswegen mit ihm liebäugeln, eröffnet der Staat immer mehr Jobmöglichkeiten. Laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ist die Zahl der öffentlich Beschäftigten von 2012 bis 2022 um 14 Prozent gestiegen, rund 584.000 Menschen sind demnach dazugekommen. Rechnet man die Beschäftigten von Sozialversicherungen, öffentlich bestimmten Einrichtungen und Unternehmen in privater Rechtsform (zum Beispiel der Deutschen Bahn) mit ein, kommt man im selben Zeitraum sogar auf einen Personalzuwachs von 16 Prozent.
Im vergangenen Jahr – von September 2023 bis September 2024 – stellte der Staat noch einmal rund 51.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte ein. Nur in den vom Fachkräftemangel geplagten Bereichen Gesundheit, Pflege und Soziales waren es mehr, das geht aus dem Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit (BA) aus dem November hervor. Und der Zuwachs ist teuer, die Personalkosten des öffentlichen Dienstes wachsen seit 2006 kontinuierlich jedes Jahr. Laut Statistischem Bundesamt ließ sich der deutsche Staat seine Mitarbeitenden im Jahr 2023 knapp 373 Milliarden Euro kosten.
Der Kontrast zur Privatwirtschaft ist auffällig. Während der Staat aufbaut, baut man in vielen Unternehmen ab. Nur einige Beispiele aus dem aktuellen BA-Monatsbericht: Im verarbeitenden Gewerbe schrumpfte die Zahl der Beschäftigten innerhalb eines Jahres zuletzt um 81.000, bei Leih- und Zeitarbeitern um 73.000 und im Baugewerbe um 29.000.
Doch wenn im öffentlichen Dienst so viele Menschen eingestellt werden, wie kann es dann sein, dass dort weiter eine gigantische Fachkräftelücke klafft? Worauf müssen sich Menschen einstellen, die aus der Wirtschaft zum Staat wechseln? Und was macht es mit einer Volkswirtschaft, wenn das Karriereziel von immer mehr Menschen nicht Unternehmertum oder Spitzenjob heißt – sondern sie nach der vermeintlich ruhigen Kugel in der Amtsstube streben? Einblicke in ein System der Widersprüche.
Widerspruch eins: Immer mehr Personal – und immer mehr Bedarf
5,27 Millionen Menschen arbeiten laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) aktuell im öffentlichen Dienst – Mitarbeitende von öffentlich bestimmten Einrichtungen oder der Bahn herausgerechnet. Ein Großteil von ihnen hat keinen Beamtentitel, sondern ist angestellt: Etwa ein Drittel ist verbeamtet oder steht als Richter in einem beamtenähnlichen Dienstverhältnis.
Beamtinnen und Beamte haben diverse Privilegien, vor allem gegenüber den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Sie werden auf Lebenszeit ernannt und vom Dienstherrn alimentiert – was ihnen besonders im hohen Lebensalter finanzielle Vorteile bringen kann, wie eine exklusive Berechnung der Quirin Privatbank fürs Handelsblatt zeigt.
Von Sozialabgaben sind Beamte befreit. Zusätzlich bekommen sie im Gegensatz zu den Angestellten teils üppige Pensionen, der Höchstsatz beim „Ruhegehalt“ liegt bei 71,75 Prozent der letzten Dienstbezüge. Auch im Krankheitsfall bekommen sie ihren Lohn vom Dienstherrn unbegrenzt fortgezahlt. Kündbar sind sie nur in absoluten Ausnahmefällen, etwa wenn sie sich eines schweren Dienstvergehens schuldig machen.
Die Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst hingegen zahlen Sozialabgaben. Sie bekommen keine Pension, sondern die gesetzliche Rente und zusätzlich eine Betriebsrente – beim Bund etwa über die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder. Zwar gelten auch ihre Jobs als sehr sicher, dennoch können sie außerordentlich gekündigt werden, etwa wegen unentschuldigten Fehlens oder sonstiger erheblicher Pflichtverletzungen.
Stellen im öffentlichen Dienst sind umso attraktiver, je höher die Chancen auf eine Verbeamtung sind. Doch hier geht der Trend abwärts: Der Beamtenanteil in Deutschland sinkt, das geht aus einer weiteren Studie des IW Köln aus diesem Jahr hervor. Am stärksten ging er zuletzt bei den Kommunen zurück, von 2012 bis 2022 ist er dort um mehr als ein Sechstel geschrumpft.
Das Instrument der Verbeamtung wird vermutlich weiter an Bedeutung verlieren.Björn Kauder, IW-Ökonom
Durchgeführt hat die Studie der Ökonom Björn Kauder. Er rechnet damit, dass Personal in Zukunft vor allem bei den Angestellten aufgebaut wird – nicht bei den Beamtinnen und Beamten. „Das Instrument der Verbeamtung wird vermutlich weiter an Bedeutung verlieren“, sagt er.
Zu wenig Personal – oder zu viele überflüssige Aufgaben?
Dennoch hat der öffentliche Sektor ein Problem mit dem privatwirtschaftlichen gemein: den Fachkräftemangel. Auch im öffentlichen Dienst gehen immer mehr ältere Beschäftigte in Pension oder Rente – und immer weniger jüngere rücken nach. Rund 570.000 Beschäftigte fehlen laut dem Deutschen Beamtenbund (DBB) schon heute. Im Jahr 2030, so prognostiziert es die Beratungsgesellschaft PwC in einer Studie, werden es mindestens eine Million sein.
Wie kommt es, dass im öffentlichen Dienst so viele Leute fehlen – wenn doch immer mehr eingestellt werden? Diese Frage hat sich auch IW-Ökonom Kauder gestellt.
Er spricht in dem Zusammenhang von einer „Henne-Ei-Frage“: Gibt es zu wenig Personal für die vorhandenen Aufgaben? Oder würde das vorhandene Personal eigentlich reichen – hat aber zu viele überflüssige Aufgaben?
Beides stimmt, meint der Ökonom. Er gibt Beispiele: „Finanzämter hätten sich leicht Personal sparen können, wenn der Gesetzgeber den Verwaltungsaufwand durch die Grundsteuerreform reduziert hätte.“ Anders sei die Lage im Bereich Kinderbetreuung. „Hier kommen Sie kaum umhin, mehr Leute finden zu müssen.“ Weder könne man Kinder und ihre Bedürfnisse „vereinfachen“, noch sei es ratsam, den Personalschlüssel zu erhöhen, also einzelnen Erziehern immer mehr Kinder zuzuweisen.
Doch nicht in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes wird gleich viel Personal aufgebaut:
Bei den Ländern wuchs die Beschäftigtenzahl von 2012 bis 2022 vor allem im Bildungswesen und der Wissenschaft – und dort besonders im Hochschulbereich. Hier ist die Zahl der Beschäftigten laut IW überproportional stark um 129.000 oder 26 Prozent gestiegen.
Bei den Kommunen ist es die Kindertagesbetreuung, die die Beschäftigtenzahl in die Höhe getrieben hat: Zuletzt zählte das IW dort 92.000 Beschäftigte – ein Zuwachs von 54 Prozent im Erhebungszeitraum.
Der Bereich „Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ ist auf allen Ebenen deutlich größer geworden: Beim Bund verzeichnete man hier einen Zuwachs von 39 Prozent, bei den Ländern betrug er zehn Prozent. Laut IW ist das vor allem auf den Bedarf bei der Polizei zurückzuführen.
Bemerkenswert findet Kauder allerdings vor allem die Zuwächse in einem Bereich: der politischen Führung und zentralen Verwaltung, zum Beispiel bei Referenten, Referats- oder Abteilungsleitern. Beim Bund arbeiteten in diesem Feld zuletzt 32 Prozent mehr Menschen als noch 2012; bei den Ländern waren es 21 Prozent mehr; und bei den Kommunen gab es hier einen Personalzuwachs von 27 Prozent.
„Hier liegt die Vermutung nahe, dass Stellen nicht zuletzt aus politischen Gründen geschaffen worden sind“, schreibt Kauder. Mit Blick auf eine schlanke und effiziente Verwaltung sei das kritisch zu prüfen.
Gerade die Zahl der gut besoldeten Stellen in den Ministerien sei nach oben gegangen, so der Ökonom. Aus seiner Sicht liegt der Verdacht nahe, dass Entscheider auf Regierungs- oder Gemeindeebene teilweise Parteifreunde mit Stellen versorgt hätten – eine Praxis, die in privatwirtschaftlichen Unternehmen kaum vorstellbar wäre. „Flapsig gesagt ist das die ,Operation Abendsonne‘: Wenn man kurz vor der Abwahl steht, schaut man, dass man seine Leute noch schnell unterbringt“, so Kauder. Das Problem: Im Einzelfall sei kaum nachweisbar, ob eine Stelle geschaffen worden sei, die unnötig war.
Wenn man kurz vor der Abwahl steht, schaut man, dass man seine Leute noch schnell unterbringt.Björn Kauder, IW-Ökonom
Auch digitale Technologien und Künstliche Intelligenz (KI) beeinflussten den Personalbedarf – in beide Richtungen. Einerseits binde der schleppend vorangehende technologische Wandel vielerorts Personal. „Ich kenne Leute im öffentlichen Dienst, die stolz berichten, dass sie ihre Urlaubsanträge jetzt nicht mehr auf Papier stellen müssen“, sagt Kauder. Andererseits führten neue Technologien auch oft dazu, dass zunächst nicht weniger, sondern mehr Leute gebraucht würden, zum Beispiel, um Mitarbeitende zu schulen.
Und: „Selbst wenn im öffentlichen Dienst mehr digitalisiert oder automatisiert wird: Gerade Beamte können Sie nicht einfach rauswerfen.“ Auch dann, wenn zum Beispiel ein KI-Tool große Teile der Arbeit eines Einzelnen übernehmen könnte, verbleibe dieser im Dienst – und sei im Zweifel einfach unterbeschäftigt.
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Widerspruch zwei: Traumarbeitgeber für die einen – Bewerberschreck für die anderen
Als Beamtin habe sie viele Privilegien, sagt Silke Lehnhardt, die Wiesbadener Amtsleiterin. Das für sie wichtigste: „Das Gefühl, sinnstiftend zu arbeiten, ist in meinem Job extrem ausgeprägt.“ Zwar dauere es viel länger als in Unternehmen, bis man zu Entscheidungen komme, weil alle Vorhaben erst in Parteien und Fraktionen besprochen werden müssten. „Aber es ist bereichernd, an der Basis unserer Demokratie zu arbeiten.“
Auch die Sicherheit ihres Jobs empfindet Lehnhardt als angenehm. Bei der Lufthansa habe sie „unternehmensbedrohende Krisen“ miterlebt, zum Beispiel, als nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 der weltweite Flugverkehr stillstand. In der Verwaltung hätten Mitarbeitende stets die Gewissheit, dass es „in klaren Verhältnissen“ weitergehe.
Ein weiteres Plus ihres Amtsleiterinnen-Jobs: Sie kann besser planen als früher und ist weniger unterwegs. „Ich musste als Managerin oft reisen, stand teilweise jede Woche am Flughafen“, sagt sie. Heute seien die meisten ihrer Dienstreisen mit den Wiesbadener Stadtbussen machbar.
Doch Lehnhardt weiß auch um die Nachteile der Arbeit im öffentlichen Dienst. „Wir sind in vielen Bereichen weit hinter dem, was in der Wirtschaft normal ist“, sagt sie. Beispiel Technologie-Einsatz: „Mitarbeitende müssen bei uns oft Daten doppelt übertragen, Texte ausdrucken und wieder eintippen, manuelle Unterschriftenmappen hin- und hertragen.“ Die Lücken in der Verwaltungsdigitalisierung seien „für die Mitarbeitenden oft eine Zumutung“, viele Prozesse „überhaupt nicht mehr zeitgemäß“.
Öffentlicher Dienst: Gehalt oft nicht konkurrenzfähig
Ein weiterer großer Minuspunkt seien die Gehälter, die der Staat zahlt, sagt Rainer Bernnat von PwC. Während Berufseinsteiger in vielen Bereichen in etwa gleich verdienten wie in der Privatwirtschaft, seien die Unterschiede bei Quereinsteigern auf höheren Leveln immens. „In der IT oder im Projektmanagement trifft das den öffentlichen Sektor hart“, so der Experte. „Die Gehaltsdifferenz ist hier so groß, dass die Liebe zum Beamtentum allein oft nicht als Anreiz reicht.“
Für den öffentlichen Sektor ist das ein Problem. Denn es ist ein Mythos, dass junge Menschen nicht so viel Wert aufs Geld legten wie ältere. Für seinen aktuellen „HR-Monitor“ hat der Beratungskonzern McKinsey 1000 Beschäftigte aller Altersgruppen gefragt, welche für sie die wichtigsten Gründe wären, den Arbeitgeber zu wechseln. Bei der Gen Z lag der Punkt „Vergütung und Zusatzleistungen“ mit 35 Prozent Zustimmung auf Platz eins. Der „Purpose“ folgt erst auf Platz fünf.
Die Gehaltsdifferenz ist hier so groß, dass die Liebe zum Beamtentum allein oft nicht als Anreiz reicht.Rainer Bernnat, PwC
Doch wie viel verdient man im öffentlichen Dienst nun? Eine pauschale Antwort darauf ist unmöglich, zu vielfältig sind die Jobprofile, Entgeltgruppen, Besoldungsstufen, zu groß die föderalen Unterschiede. Bei der Beratungsgesellschaft PwC hat man sich deswegen exemplarisch angesehen, welche Gehälter sich mit unterschiedlichen Bildungshintergründen beim staatlichen Arbeitgeber Polizei erreichen lassen. Die Experten haben in einer Studie die potenzielle Vergütung drei verschiedener, fiktiver Kandidaten dort analysiert – und auch mit den Gehältern verglichen, die diese in ebenfalls passenden Jobs in der Privatwirtschaft einstreichen könnten.
Kandidat eins: Uniabsolvent mit Bachelorabschluss in Informatik
Für einen prototypischen Berufseinsteiger ist die Polizei finanziell betrachtet wenig attraktiv. IT-Fachkräfte mit diesem Hintergrund, so PwC, werden im öffentlichen Dienst hauptsächlich als Tarifbeschäftigte angestellt. Bei der Bundespolizei würde ein solcher Spezialist laut PwC rund 3100 Euro brutto im Monat verdienen, bei den Ländern – Hessen ausgenommen – 3137 Euro, bei einem durchschnittlichen Unternehmen in der Privatwirtschaft 3182 Euro.
Wichtig: Auch wenn Einstiegsgehälter wie diese in Wirtschaft und öffentlichem Dienst nah beieinander liegen, haben junge IT-Spezialisten im Staatsdienst kaum Entwicklungsmöglichkeiten. „Ein Wechsel in eine höhere Entgeltgruppe ist planmäßig nicht vorgesehen“, heißt es in der Studie. Das beeinträchtigt auch die Gehaltsentwicklung: Über die regelmäßigen Anpassungen innerhalb der Entgeltgruppe hinaus wird das Einkommen im Laufe der Karriere einer solchen Fachkraft kaum steigen.
Kandidatin zwei: Hochqualifizierte Quereinsteigerin mit IT-Berufserfahrung
Auch für eine fiktive IT-Managerin mit Masterabschluss, die über fünf Jahre Berufserfahrung verfügt, ist die Polizei finanziell kein attraktiver Arbeitgeber. Hier fällt die Differenz größer aus als bei Berufseinsteigern: Sie würde bei einem Querwechsel ebenfalls als Tarifbeschäftigte eingestuft werden und bei der Bundespolizei in der Entgeltgruppe E11 maximal 4317 Euro monatlich verdienen. Bei den Ländern – Hessen ausgenommen – wären es 4178 Euro. Bei einer durchschnittlich zahlenden IT-Firma könnte sie mit 5958 Euro weit mehr einstreichen.
Kandidatin drei: Beamtin im polizeilichen Vollzugsdienst
Die dritte fiktive Beschäftigte, die PwC in der Studie beschreibt, ist Oberinspektorin. Nach ihrer Polizeiausbildung wurde sie verbeamtet, sie ist in Besoldungsgruppe A10. Weil sie im PwC-Szenario im Grenzgebiet zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz lebt, kann sie zwischen drei potenziellen Arbeitgebern wählen.
Beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden würde sie am meisten verdienen: 3524 Euro plus die sogenannte Polizeizulage von 228 Euro. Beim Polizeipräsidium in Wiesbaden bekäme sie vom Land Hessen 3269 Euro plus 133 Euro Zulage nach einer Dienstzeit von zwei Jahren. Beim Polizeipräsidium Mainz würde das Land Rheinland-Pfalz ihr 3187 Euro plus 131 Euro Zulage zahlen. Wer nahe einer Bundeslandgrenze wohnt, so PwC, hat im öffentlichen Dienst also häufig attraktive Wahlmöglichkeiten.
Widerspruch drei: Veränderung ist nötig – aber fast unmöglich
Michèle Morner lehrt an der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Die Hochschule gilt als Kaderschmiede der deutschen Verwaltungselite. Klassischerweise schicken die Ministerien aus allen Bundesländern ihre Rechtsreferendare nach Speyer, junge „Beamte auf Probe“, die bereits Verwaltungserfahrung haben. Aber auch Bachelor-Absolventen aus den Bereichen Psychologie, BWL oder Verwaltungswissenschaften kommen dorthin, um einen Master of Public Administration draufzusetzen.
Morner sagt: „Bei Beamtinnen und Beamten baut sich oft ein ganz anderer Frust auf als in der Privatwirtschaft.“ Sie unterrichtet in Speyer Führung, Management und Organisation – alles Themen, die es in der Verwaltung schwer haben. Crossfunktionale Teams, die über mehrere Abteilungen hinweg arbeiten? Mehr Eigenverantwortlichkeit der Einzelnen? Neue Formen der Führung, in denen Vorgesetzte eher coachen als Anweisungen geben? Vielen Studierenden erscheinen all diese Ansätze, die Morner lehrt, in der Praxis unmöglich umsetzbar.
Dabei müsste sich auch die Verwaltung dringend transformieren, um ihre immer komplexeren Aufgaben bewältigen zu können. Das Problem: „Wir sind stark reguliert und eingeschränkt“, sagt Michèle Morner. „Wir können zum Beispiel nicht wie ein privatwirtschaftlicher Konzern einfach sagen: Für die und die Aufgabe kaufen wir jetzt zur Unterstützung ein KI-Modell.“
Wir sind stark reguliert und eingeschränkt.Michèle Morner, Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer
Dazu kommt, dass junge Beamte naturgemäß oft nicht sehr veränderungsfreudig seien. „Manchmal wünsche ich mir mehr Begeisterungsfähigkeit für Neues“, sagt Morner. Gehe es in ihren Lehrveranstaltungen darum, wie man Organisationen modern aufstellt oder agil arbeite, bekomme sie es oft mit Bedenkenträgern zu tun. Viele ihrer Studierenden seien konservativ, wenn auch „in einem guten Sinne“. Experimentiert werde ungern.
Das Gros ihrer Studierenden sei „vernünftig und pflichtbewusst“, „Querschläger“ gebe es wenige. Die Zahl der Frauen auf dem Campus nehme zwar zu, doch die Studierendenschaft sei darüber hinaus sehr homogen, weiß, hetero. Wer davon abweicht, fällt auf, sagt Morner. „Dann prallen schon in der Vorstellungsrunde manchmal Welten zusammen, wenn zum Beispiel eine queere Person ihre Geschlechtsidentität erklärt.“
Widerspruch vier: Burn-out-Kandidaten neben Verantwortungsvermeidern
Auch Isabell Nehmeyer-Srocke kennt diese Mentalität. Sie ist eine der Gründerinnen des „Querwechsler-Netzwerks“, das sich für eine stärkere Verzahnung von Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst einsetzt. Bis vor gut drei Jahren leitete sie die Kämmerei der Stadt Köln. Vorher und nachher bekleidete sie hohe Führungsposten in verschiedenen Unternehmen, ist heute Finanzvorständin einer Aktiengesellschaft.
Als sie noch Kämmerin war, habe sie oft die Azubis ihrer Behörde begrüßt. Wenn sie den Amtsnachwuchs gefragt habe, warum es sie in die Verwaltung zog, hätten viele geantwortet: weil auch andere Familienmitglieder dort arbeiteten, weil sie Köln nicht verlassen wollten, weil sie kein Englisch sprechen wollten.
Die Verwaltung ziehe ihrer Erfahrung nach eher risikoscheue Menschen an. „Im öffentlichen Dienst ist Hierarchie alles“, sagt Nehmeyer-Srocke. „Es wird kaum delegiert, jede Entscheidung muss einen langen Dienstweg gehen und wird am Ende von ganz oben getroffen.“ Das sei auch für Menschen attraktiv, die Verantwortung scheuten und sich lieber absicherten, statt pragmatisch zu entscheiden. Gerade in der Verwaltung hätten viele Angst, „einen auf den Deckel zu bekommen“.
Wer mit Herzblut dabei ist, kann sich in der Verwaltung totarbeiten.Isabell Nehmeyer-Srocke, Mitgründerin des „Querwechsler-Netzwerks“
Den Ängstlichen stehe oft ein ganz anderer Typus gegenüber: diejenigen, die sich von Natur aus „für alles verantwortlich fühlen“. Sie erledigten oft die Arbeit anderer Kolleginnen und Kollegen mit, sagt Nehmeyer-Srocke. „Wer mit Herzblut dabei ist, kann sich in der Verwaltung totarbeiten.“
Gefühlt, sagt sie, sei sie seit ihrem Wechsel öfter als vorher mit Burn-out-Erkrankungen konfrontiert. Offiziell lässt sich das nicht bestätigen. Eine Erhebung der Krankenkasse DAK unter den eigenen Versicherten zeigt: Der Anteil, den psychische Erkrankungen an allen Krankschreibungen hatten, war 2023 im öffentlichen Dienst sogar geringer als in der Privatwirtschaft.
Die Gewerkschaft Verdi allerdings hat in diesem Jahr Beamtinnen und Beamte dazu befragt, wie es ihnen mit ihrer Arbeitslast geht. Ergebnis: Mehr als ein Fünftel wünscht sich in Bezug auf die eigene Arbeitszeit „dringend eine Veränderung oder Verbesserung“.
Andreas Splanemann, Bundesbeamtensekretär bei Verdi, sagt: Dass viele Beamte sich so belastet fühlten, komme auch daher, dass so viele Stellen unbesetzt blieben. „Zwei Drittel der Beamten sagen, dass in ihrem direkten Umfeld Beschäftigte fehlen, weil nicht nachbesetzt wird.“
Widerspruch fünf: Sehnsuchtsort Staat – was macht das mit der Volkswirtschaft?
Lange nicht jeder schiebt im öffentlichen Dienst also die sprichwörtliche ruhige Kugel. Beamte und Angestellte sind oft frustriert von den zähen Prozessen und verdienen häufig schlechter, als sie es in der Privatwirtschaft könnten. Fakt ist dennoch: Der Staat ist und bleibt für viele Menschen ein überaus attraktiver Arbeitgeber.
Für die Volkswirtschaft wiederum ist das ein Problem, sagt Björn Kauder vom IW. „Der Wohlstand, von dem wir leben, wird im privaten Sektor erwirtschaftet“, so der Ökonom. Natürlich sei ein funktionierender Staatsapparat unverzichtbar, auch dort würden zwingend qualifizierte Leute gebraucht. Im Moment aber sieht er ein Ungleichgewicht, was den Personalaufbau angeht.
Der Wohlstand, von dem wir leben, wird im privaten Sektor erwirtschaftet.Björn Kauder, IW-Ökonom
„Die hohe Zahl der Stellenausschreibungen im öffentlichen Dienst führt dazu, dass mehr Leute dort hineingesogen werden – statt in einem Unternehmen Karriere zu machen oder eines zu gründen“, so der Ökonom. Einen solchen Sog gelte es aus volkswirtschaftlicher Sicht zu verhindern.
„Es geht nicht um die Frage, ob wir im öffentlichen Sektor wirklich mehr Erzieher brauchen. Das ist Konsens“, so der Wirtschaftswissenschaftler. „Aber wenn wir zum Beispiel die Ministerien mit immer mehr Leuten aufblähen, sollte man sich fragen: Warum muss das sein?“ Der Verwaltungsaufwand, den der Gesetzgeber mit einigen seiner Entscheidungen verursache, sei unverhältnismäßig.
Auch Isabell Nehmeyer-Srocke, die Mitgründerin des „Querwechsler-Netzwerks“, möchte in der Verwaltung zu mehr Pragmatismus ermutigen. Auch dort könne man „sich aus dem Fenster lehnen und Dinge einfach machen“. Es brauche dafür nicht immer eine Gesetzesänderung. Der öffentliche Dienst sei stattdessen angewiesen auf „eine kritische Masse mutiger Führungskräfte“, auf Entscheider, die traditionell gewachsene Strukturen hinterfragten. Aktuell gebe es von ihnen viel zu wenige.
Stand heute, so IW-Ökonom Kauder, ist der Staat für transformationserprobte Spitzenkräfte aus der Wirtschaft kaum attraktiv. Er locke eher die geringer Qualifizierten und sei vor allem für die Menschen „der absolute Jackpot“, die im Job nach Sicherheit strebten. Für sie solle und dürfe der Staat natürlich attraktiv bleiben – „aber bitte nicht zu attraktiv“. Wenn der öffentliche Dienst nämlich immer weiter wachse, die Volkswirtschaft aber nicht, dann sei der Wohlstand des Landes in Gefahr.
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