„Wir sind ein junges, dynamisches Team!“ Neue Studie belegt, wie normalisiert Altersdiskriminierung ist
In Deutschland wurde mehr als jede vierte beschäftigte Person über 50 schon einmal aufgrund des Alters diskriminiert. Das fand jüngst eine von XING in Auftrag gegebene Diversity-Studie heraus. Diese Zahlen belegen: Voreingenommenheiten in Bezug auf Alter sind so tief in unserer Gesellschaft verankert, dass sie allgegenwärtig sind. Warum das so ist und was Führungskräfte tun sollten, darum geht’s in diesem Beitrag.
Altersdiskrimienierung hat viele Facetten
Diversity-Workshops beginne ich gern mit einem Spiel. Ich lese verschiedene Aussagen vor und bitte die Teilnehmenden, sich je nachdem, ob sie meiner Aussage zustimmen oder sie verneinen, im Raum zu verteilen. Eine Aussage, die nahezu alle Personen mit einem „Ja“ beantworten, ist Folgende:
„Ich habe mich im Job schon mal zu jung oder zu alt gefühlt.“
Unabhängig von der Branche, unabhängig von Hierarchiestufen, unabhängig von anderen Identitätsmerkmalen – Erwartungen an unser Alter betreffen uns alle.
Die meisten von uns haben schon mal eine negative oder zumindest unangenehme Situation erlebt, weil sie das Gefühl hatten, nicht das „richtige" Alter zu haben. Beispiele finden sich endlos, in beide Richtungen. An der Diversity-Studie von XING nahmen insgesamt 1000 Personen ab 50 Jahren teil.
Sie fand heraus, dass ein großer Teil der Befragten Aufgaben zugeteilt bekommt, die unter ihrem Anforderungsprofil liegen (42 %). Hiervon sind mit 47 Prozent besonders Frauen betroffen (vgl. Männer: 38 %). Im Durchschnitt gaben fast genauso viele an, dass ihr Aufgabenbereich beschränkt wurde (41 %), hierbei sind vor allem Männer im Nachteil (Männer: 47 %, Frauen: 35 %). Des Weiteren bekam jede*r Dritte (31 %) zudem keine Angebote für Fort- oder Weiterbildungen mehr und jede*r Vierte (26 %) wurde bei der Beförderung benachteiligt. Emotionale Diskriminierung in Form von sozialer Ausgrenzung oder persönlichen Beleidigungen haben fast jede*r Fünfte (18 %) derjenigen erlebt, die altersbedingt stigmatisiert wurden.
Erwartungen ans Alter. Woher kommen sie?
Wenn wir verstehen möchten, warum Menschen solche Diskriminierungserfahrungen machen, müssen wir uns mit den gesellschaftlichen Erwartungen und Annahmen beschäftigen, die ans Alter geknüpft sind. Genau wie bei anderen Identitätsdimensionen, wie z.B. Geschlecht oder Hautfarbe, kursieren zum Alter einige gesellschaftliche „Wahrheiten", die uns mitgegeben werden, wenn wir aufwachsen.
Die Liste an Vorstellungen darüber, wer was in welchem Alter machen oder nicht machen sollte, gut oder nicht gut kann oder denken und fühlen sollte, die tangiert alle Lebensbereiche, nicht nur die Arbeit. So wird an mich, als Frau in meinen 30ern, die gesellschaftliche Vorstellung transportiert, dass ich in einem Alter bin, in der Familiengründung vorgesehen ist. Diese Vorstellungen werden mal mehr, mal weniger explizit an mich herangetragen, es gibt aber eine Art gesellschafltichen Konsens, dass dieses Vorhaben in meinem jetztigen Alter irgendwie sinnvoll ist.
Genauso verhält es sich mit Vorstellungen darüber, was „ältere“ Personen wollen sollten, was sie können – und wer überhaupt zu dieser Gruppe dazugehört. Und diese Vorstellungen werden auch auf den Job übertragen. Denn: unsere Entscheidungen, wie zum Beispiel Beurteilungen, beruhen auf „unbewussten Faustregeln“. Diese Faustregeln sind eine Art Abkürzung, die sich unser Gehirn auf Basis von vergangenen Situationen, sozialer Codes und Hinweise merkt. Sie liegen unserer Intuition zu Grunde und sind dafür verantwortlich, dass Fehlentscheidungen ein festes Produkt menschlicher Denkprozesse sind.
Altersdiskriminierung ist extrem normalisiert
In unserer Gesellschaft gibt es altersbezogene Klischees, wie z.B. dass ältere Personen technisch weniger versiert oder nicht am Puls der Zeit sind. Diese Stereotype wirken entsprechend in Gedankenprozesse hinein. Das betrifft uns alle, niemand ist frei von diesen Voreingenommenheiten („Bias“). Daher ist es auch logisch, dass Altersdiskriminierung sowohl von Kolleg*innen (zu rund einem Drittel ) als auch von Führungskräften (bei mehr als der Hälfte der Fälle) ausgeübt wird. Letztere haben durch ihre Hierarchieposition mehr Entscheidungsmacht, die sich dann in diskriminierendem Verhalten manifestieren kann.
Führungskräfte haben mehr Entscheidungsmacht, die sich in diskriminierendem Verhalten manifestieren kann.
Altersbezogene Vorstellungen sind so tief in unseren Köpfen verankert, dass sich vielerorts ganz schamlos darauf bezogen wird – und Führungskräfte oder andere Entscheider*innen gar nicht bemerken, dass sie diskriminieren. Sie suchen beispielsweise nach einem Zuwachs für ihr „junges, dynamisches Team“, als ob jung und dynamisch zwei fest verbundene Attribute wären. Solche vermeintlich neutralen Beschreibungen reprodzieren die Vorstellung , dass ein junges Team per se dynamisch ist – im Kontrast zu einem alten, statischen.
Altersdiskriminierung betrifft die „zu alten“ und die „zu jungen“
In einer zunehmend digitalisierten und techgetriebenen Welt trifft Altersdiskriminierung vor allem Ältere. Allerdings sind auch junge Personen nicht davor geschützt. Auf meinem Weg als Unternehmensgründerin und Beraterin bin ich selbst auf viele Fälle gestoßen, in denen mein Alter ein Faktor dafür war, wie meine Fähigkeiten und Beiträge wahrgenommen wurden: Als ich anfing, an Universitäten zu arbeiten, war ich 26 Jahre alt.
Ich sah aus wie 26, und obwohl dies meist keine Rolle spielte, gab es einige Situationen, in denen mir mein Alter – und mein Geschlecht – sehr bewusst gemacht wurde. In einer der ersten Vorlesungen, die ich je gehalten habe, hat mich ein männlicher Student vor der ganzen Klasse angebaggert, was mir nicht nur äußerst unangenehm war, sondern mich auch verwirrte. Ist das sexistisch oder altersdiskriminierend? Das wäre sicher nicht passiert, wenn ich ein männlicher Dozent in seinen späten 40ern gewesen wäre.
Viele andere Situationen in meinen ersten Jahren bei IN-VISIBLE machten die gesellschaftlichen Vorurteile gegenüber jungen Frauen schmerzlich sichtbar: Als ich meine erste Keynote hielt und inmitten überwiegend männlicher und älterer Zuhörer darauf wartete, in den riesigen Saal geführt zu werden, fragte mich ein Mann, ob er mir seinen Mantel geben könne, ein anderer wollte wissen, ob ich ihm ein Getränk bringen könne. Ich sagte beiden, dass ich keine Dienstleistung erbringen, sondern einen Vortrag halten würde. Anstatt sich zu schämen oder zu entschuldigen, hatten beide das Bedürfnis, ihre Annahme zu rechtfertigen, indem sie darauf verwiesen, dass ich „eine außergewöhnlich junge Dame" sei.
Mit solchen Situationen hatte ich wirklich zu kämpfen. Obwohl ich glaube, dass die Leute es oft gut meinten, wenn sie von meinem Alter „überrascht“ waren, fühlte es sich fast nie wie ein Kompliment an. Stattdessen wurde mir in solchen Situationen bewusst, dass man mich aufgrund meines Alters und meines Geschlechts unterschätzt. Ich hatte das Gefühl, dass ich besonders gut sein musste, um die „Überraschung“ zu sein, die ihr Klischee auflösen würde. Das ist ein enormer Druck.
Was können wir tun?
Was hat meine Diskriminierungserfahrung mit jener der über 50-jährigen Personen aus der Studie gemeinsam? Der Auslöser für die sehr unterschiedlichen Situationen ist derselbe: Normative Vorstellungen an bestimmte Rollen. Und auch die Konsequenz ist dieselbe: Verunsicherung und ein Gefühl, extrahart arbeiten zu müssen, um sich zu beweisen.
Wir können alle damit beginnen, die Bilder kritisch zu reflektieren, die uns in den Sinn kommen, wenn wir „Dozentin“ oder „Gründer“ oder „Techie“ hören. Jede*r sollte sich zunächst an die eigene Nase fassen, denn wir alle haben altersbezogene Klischees verinnerlicht, die dazu führen, dass wir einander Kompetenzen absprechen und falsche Erwartungen schüren.
Führungskräfte haben hier eine besondere Verantwortung. Sie müssen ihre Voreingenommenheiten proaktiv angehen und für eine Kultur sorgen, in der das Alter keine Rolle spielt, sondern die jeweiligen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Teammitglieder.
Wurdest Du im Job schon einmal wegen Deines Alters diskriminiert? Wie hast Du darauf reagiert?