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Ausschnitt Buchcover: Wolfgang Tillmans. four books. 40th Anniversary Edition. TASCHEN Verlag 2020. - Wolfgang Tillmans

Wie der Gesellschaftsfotograf Wolfgang Tillmans die Wahrnehmung unserer Welt prägt

„Mit meinen Bildern will ich meine Gedanken über die Welt ausdrücken.“ (Wolfgang Tillmans)

Fotografieren ist aus dem Griechischen abgeleitet und bedeutet „mit Licht schreiben“ – das trifft genau, was Wolfgang Tillmans tut. Wie nur wenige Künstler seiner Generation hat er unsere Wahrnehmung der Welt geprägt. Fotograf war Jahrzehnte lang die geschützte Berufsbezeichnung des deutschen Fotografenhandwerkes. Der inhaltliche Schwerpunkt lag vor allem auf der handwerklich-technischen Seite. Für Tillmans, Jahrgang 1968, ist die Fotografie eine von zahlreichen handwerklichen Fähigkeiten, sich kreativ auszudrücken. Sein Begriff beginnt genau dort, wo der handwerkliche endet. Er liest Orte mit der Kamera und sucht das Unerwartete, das sich nur finden lässt, wenn zu viel Planung und Kontrolle ausgeschlossen werden.

Im Englischen gibt es das Wort Serendipity, das die Fähigkeit beschreibt, zu finden, wonach man nicht gesucht hat.

Das bedeutet keineswegs, sich willenlos treiben zu lassen. Tillmans bestimmt den Ausgangspunkt und die Richtung, in die er gehen will und bezieht das Unerwartete mit ein. Obwohl er weiß, dass die Kamera lügt, hält er doch „an der Idee von einer fotografischen Wahrheit“ fest. Seinen Weg ertastet er über soziale, kulturelle und physische Grenzen hinweg, versucht, gesellschaftliche Codes zu entziffern und sie in Bilder zu übersetzen, die seit langem fester Bestandteil unseres kollektiven Gedächtnisses sind.

Der in Remscheid geborene Künstler interessierte sich schon als Schüler für Fotografie. 1983 traf er bei einem Sprachstudium in England auf die britischen Jugendkultur und Style- und Musikmedien wie i-D. Von 1987 bis 1990 lebte er in Hamburg. Während eines Nebenjobs als Telefonist, nutze er den Fotokopierer, um gefundene Fotografien zu vergrößern. 1988 begann er die Rave-Szene zu fotografieren. Von 1990 bis 1992 studierte er am Bournemouth & Poole College of Art and Design in Südengland. Nach seinem Studium und Stationen in Hamburg, Bournemouth, New York und London, lebt und arbeitet er heute in Berlin. Seit 2003 hält er eine Professur an der Städelschule in Frankfurt/Main. Von Anfang an setzte er sich über die traditionelle Trennung der in Galerien gezeigten Kunst gegenüber von Bildern und Ideen, die durch andere Kunstformen transportiert werden, hinweg und gewährt beiden den gleichen Stellenwert.

Von frühen Porträts seiner Freunde über banale Alltagsmomente, Stillleben, Reise- und Digitalfotos, Sternenkonstellationen, Aktstudien, Landschafts- und Himmelsaufnahmen bis hin zu abstrakten Arbeiten schuf er eine Vielzahl ikonischer Werke und eröffnete der Fotografie und der zeitgenössischen Kunst neue Wege. Internationale Pop-Kultur Magazine wie i-D, Interview oder Spex publizierten seine Bilder vom European Gay Pride in London (1992) oder der Love Parade in Berlin (1992). Seit dieser Zeit wird er als „Chronist seiner Generation, vor allem der Londoner Club- und Schwulenszene“ gesehen. Am bekanntesten sind seine nahbaren Porträts von Prominenten (z. B. des Musikers Moby auf der Bettdecke oder Kate Moss am Küchentisch hinter Tomaten und Erdbeeren aus den neunziger Jahren). Porträts sind für ihn immer dann besonders interessant, „wenn sie über die Person des Abgebildeten hinaus allgemeinmensch­liche Aussagen treffen.“

Lady Gaga ließ sich 2010 am Pfingstmontag stundenlang von ihm am Lehmbruck-Museum fotografieren.

Unbeachtet von den Fans, posierte sie für ihn. Sein Ziel war es, mit seiner Fotographie die natürliche Seite der Künstlerin zu zeigen.Die nachhaltige Wirkung seiner Bilder verdankt sich auch der Bereitschaft des Fotografen, die Fotosessions nicht als Inszenierung zu betrachten, in der die Modelle nur Statisten sind, sondern sich ihnen in ehrlicher Absicht zu nähern. Dadurch sind auch die Modelle entspannter und wirken auch auf den Fotos ungekünstelt. Seine Arbeiten, die vor allem durch ihre Nähe und Direktheit bestechen, finden sich in den Sammlungen zahlreicher internationaler Museen – darunter im Museum of Modern Art, New York, im Centre Pompidou, Paris, im National Museum of Modern Art, Osaka, der Berliner Nationalgalerie und in der Tate, London – und waren Bestandteil der Biennale von Venedig 2009. Tillmans wurde im Jahr 2000 mit dem Turner-Preis, 2014 mit dem Hasselblad Award und 2018 mit dem Kaiserring der Stadt Goslar ausgezeichnet.

Schon vor der ersten Coronawelle hat er die Arbeit „Beleuchter in the Sky“ begonnen, bei der es um Aussichten aus seinem Atelier geht. Das Projekt startete er in Los Angeles und Taiwan. Im Mittelpunkt steht der Wechsel von Tages- und Jahreszeiten. Bei seinen Arbeiten geht es für ihn immer wieder um die Freude am Sehen: „… was entgeht mir, was könnte ich anders sehen?“ Die neu erschienene Publikation „Four Books“ umfasst eine drei Jahrzehnte umfassende Bildersammlung sowie einige neue Arbeiten. Sie erschien im Rahmen des 40-jährigen Jubiläums des TASCHEN Verlags. Sein erster Band für den Verlag (1995) zeigt die junge Generation der neunziger Jahre: beim Gay Pride, auf Fashion-Events oder im everyday life. Es folgte der Band Burg (1998). In truth study center (2005). Neue Welt (2012) dokumentiert seine Reisen von London über Feuerland, Indien, Papua-Neuguinea, Saudi-Arabien bis nach Zentralafrika. Tillmans hat die Ausgabe selber zusammengestellt, teilweise neu designt und mit aktuelleren Arbeiten versehen sowie ein neues Vorwort verfasst.

Literatur:

Wolfgang Tillmans. four books. 40th Anniversary Edition. TASCHEN Verlag, Köln 2020.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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